Siemens: Ein deutscher Technologieführer mit Nebenwirkungen – Mit einer Stellungnahme von Jean Pütz

Siemens ist sicherlich einer der kreativsten Konzerne in Deutschland gewesen. Allerdings hat er erhebliche Nebenwirkungen und Risiken erzeugt. Zum Beispiel ist er verantwortlich dafür, dass das deutsche Telefonsystem lange Zeit den technischen Möglichkeiten hinterher hinkte. Sie setzten immer noch auf den berühmten Drehwähler, als fortschrittliche Staaten in der Welt die elektronische Vermittlung einführten. Was sich später herausstellte, auch Korruption spielte in der Geschäftspolitik eine Rolle. Schon damals vermutete ich, dass die Deutsche Post – später Telekom – ohne Not voll auf Siemens setzte, während anderen Kommunikationsfirmen keine Chancen eingeräumt wurden. Bei diesem Monopol konnte es nicht mit rechten Dingen zugehen.

Auch später, bei der Einführung der Kommunikationsvernetzung durch Coaxial-Kabel, die es erstmal ermöglichten, auch Signale von Fernsehsendern per Kabelfernsehen zu versenden – spielten Siemens und der damalige Postminister Schwarzschilling eine eigentümliche Rolle. Zufälligerweise war Schwarzschilling an einer solchen Kabelfirma und an der Akkumulator-Produzenten Sonnenschein, damals noch auf Bleibasis, beteiligt. Diese Batterie wurde nötig, um die Versorgung Zwischenverstärker mit elektrischem Strom, die  innerhalb des Coaxial-Kabel-Systems sicher zu stellen. Diese Entscheidung hatte für die Zukunft der deutschen Telekommunikations- und des Aufbaus des späteren Internet-Systems verhängnisvolle Folgen. Schon damals zeichnete sich ab, dass Glasfasersysteme viel effizienter sind, weil wesentlich mehr Daten damit übertragen werden können. Dass heutzutage Deutschland auf dem Gebiet rückständig ist, liegt ursächlich an dieser Entwicklung.

Aber auch beim MP3-System, das von Siemens abgelehnt wurde, dessen Genialität seinerzeit aber von den amerikanischen Bell-Laboratories sofort erkannt wurde, die deshalb an den Lizenz-Einnahmen auch heute noch beteiligt sind.

Das sind nur einige Beispiele für den unrühmlichen Einfluss von Siemens in Deutschland – nicht zu sprechen davon, dass sie dafür gesorgt haben, dass die weltweit sicherste Technologie zum Betrieb von Kernreaktoren sich völlig aus Deutschland verabschiedet hat. Allerdings spielen dabei auch grüne Ideologien eine entscheidende Rolle.
Jean Pütz

(Handelsblatt) – Eine geordnete Nachfolgeplanung an der Unternehmensspitze hat Siemens schon länger nicht mehr hinbekommen. Zuletzt klappte das vor rund 15 Jahren, als Klaus Kleinfeld auf Heinrich von Pierer folgte. Die Schmiergeldaffäre spülte dann den bis dahin weitgehend unbekannten Peter Löscher an die Spitze. Der glücklose Österreicher musste nach mehreren Gewinnwarnungen im Sommer 2013 seinen Hut nehmen. Seither steht der Ex-Finanzvorstand Joe Kaeser an der Spitze.

Diesmal soll die Amtsübergabe geordneter ablaufen, das ist Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe wichtig. Und so setzte der Aufsichtsrat im Sommer ein Signal, indem er Technologievorstand Roland Busch zu Kaesers Stellvertreter beförderte. Im Sommer 2020 soll dann offiziell entschieden werden, wie es weitergeht, wenn Kaesers Vertrag Anfang 2021 ausläuft.

So weit, so gut. Die letzten stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden von Siemens, nämlich Heinrich von Pierer und Klaus Kleinfeld, wurden denn auch tatsächlich Chef. Doch besteht eben kein Automatismus. Der Aufsichtsrat lässt offen, ob Busch spätestens im Januar 2021 Vorstandsvorsitzender werden wird.

Das eröffnet Raum für Spekulationen – und so ein Raum wird gerade bei Siemens traditionell intensiv genutzt. Mit der Aussage, dass er in der größten Not noch einmal um zwei Jahre verlängern könnte, befeuerte Kaeser sie eher noch. Manche im Konzern verdächtigen Kaeser, sich für nur schwer ersetzbar zu halten. Bei manchen macht sich Überdruss in Sachen Kaeser breit. Busch steht nun als Nachfolger auf Bewährung da – das beschädigt seine Position.

Es ist richtig, dass Kaeser seinen Umbau mit der Abspaltung von Siemens Energy im kommenden Frühjahr noch selbst zu Ende bringen kann. Bei Siemens galt vor allem das Kraftwerksgeschäft als Krisenfall. Im Verbund mit den erneuerbaren Energien hat es in dem neuen Konzern nun eine echte Chance, sich am Markt zu behaupten.

Doch eine Verlängerung von Kaesers Vertrag um weitere zwei Jahre ergäbe nur wenig Sinn. Es wäre nur eine Übergangszeit. Doch der neue, kleinere Siemens-Konzern mit seinen Digitalgeschäften braucht eine langfristige Zukunftsstrategie. Und ein Techniker an der Spitze stünde ihm gut zu Gesicht.

Daher sollte Aufsichtsratschef Snabe bis zur Hauptversammlung im Februar ein klares Signal geben, dass Busch auch tatsächlich der nächste Vorstandschef werden soll. Erst einmal abzuwarten, ob er die neue, aufgewertete Position auch ausfüllen kann, beschädigt Busch nur. Wenn der Aufsichtsrat überzeugt ist, dass Busch CEO kann, dann sollte er dies auch kommunizieren.

Axel Höpner