Sonne als gigantischer Lebensspender

Es ist eine der großen Fragen der Sonnenphysik, warum die Aktivität der Sonne einem regelmäßigen 11-Jahres-Rhythmus folgt. Forscher des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) präsentieren nun neue Hinweise darauf, dass die Gezeitenwirkung von Venus, Erde und Jupiter das Magnetfeld der Sonne beeinflusst und so den Sonnenzyklus steuert. Über seine Ergebnisse berichtet das Forscherteam in der Fachzeitschrift Solar Physics (DOI: 10.1007/s11207-019-1447-1).

Für einen Stern wie die Sonne ist es an sich nicht ungewöhnlich, dass die magnetische Aktivität zyklisch schwankt. Allerdings können bisherige Modelle den sehr regelmäßigen Zyklus der Sonne nicht zufriedenstellend erklären. Dem Forscherteam vom HZDR gelang es jetzt zu zeigen, dass die Gezeitenwirkung der Planeten auf die Sonne als eine äußere Uhr den entscheidenden Ausschlag für deren gleichförmigen Rhythmus gibt. Die Forscher verglichen dafür historische Beobachtungen der Sonnenaktivität über die letzten tausend Jahre systematisch mit Planetenkonstellationen und wiesen statistisch die Kopplung der beiden Phänomene nach. „Die Übereinstimmung ist erstaunlich genau: Wir sehen eine völlige Parallelität mit den Planeten über 90 Zyklen hinweg“, freut sich Dr. Frank Stefani, der Erstautor der Studie. „Alles deutet auf einen getakteten Prozess hin.“

Ähnlich wie die Anziehungskraft des Mondes die Gezeiten auf der Erde hervorruft, so können Planeten das heiße Plasma auf der Sonnenoberfläche verschieben. Die Gezeitenwirkung ist am stärksten, wenn die Planeten Venus, Erde und Jupiter in einer Linie stehen; eine Konstellation, die alle 11,07 Jahre auftritt. Doch der Effekt ist zu schwach, um die Strömung im Sonneninneren signifikant zu stören, weswegen die zeitliche Koinzidenz lange nicht weiter beachtet wurde.

Dann fanden die HZDR-Forscher jedoch Indizien für einen möglichen indirekten Mechanismus, über den die Gezeitenkräfte das Sonnen-Magnetfeld beeinflussen könnten: Schwingungen der Tayler-Instabilität, ein physikalischer Effekt, der ab einem gewissen Strom das Verhalten einer leitfähigen Flüssigkeit oder eines Plasmas verändern kann. Auf dieser Idee aufbauend konstruierten die Wissenschaftler 2016 ein erstes Modell, das sie in ihrer jetzigen Arbeit nochmals zu einem realistischeren Szenario weiterentwickeln. Die Sonne wäre demnach ein ganz normaler, älterer Stern, dessen innere Uhr aber zusätzlich durch die Gezeiten synchronisiert wird.

Kleiner Auslöser mit großer Wirkung: Gezeiten nutzen Instabilität
Im heißen Plasma der Sonne erzeugt die Tayler-Instabilität Störungen der Strömung und des Magnetfelds. Sie reagiert dabei selbst auf sehr geringe Kräfte empfindlich. Ein kleiner Energieschubs genügt, damit die Störungen zwischen einer rechtshändigen und linkshändigen Verschraubungsrichtung (Helizität) hin- und herpendeln. Den notwendigen Impuls könnte die Gezeitenwirkung der Planeten alle elf Jahre geben – und so letztendlich auch den Rhythmus vorgeben, in dem das Magnetfeld der Sonne umpolt.

„Als ich das erste Mal von Ideen las, die den Sonnendynamo mit Planeten in Verbindung bringen, war ich äußerst skeptisch“, berichtet Stefani. „Als wir jedoch in unseren Computersimulationen Helizitäts-Schwingungen der stromgetriebenen Tayler-Instabilität entdeckten, fragte ich mich: Was passiert, wenn man mit einer leichten, gezeitenartigen Störung auf das Plasma einwirkt? Das Ergebnis war phänomenal. Die Schwingung wurde richtig angefacht und mit dem Takt der äußeren Störung synchronisiert.“ Mit ihrem erweiterten Modell können die Forscher auch Effekte erklären, die bisher nur schwierig zu modellieren waren, beispielsweise „falsche“ Helizitäten, wie sie bei Studien von Sonnenflecken beobachtet werden, oder das bekannte Doppel-Maximum in der Aktivitätskurve der Sonne.

Langfrist-Prognose für die Sonne?
Die Gezeitenkräfte der Planeten könnten neben ihrer Rolle als Taktgeber für den 11-Jahres-Zyklus auch weitere Effekte auf die Sonne haben. Zum Beispiel wäre denkbar, dass sie die Schichtung des Plasmas im Grenzbereich zwischen innerer Strahlungszone und äußerer Konvektionszone der Sonne, der Tachokline, so verändern, dass der magnetische Fluss leichter abgeführt werden kann. Unter diesen Bedingungen könnte auch die Stärke

der Aktivitätszyklen verändert werden, so wie einst beim „Maunder Minimum“ die Sonnenaktivität über eine längere Phase deutlich zurückging.

Ein besseres Verständnis des Sonnenmagnetfeldes würde langfristig helfen, klimarelevante Prozesse wie das Weltraumwetter besser zu quantifizieren und vielleicht sogar eines Tages Klimaprognosen zu verbessern. Die neuen Modellrechnungen bedeuten aber auch, dass neben der Gezeitenwirkung potenziell weitere, bislang unbeachtete Mechanismen in Modelle des Sonnenmagnetfeldes integriert werden müssen, deren Kräfte klein sind, und die – wie die Forscher jetzt wissen – dennoch eine große Wirkung entfalten können. Um diese grundsätzliche Fragestellung auch im Labor untersuchen zu können, bereiten die Forscher zurzeit ein neues Flüssigmetall-Experiment am HZDR vor.