Deutsche Hochschullandschaft bedarf dringend einer Reformation. Von der internen Diktatur des Ordinarius zur Demokratie des Fachbereichs.
Dazu ein Konzept mit Exzellenz Charakter.
Meine persönliche Bemerkung:
Das folgende Manuskript hat mir mein Sohn, Joern Pütz, zur Verfügung gestellt. Er ist Doktor der Biochemie, er forscht in Frankreich am zentralen Forschungsinstitut CNRS in Straßburg in der biochemischen Abteilung, die bereits 4 Nobelpreisträger hervorgebracht hat. Gleichzeitig lehrt er an der Universität zu Straßburg, außerdem ist er Vizepräsident dieser Universität, Beauftragter für deutsch-französische Beziehungen seines Wissenschaftszweiges und Mitbegründer des European Campus Oberrhein, gen. Eucor, in dem sich die Universitäten Straßburg, Basel, Freiburg zusammengefunden haben. Diese Tätigkeiten eröffneten ihm einen guten Überblick über die europäischen Hochschullandschaften, insbesondere der Universitäten.
Weil er weiß, dass ich mich als Wissenschaftsjournalist sehr um das Renomée und die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft bemühe, hat er mir das folgendes Manuskript zugesandt, das in unnachahmlicher Weise die Unzulänglichkeiten des heutigen Universitäts-Systems offen legt.
Ich empfehle es allen, denen die Unzulänglichkeit dieser Problematik bewusst ist, weil es nicht nur den ‚Ist-Zustand‘ beschreibt, sondern auch konstruktiv die Möglichkeiten der Korrektur kreativ vorschlägt.
Viele Grüße
Ihr Jean Pütz
BKT 2018/1 in Frankfurt
Gute Perspektiven in der Wissenschaft ermöglichen – das Lehrstuhlprinzip abschaffen!
Gute Arbeitsbedingungen, planbare Karrierewege oder langfristige Berufsperspektiven – das alles ist an den meisten Hochschulen leider die Ausnahme. Deshalb bleibt der Kampf für gute Arbeitsbedingungen für uns Juso-Hochschulgruppen selbstverständlich. Wir geben uns nicht mit kleinen Verbesserungen zufrieden, sondern setzen uns dafür ein, dass es attraktive und planbare Karrierewege in der Wissenschaft gibt, die mehr als nur einem sich selber reproduzierenden Männerzirkel zugänglich sind. Die aktuelle Hochschul- und Wissenschaftspolitik richtet sich fast nur noch an den Faktoren Geld und Personal aus und stellt die Organisationsformen und -strukturen der Hochschulen kaum noch in Frage. Doch gerade hier ließe sich noch einiges verändern, um Arbeitsbedingungen zu verbessern und gute Perspektiven in der Wissenschaft zu ermöglichen.
Der Status Quo
Die Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen sind größtenteils unterirdisch – besonders im Mittelbau. Fast 90 Prozent aller wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen haben einen befristeten Arbeitsvertrag und somit keine verlässlichen Aussichten auf einen Karriereweg in der Wissenschaft. Aufgrund unsicherer Beschäftigungsverhältnisse ist eine langfristige Lebens- und eventuelle Familienplanung fast unmöglich. Die einzige Gruppe, die an Hochschulen bleibend gesicherte Perspektiven hat, ist die der Professor*innen. Doch das Verhältnis zwischen unbefristeten und befristeten Positionen verschlechtert sich seit Jahren kontinuierlich. Während die Stellenzahl im akademischen Mittelbau seit Jahren stark ansteigt, liegt die Anzahl der Professuren in etwa bei dem gleichen Wert wie vor 20 Jahren. Dieses eklatante Missverhältnis führt dazu, dass die Chancen eine Professur zu erreichen und damit eine unabhängige und unbefristete Stelle zu erhalten, fortwährend sinken. Der Anstieg der befristeten Stellen kann jedoch weder auf den Bereich der Promovierenden, noch auf
Drittmittelstellen reduziert werden – auch bei Stellen, die durch Grundmittel finanziert werden, nimmt der Befristungsanteil zu.
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht, dass Befristungen weitgehend eingeschränkt werden sollen. Doch der komplette Wissenschaftsbereich soll davon weiter konsequent ausgeschlossen bleiben. Durch die großzügigen rechtlichen Möglichkeiten des Sonderarbeitsrechts für Befristungen in der Wissenschaft durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) haben sich riesige Differenzen zwischen Arbeitsverhältnissen in der Wissenschaft und anderen Tätigkeitsbereichen ergeben: gegenüber einer Befristungsquote von beinahe 90 Prozent im akademischen Mittelbau, sind es in der freien Wirtschaft nur etwa sieben Prozent. Hochschulen befristen nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie es können. Viele junge Menschen können sich einen solch unsicheren Karriereweg jedoch nicht leisten und wählen stattdessen keine wissenschaftliche Laufbahn. Denn die Chancen eine der wenigen Professuren zu bekommen, sind sehr gering und sich bis zu zwölf Jahre immer nur von Befristung zu Befristung zu hangeln ist keine besonders attraktive Aussicht.
Die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen durch die Länder und deren unflexiblen Stellenpläne ist ein weiterer Anlass für die Hochschulen befristete Verträge zu schließen. Die zusätzlichen finanziellen Mittel, die vom Bund durch die Exzellenzinitiative und die Hochschulpakte bereitgestellt werden, schaffen durch die Befristung der Mittel ebenso ausschließlich befristete Stellen für wissenschaftliches Personal. Wir begrüßen daher die geplante Verstetigung des Hochschulpakts, eine große Veränderung der Befristungspraxis in der Wissenschaft ist dadurch jedoch nicht zu erwarten. Denn viele Hochschulleitungen sehen im Gegenteil gar keinen Bedarf Befristungen einzuschränken. Das sogenannte Leistungsprinzip ist in der Wissenschaft so stark verankert, dass Hochschulen sich durch hohe Flexibilität große Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit versprechen – dabei können sie feste Mitarbeiter*innen, die für vermeintliche intellektuelle Stagnation stehen, nicht gebrauchen. Durch die Exzelleninitiative wird diese Strategie auch noch finanziell belohnt.
Das Lehrstuhlprinzip
Viele der weitreichenden Probleme, die die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen betreffen, resultieren aus dem System wie Hochschulen strukturiert sind – dem Lehrstuhlprinzip. Lehrstühle sind planmäßige Stellen einer Professur, die unbefristet und meist auf Lebenszeit vergeben werden. Während Professor*innen, die einen Lehrstuhl innehaben, also sehr gute Arbeitsbedingungen haben, sieht das für die Mitarbeiter*innen an den Lehrstühlen schon deutlich anders aus. Nirgendwo sonst ist die Hierarchiestruktur zwischen Professor*innen und deren Mitarbeiter*innen so groß wie an deutschen Hochschulen. Die Ausrichtung der Forschung, das komplette Personalmanagement, die Betreuung der Promovierenden – Professor*innen haben innerhalb des Lehrstuhls weitreichende Kompetenzen und können viele Entscheidungen fast im Alleingang treffen. Sie bestimmen über Personaleinstellungen, Vertragsverlängerungen und Erfolg oder Misserfolg von Promotionsprojekten. Alle, die an einem Lehrstuhl arbeiten oder zukünftig arbeiten wollen, sind auf das Wohlwollen des*der Professor*in angewiesen – denn Chef*in und Gutachter*in ist dieselbe Person.
Diese Struktur führt zu doppelten Abhängigkeiten: Neben dem direkten Arbeitsverhältnis, kommen massive persönliche Abhängigkeiten dazu. Die Karrierewege der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen hängen stark von einer einzigen Person ab. Ausbeutung, Schikanen, Mobbing und sexuelle Übergriffe sind an den Hochschulen leider keine Einzelfälle. Das große
Machtgefälle in der Wissenschaft begünstigt nicht nur Übergriffe, es erschwert auch die Aufklärung. Viele Betroffene trauen sich gar nicht erst Anzeige zu erstatten und scheuen vor einer offiziellen Beschwerde zurück, um nicht in die Schusslinie zu geraten und den eigenen Arbeitsplatz zu riskieren. Aus Angst vor persönlichen Konsequenzen für die von Befristung zu Befristung währende Karriere oder das eigene Promotionsprojekt werden außerdem prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Überstunden und ein enormer Arbeitsdruck hingenommen. Die eigene wissenschaftliche Qualifikation wird lieber in die Freizeit verschoben als auf das eigene Recht zu beharren und somit ein schlechtes Verhältnis zum*zur Professor*in zu riskieren. Eine Beschwerde scheint oft aussichtslos und hat meistens nur negative Konsequenzen für die Person, die sich beschwert, da die persönliche Abhängigkeit zum*zur Professor*in weiterbesteht.
Durch den stetig wachsenden akademischen Mittelbau, den steigenden Anteil von Drittmittel finanzierter Forschung und die stagnierende Zahl der Professuren werden die Hierarchisierung und die persönlichen Abhängigkeiten sogar eher noch größer. Diese Abhängigkeiten sind zudem wissenschafts- und innovationshemmend. Sie verhindern in besonderem Maß kritische Wissenschaft und risikofreudige oder ergebnisoffene Forschung, da lieber dem Willen des*der Professor*in gefolgt wird, statt eigene Ideen umzusetzen und dabei eventuell den eigenen Arbeitsplatz oder die Promotion zu riskieren.
Doch das hohe Machtgefälle ist nicht das einzige Problem. Lehrstuhlinhaber*innen haben neben der Personalgewalt auch eine weitreichende Handhabung über die Finanzmittel. Die Verwaltung von Geldern und Personal verbraucht jedoch zunehmend Zeit, die ihnen für die Hauptaufgaben von Forschung und Lehre fehlen. Viele Professor*innen beschweren sich selber darüber, dass sie zu viel Zeit für Verwaltungsaufgaben „verschwenden“ würden, anstatt selbst forschen zu können. Hochschulen leben aber gerade davon, dass auch Professor*innen forschen und vor allem auch lehren. Durch die stark steigende Zahl von Studierenden bei nur leicht steigender Zahl von Professuren über die letzten Jahre hat sich die Betreuungsrelation zunehmend verschlechtert. Professor*innen halten meist nur noch große Vorlesungen und kaum eigene Seminare oder Übungen. Auch der akademische Mittelbau ist mit den vielen Befristungen nicht auf Stetigkeit in der Lehre oder die gezielte Förderung von Student*innen ausgelegt.
Die Macht an den Hochschulen ist auf einen sehr kleinen Kreis begrenzt. Nur neun Prozent des gesamten wissenschaftlichen Personals, nämlich die Professor*innen, entscheiden alleine über den Fortgang und die Ausrichtung der Wissenschaft. Die Basis, auf der diese Macht beruht, ist weiterhin das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973, das geurteilt hat, dass bei allen Entscheidungen, welche die Forschung unmittelbar betreffen, die Hochschullehrer*innen einen „ausschlaggebenden Einfluss“ haben müssen. Die Wissenschaftsfreiheit an Hochschulen ist deshalb alleine den Professor*innen vorbehalten. Und das sowohl in den Senaten, in denen die Gruppe der Professor*innen häufig eine absolute Mehrheit hat, als auch in den Lehrstühlen, an denen es kaum demokratische Strukturen gibt und die Professor*innen alleinige Entscheidungskompetenzen haben.
Anstatt das Lehrstuhlprinzip und die große Machtfülle von Professor*innen kontinuierlich abzubauen, wurde sie über Jahre hinweg gestärkt. Viele Hochschulleitungen und weitere Akteur*innen, wie die Hochschulrektorenkonferenz (sic!) oder die Allianz für Forschungseinrichtungen, vertreten die strategischen Organisationsinteressen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen anstatt die breitere Professor*innenschaft – der akademische Mittelbau ist politisch fast nirgendwo angemessen repräsentiert.
Um gute Arbeitsbedingungen und Karriereperspektiven in der Wissenschaft und an Hochschulen zu schaffen, geben wir uns nicht mit kleinen Schritten zufrieden. Es braucht eine echte Strukturreform der Hochschulen und eine Abkehr vom Lehrstuhlprinzip, um das Machtgefälle zwischen Professor*innen und dem akademischen Mittelbau zu durchbrechen und persönliche Abhängigkeiten zu verhindern. Karriere- oder sogar ganze Lebenswege von Wissenschaftler*innen dürfen nicht von den Gutdünken einzelner Professor*innen abhängen. Freie und kritische Forschung muss überall möglich und darf nicht durch verrostete Strukturen verhindert werden.
Das Departmentprinzip
Das Lehrstuhlprinzip verhindert viele progressiven Reformen im Hochschulbereich. Doch welche Alternativen gibt es, um bessere Perspektiven und gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu schaffen? Ein weltweit oft vorkommendes System ist das sogenannte Departmentprinzip, welches beispielsweise in den USA, Großbritannien oder Skandinavien verbreitet ist. Dabei teilen sich die Hochschulen in verschiedene Departments auf, welche den hiesigen Fachbereichen entsprechen. Die Departments sind nicht einem*einer Professor*in zugeordnet, sondern werden von Professor*innen geleitet, die innerhalb des Departments regelmäßig neu gewählt werden. Die Mitarbeiter*innen, die an einem Department arbeiten sind nicht einzelnen Professor*innen unterstellt, sondern dem gesamten Fachbereich. Grundfinanzierte Ressourcen wie Räume oder Forschungsgeräte werden innerhalb des Departments zwischen den Professor*innen geteilt.
In der Bundesrepublik ist es Hochschulen gesetzlich in fast allen Bundesländern grundsätzlich erlaubt das Departmentprinzip für einzelne Fachbereiche einzuführen. So gibt es schon einige Departments, wie z.B. das Department für Politikwissenschaft an der Universität Bremen oder das Department für Biologie an der Universität Köln.
Das amerikanische Departmentprinzip lässt sich sicherlich nicht eins zu eins auf das deutsche Hochschulsystem übertragen, da zum einen das Dienstrecht anders ist und es zum anderen auf einem sehr großen Gefälle zwischen großen Forschungsuniversitäten, deren Abschlüsse alleine Spitzenpositionen garantieren, und kleineren Universitäten und Colleges, die eher mit Fach- und Berufsschulen vergleichbar sind, beruht. Jedoch bestehen in dem System an sich große Chancen, Karrierewege in der Wissenschaft zu öffnen und bessere Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler*innen zu schaffen. Zum einen gibt es bei einer Department-Struktur deutlich mehr Professor*innen. In einem Rechenbeispiel der Jungen Akademie könnte die Gesamtzahl der Professor*innen an Hochschulen durch eine Umstellung des Systems insgesamt verdoppelt werden, während dadurch grundfinanzierte Mittelbaustellen abgebaut werden. Dadurch würde sich zum einen die Betreuungsrelation zu den Professor*innen verbessern und zum anderen würde aus den grundfinanzierten Personalmitteln mehr Geld für unbefristete Arbeitsverhältnisse aufgewendet. Weiterhin sind Departments deutlich demokratischer aufgebaut und haben flachere Hierarchien als Lehrstühle. Statt einem*einer einzigen Professor*in gibt es einen Vorstand, der entweder regelmäßig gewählt oder von den Professor*innen rotierend besetzt wird. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und die Mitarbeiter*innen in Technik und Verwaltung sind ebenfalls dem Department und nicht den einzelnen Professor*innen unterstellt. Alle weiteren grundfinanzierten Ressourcen wie Räume oder Forschungsgeräte werden bei einer Department-Struktur unter den Professor*innen in einem Department geteilt, statt nur einer*einem zu gehören. Dies bietet die Möglichkeit, dass junge Wissenschaftler*innen mit Tenure-Track und etablierte Professor*innen verstärkt kooperativ zusammenarbeiten, anstatt in einem Konkurrenzverhältnis um Ressourcen zu
stehen. Die persönlichen Abhängigkeiten sind hier deutlich weniger ausgeprägt, da es mehrere Chef*innen und Gutachter*innen gibt, anstatt von einer Person abhängig zu sein.
Auswirkungen der Department-Struktur auf die einzelnen Statusgruppen
Professor*innen haben eine Vielzahl an Aufgaben in Forschung, Lehre, Personalmanagement, Selbstverwaltung und Transfer, denen sie oft nicht in angemessenem Umfang gerecht werden. Durch Umwandlung von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innenstellen in Professuren verteilen sich einige Anforderungen, wie das Personalmanagement oder die Prüfungsaufgaben, auf mehr Professor*innen, wodurch deutlich mehr Zeit für die Kernaufgaben in Forschung und Lehre bleibt. Die Rolle der Professor*innen könnte sich von vorwiegend Managementtätigkeiten hin zu mehr Forschen und Lehren wandeln. Innerhalb des Departments kann die fachliche Breite erhöht und diversere Forschungsschwerpunkte etabliert werden. Durch die Department-Struktur können Professor*innen außerdem auf gemeinsame Ressourcen zugreifen, die allen zur Verfügung stehen.
Durch die Umwandlung von akademischen Mittelbaustellen in Professuren werden diese Stellen aufgewertet. Aus abhängigen und häufig befristeten Stellen würden unabhängige, unbefristete und finanziell bessergestellte Stellen. Dadurch haben Wissenschaftler*innen bessere Karriereaussichten in der Wissenschaft. Nachwuchswissenschaftler*innen mit Tenure-Track können in einem frühen Stadium ihrer wissenschaftlichen Laufbahn eigene Forschung und Lehre verwirklichen und haben langfristige Perspektiven. Die Besetzung dieser Stellen findet nicht mehr größtenteils durch die einzelnen Lehrstühle statt, sondern ist Aufgabe von Berufungskommissionen.
Für Studierende verbessert sich durch eine Umstellung die Betreuungsrelation zu den Professor*innen. So können mehr und kleinere Veranstaltungen auch von Professor*innen gehalten werden. Durch eine Erhöhung der Forschungsschwerpunkte in den Departments stehen Studierenden schon im Studium eine größere Themenauswahl zur Auswahl.
Die Umstellung auf das Departmentprinzip bietet die Chance, dass die Hochschulen demokratischer, diverser und internationaler werden. Durch mehr Professuren kann die Attraktivität für Karrieren in der Wissenschaft steigen, was gerade für junge Wissenschaftler*innen von großer Bedeutung ist. Die großen Machtgefälle zwischen Professor*innen und dem akademischen Mittelbau würden verringert, wodurch die Karrierewege von Wissenschaftler*innen nicht mehr nur von einer Person abhängen. Doch eine Abkehr vom Lehrstuhlprinzip verbessert die Situation von Wissenschaftler*innen nicht automatisch. Darüber hinaus müssen weitere Reformen des Hochschulsystems erfolgen, um gute Arbeitsbedingungen für alle Wissenschaftler*innen zu ermöglichen.
Reformbedarf an Hochschulen
Neben den vielen Chancen, die eine Umstellung vom Lehrstuhl- auf das Departmentprinzip bietet, bleiben viele Problemfelder weiterhin offen. Das Departmentprinzip verbessert zwar die Perspektive eine Professur zu bekommen, es braucht jedoch auch abseits der Professur verlässliche Karrierewege in der Wissenschaft. Für Daueraufgaben an Hochschulen braucht es auch mehr Dauerstellen: unbefristete Stellen im akademischen Mittelbau, in Technik und Verwaltung, in der Lehre, und im Management. Nur durch eine Entfristungsoffensive können doppelte Abhängigkeiten vermieden werden und nur so kann die wissenschaftliche Karriere auch für junge Wissenschaftler*innen attraktiv sein. Daher wollen wir die Grundfinanzierung
der Hochschulen erhöhen, damit diese zusätzlichen Professuren schaffen und gleichzeitig Mittelbaustellen entfristen können.
Der Hochschulpakt muss verstetigt und finanziell deutlich aufgewertet werden, um spürbare Auswirkungen zu zeigen. Doch eine Erhöhung der Professuren verbessert zwar die Betreuungsrelation zu Professor*innen, wenn jedoch im gleichen Maß Mittelbaustellen wegfallen, ändert sich an der Situation erstmal nicht viel. Der Einsatz von Professor*innen in der Lehre bringt an sich keine direkten Vorteile mit sich, denn viele Professor*innen haben nie gelernt wie gute Lehre aussieht. Um Verbesserungen in der Lehre zu erreichen müssen Dozent*innen kontinuierlich didaktisch weitergebildet werden, damit neue Lehrmethoden auch in die Praxis umgesetzt werden können. Hierfür müssen die Hochschulen ausreichend Angebote bereitstellen.
Durch die Strukturen eines Departments und die Wahl eines Vorstandes werden Hierarchien flacher. Doch auch in Departments gibt es Unterschiede zwischen den Professor*innen: In den USA gibt es beispielsweise „full professors“, „associate professors“ oder „assistant professors“. Diese sind in etwa mit den Besoldungsgruppen W1-W3 vergleichbar. Es darf nicht sein, dass W3-Professor*innen die Entscheidungskompetenzen innehaben, während die anderen nur die Hilfsarbeiten ausführen. Um das zu verhindern, müssen alle Professuren die gleichen Mitbestimmungsmöglichkeiten haben und in die Entscheidungen im Department eingebunden werden. Neben der Struktur scheitert an Hochschulen vieles an einer unzureichenden Grundfinanzierung. Doch auch der Wille, gute Arbeitsbedingungen für den Mittelbau zu schaffen, ist bei den Hochschulen nicht ausreichend vertreten. Daher wird eine Erhöhung der Grundfinanzierung – die dringend nötig ist – die Probleme alleine nicht lösen können. Es braucht einen grundlegenden Kulturwandel in der Wissenschaft! Einen Kulturwandel hin zu einer Wissenschaft, die nicht vom Wettbewerb als überlegenden Steuerungsmechanismus ausgeht, der eine effiziente Verteilung der Ressourcen auf die vermeintlich Besten und Leistungsfähigen verspricht, und diejenigen belohnt, die in den Antragsgremien und Gutachter*innenkreisen sitzen und die meisten Drittmittel einwerben, sondern eine Wissenschaft und Gesellschaft, in der auch freie und kritische Forschung möglich ist, die für die Wissenschaft unerlässlich und überlebensnotwendig ist.
Wissenschaftlerinnen* stärken
Während mittlerweile mehr Frauen* als Männer ein Studium aufnehmen, sind sie je höher sie in der wissenschaftlichen Karriereleiter kommen immer unterrepräsentierter. Der Anteil der Professorinnen* liegt seit Jahren bei knapp über 20 Prozent und scheint sich auch nicht sonderlich zu erhöhen. Wissenschaftliche Karrieren sind besonders für Frauen* nicht sonderlich attraktiv. Reproduktions- und Care-Arbeit wird nach wie vor überwiegend von Frauen* geleistet. Daher sind die Arbeitsbedingungen in akademischen Mittelbau – keine sichere Berufsperspektive, Dauerbefristungen, Überstunden und eine männlich dominierte Umgebung – eine besondere Belastung für Wissenschaftlerinnen*. Mangelnde qualifizierte Frauen* sind keineswegs das Problem, die Strukturen an Hochschulen schrecken jedoch ab.
Männernetzwerke an Hochschulen müssen durchbrochen werden. Das funktioniert nur durch harte gesetzliche Regelungen – allein durch Anreize wird es keine großen Veränderungen geben. Die Schaffung von mehr Stellen wird nicht automatisch dazu führen, dass mehr Frauen* und jüngere Menschen diese auch besetzen und die Professor*innenschaft dadurch diverser wird. Das Wissenschaftssystem ist dermaßen männlich geprägt – von den Professor*innen über die Hochschulleitungen bis zu den Berufungskommissionen – dass durch die vielen Männernetzwerke ein Großteil dieser Stellen weiter durch Männer besetzt
würden. Hier braucht es klare gesetzliche Regelungen, die das verhindern. Für Professuren muss eine verbindliche Frauen*quote von 50 Prozent gelten, um Frauen* in Führungs- und Schlüsselpositionen zu bringen, ohne dass sie von männlich dominierten Strukturen abhängig sind.
Das Professorinnenprogramm, das vom Bund und den Ländern finanziert wird und Frauen* nach der Promotion im Wissenschaftssystem halten soll, wird von der neuen Bundesregierung fortgeführt. Dabei werden von 2018 bis 2022 etwa 200 Millionen Euro für Professuren von Frauen* gefördert. Das Programm ist ein Schritt in die richtige Richtung, indem es Anreize für die Hochschulen schafft Frauen* als Professorinnen* einzustellen, reicht aber bei weitem nicht aus, um große Veränderungen herbeizuführen. Seit 2008 wurden durch das Programm etwa 525 Berufungen herbeigeführt. Um die Anzahl der Professorinnen* flächendeckend zu erhöhen, muss das Professorinnenprogramm finanziell deutlich aufgewertet werden. Darüber hinaus müssen weitere Programme zur Förderung von Frauen* in der Wissenschaft etabliert werden. insbesondere müssen diese Programme Wissenschaftlerinnen* schon zu Beginn und während ihrer wissenschaftlichen Karriere fördern, damit mehr Frauen* eine Professur erlangen können.
Gute Perspektiven für Wissenschaftler*innen schaffen
Anstatt nur über die Höhe von Finanzmitteln zu diskutieren muss auch endlich wieder über die Struktur der Hochschulen gesprochen werden. Das Lehrstuhlprinzip ist antiquiert und muss dringend reformiert werden. Die Vorhaben der Bundesregierung sind vollkommen unzureichend, um große Veränderungen zu erreichen. Eine gute Wissenschaft lebt jedoch von Wissenschaftler*innen mit guten Perspektiven. Wir setzen uns für ein Wissenschaftssystem ein, dass auch besonders für Frauen* und junge Menschen – durch planbare Karrierewege und gute Arbeitsbedingungen – attraktiv ist. Ohne gute Arbeitsbedingungen sind weder gute Lehre noch kritische Wissenschaft möglich. Auf dem Weg dahin sind Gewerkschaften wie die GEW unsere natürlichen Bündnispartner*innen.
Um die Arbeitsbedingungen an Hochschulen zu verbessern und dauerhafte und langfristige Perspektiven und Karrierewege für Wissenschaftler*innen zu schaffen, fordern wir:
• die Abschaffung des Lehrstuhlprinzips, um die Macht von Professor*innen einzuschränken und persönliche Abhängigkeiten zu verhindern.
• die Einführung des Departmentprinzips, mit dem Ziel ein modernes und demokratisches Wissenschaftssystem zu etablieren.
• eine Entfristungsoffensive im akademischen Mittelbau, um langfristige und planbare Karrierewege zu schaffen.
• eine grundlegende Reform des WissZeitVG, um auch in der Wissenschaft klare Grenzen für Befristungen zu schaffen. Verträge müssen für mindestens zwei Jahre befristet sein.
• die Schaffung von mehr Professuren, um für den akademischen Mittelbau bessere Perspektiven in der Wissenschaft zu etablieren.
• das Durchbrechen von verkrustete Personalstrukturen, um Männernetzwerke zu durchbrechen und Frauen* und jungen Menschen neue Perspektiven zu ermöglichen.
• eine Frauen*quote von 50 Prozent für Professuren und den akademischen Mittelbau, um Frauen* in der Wissenschaft zu stärken.
• die finanzielle Aufwertung des Professorinnenprogramms, um mehr Professuren von Frauen* fördern zu können.
• einen Kulturwandel in der Wissenschaft, die nicht vom Wettbewerb lebt, sondern gute Chancen für alle bietet und kritische Wissenschaft zulässt.
• die Ausfinanzierung des hochschulischen Personalbedarfs in der Grundfinanzierung durch die Länder und den Bund.
• die sofortige, langfristige Verstetigung des Hochschulpakts, um die Planungssicherheit für die Hochschulen zu gewährleisten und dauerhafte Unterstützung durch den Bund zu leisten.
• einen deutlichen Ausbau der Grundfinanzierung der Hochschulen, um gute Lehre und kritische Wissenschaft zu fördern.
• die Abkehr von der Exzellenzinitiative, um das Potential für herausragende Forschung nicht nur an einigen wenigen, sondern an allen Hochschulen zu ermöglichen.