Antikörper verteidigen unseren Körper
gegen Eindringlinge. Die Moleküle bestehen aus Proteinen mit angehängten
Zuckern, wobei bisher teilweise unklar war, nach welchem Bauplan
letztere angehängt werden. Für die Zeitschrift ‚Nature Communications‘
haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Helmholtz Zentrum
München diesen Bauplan nun im Rechner ergänzt und anschließend im Labor
bestätigt.
Konkret untersuchten die Autoren
IgG-Antikörper.* Sie sind die häufigsten Antikörper im Blut und wirken
vor allem gegen Viren und Bakterien. „Sie haben die typische Form eines Y
und bestehen zu einem Großteil aus Protein“, erklärt Elisa Benedetti,
Doktorandin am Institute of Computational Biology (ICB) des Helmholtz
Zentrums München. „Allerdings hängt die Zelle bei der Fertigung noch
verschiedene Zucker an, und wie das vor sich geht, ist bisher kaum
verstanden“, so die Erstautorin der Arbeit weiter.
Dabei ist dieser Prozess durchaus interessant:
Je nachdem, welche Zucker angehängt werden (im Fachjargon wird dies
Glykosylierung genannt), kann der Antikörper sehr unterschiedliche
Funktionen ausüben. Während der eine Zucker für eine heftige
Entzündungsreaktion beim Kontakt mit dem Antigen sorgt, unterbindet
hingegen ein anderer die Immunreaktion.
Biochemische Aufgabe im Rechner gelöst
„Die Schwierigkeit bei der Ermittlung der
Baupläne liegt unter anderem darin, dass hier mehrere Enzyme beteiligt
sind, deren Zusammenwirken sehr komplex ist“, erklärt Letztautor Dr. Jan
Krumsiek, Nachwuchsgruppenleiter am ICB und Junior Fellow der TU
München. Um diese biochemisch schwer lösbare Aufgabe anzugehen, holten
sich die Bioinformatiker das Problem in die digitale Welt.
Dazu zogen sie Daten der kroatischen ‚10001 Dalmatiner Biobank‘
heran. Darin untersuchten sie zunächst die Blutproben von knapp 700
Probandinnen und Probanden im Alter zwischen 18 und 88 Jahren
hinsichtlich der Zucker an den IgG-Antikörpern. Anhand der bisher
bekannten Glykosylierungsschritte ermittelten sie, inwiefern die digital
erfassbaren Ähnlichkeiten den fortlaufenden enzymatischen Prozess
abbilden können. In der Tat rekonstruierte der Algorithmus anhand der
Daten den bisher bekannten Bauplan – und entwickelte ihn weiter.
„Wir konnten also neue Schritte vorhersagen, wie die Zuckerreste an den
Antikörper gehängt werden müssten“, erklärt Krumsiek. „Anhand drei
weiterer Kohorten mit insgesamt über 2.500 Proben konnten wir dieses
Modell in der Theorie untermauern.“ Anschließend bestätigten die
Forscher die vorhergesagten Schritte durch verschiedene Methoden: zum
einen anhand einer genomweiten Assoziationsstudie mit rund 1.900 Proben
der Augsburger KORA-Studie**, zum anderen im Rahmen von drei
Versuchsreihen im Labor (in vitro).
„Wir konnten zeigen, dass mindestens eine der
vorhergesagten Reaktionen im Reagenzglas ablaufen kann. Zudem haben wir
in Zellkultur bewiesen, dass bestimmte Enzyme, deren Zusammenwirken
unser Modell vorhergesagt hatte, tatsächlich in der Zelle kolokalisiert,
also räumlich eng beieinander angesiedelt, sind“, so Krumsiek. „Unsere
Studie zeigt, wie sich Informationstechnologien und klassische
Nasschemie unterstützen und bereichern können.“
Weitere Informationen
* IgG steht für Immunglobulin G. Die
Antikörper werden durch sogenannte Plasmazellen nach Kontakt mit einem
entsprechenden Antigen gebildet. „Kommt es bei der Glykosylierung der
Antikörper zu Störungen, kann das schwere Folgen haben“, erklärt
Benedetti. So seien bereits mehrere Krankheiten wie Diabetes,
Autoimmunerkrankungen (beispielsweise Lupus) oder Krebs mit falsch
angehängten Zuckern in Verbindung gebracht worden.
** Die Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg (KORA) untersucht seit 30 Jahren die Gesundheit tausender Bürger aus
dem Raum Augsburg. Ziel ist es, die Auswirkungen von Umweltfaktoren,
Verhalten und Genen zu verstehen. Kernthemen der KORA-Studien sind
Fragen zu Entstehung und Verlauf von chronischen Erkrankungen,
insbesondere Herzinfarkt und Diabetes mellitus. Hierzu werden
Risikofaktoren aus dem Bereich des Gesundheitsverhaltens (u.a. Rauchen,
Ernährung oder Bewegung), der Umweltfaktoren (u.a. Luftverschmutzung,
Lärm) und der Genetik erforscht. Aus Sicht der Versorgungsforschung
werden Fragen der Inanspruchnahme und Kosten der Gesundheitsversorgung
untersucht.
Hintergrund:
Die Doktorandinnen Elisa Benedetti und Annika Wahl nehmen an der Helmholtz Graduate School Environmental Health, kurz HELENA, teil. Dr. Jan Krumsiek ist Wissenschaftler im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) sowie Junior Fellow der Technischen Universität München (TUM). Ein Forscherportrait zu seiner Arbeit finden Sie unter dem Titel „Gesund oder krank? Das steckt in Multi-Omics-Daten“ auf unserer Webseite.
Original-Publikation:
Benedetti, E. et al. (2017): Network inference from glycoproteomics data reveals new reactions in the IgG glycosylation pathway. Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-017-01525-0
Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das
Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention
weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und
Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken
von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums
liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München
beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der
Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und
medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten
angehören.
Das Institut für Computational Biology (ICB) führt datenbasierte Analysen biologischer Systeme durch. Durch
die Entwicklung und Anwendung bioinformatischer Methoden werden Modelle
zur Beschreibung molekularer Prozesse in biologischen Systemen
erarbeitet. Ziel ist es, innovative Konzepte bereitzustellen, um das
Verständnis und die Behandlung von Volkskrankheiten zu verbessern.
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Kommunikation, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum
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Dr. Jan Krumsiek,
Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit
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Landstr. 1, 85764 Neuherberg – Tel. +49 89 3187 3641 – E-Mail: jan.krumsiek@helmholtz-muenchen.de