Schlaganfall durch Verschluss der Wirbelsäulenarterien: Stent oder Medikation?
Berlin
– Arteriosklerotische Engstellen in den beiden kleineren Hirnarterien
rechts und links der Wirbelsäule sind bisweilen Auslöser von
Schlaganfällen in hinteren Gehirnregionen. Solche Vertebralisstenosen
können zwar von Neuroradiologen durch das Setzen von Stents behandelt
und die Arterien damit für den Blutfluss ins Gehirn offengehalten
werden. Allerdings musste jüngst eine niederländische Studie vorzeitig
abgebrochen werden, weil sich bald zeigte, dass diese interventionelle
Therapie keine Vorteile gegenüber einer optimalen konservativen Therapie
mit Medikamenten besitzt. Die Arbeit sorgt für Diskussionsstoff: Bei
näherer Betrachtung zeigen sich aber deutliche Mängel im Studiendesign.
So bleiben zahlreiche Fragen offen, die in weiteren Studien geklärt
werden müssen, erklären die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG),
die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche
Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR). Trotz des negativen Ausgangs
ist diese Form der endovaskulären Therapie nicht abgeschrieben. Experten
diskutieren, warum sie eine Behandlungsoption bleibt.
Das
Blut gelangt nicht allein über die beiden großkalibrigen
Halsschlagadern ins Gehirn. Zwei kleinere Arterien (A. vertebralis), die
beiderseits der Wirbelsäule verlaufen, versorgen wichtige hintere
Abschnitte des Gehirns wie das Kleinhirn, den Hirnstamm, das
Zwischenhirn und das zentrale Sehzentrum. Ist eine Arteria vertebralis
verengt oder blockiert, kann dies einen Schlaganfall auslösen. Seit
einigen Jahren ist es möglich, diese Engstellen durch einen Stent zu
beseitigen, der entweder von der Leiste aus oder über eine Arterie des
Arms bis in die Wirbelarterie vorgeschoben wird. Die verbesserte
Durchblutung und die Abdeckung der Arteriosklerose durch den Stent
sollen die Patienten vor einem erneuten Schlaganfall schützen.
Deutlich höheres Risiko durch Stents im Vergleich zur medikamentösen Therapie
Diese
Behandlung ist für die Betroffenen nicht ohne Risiken, wie die jetzt in
der Fachzeitschrift Lancet Neurology veröffentlichte Studie Vertebral
Artery Stenting Trial (VAST) zeigt: Bei drei der insgesamt etwa 50 mit
einem Stent versorgten Patienten kam es innerhalb von 30 Tagen zu einem
Herzinfarkt, Schlaganfall oder einer tödlichen Gefäßerkrankung
(Komplikationsrate: 5 Prozent). Bei zwei dieser drei Patienten handelte
es sich allerdings um intrakranielle Stenosen, also Gefäßverengung in
unmittelbarer Nähe des Gehirns, bei denen bereits aus anderen Studien
ein erhöhtes Behandlungsrisiko bekannt ist. In der Vergleichsgruppe gab
es lediglich ein einziges Ereignis (1 Prozent). Die Vergleichsgruppe
erhielt keine Gefäßstütze, aber eine optimale medikamentöse Therapie.
Das niederländische Forscherteam hatte Patienten mit einem leichten
Schlaganfall oder der Vorstufe TIA (Transitorische ischämische Attacke)
untersucht. Die Beschwerden gingen bei allen Patienten auf eine
Verengung in einer Wirbelarterie zurück.
„Ein
gewisses Risiko durch die Katheterbehandlung war bekannt“, sagt
Professor Dr. med. Joachim Röther, Chefarzt der Neurologischen Abteilung
der Asklepios Klinik Altona in Hamburg und Pressesprecher der Deutschen
Schlaganfall-Gesellschaft (DSG): „Dieses Risiko sollte jedoch durch
einen späteren Schutz vor weiteren Schlaganfällen wieder wettgemacht
werden.“ Doch hierfür liefert die Studie keine Anzeichen. In den ersten
drei Jahren nach der Stent-Behandlung erlitten sieben Patienten (12
Prozent) erneut einen Schlaganfall. In der Kontrollgruppe waren es nur
vier Patienten (7 Prozent).
Studienlage zur Schlaganfalltherapie mit Stents
Zweifel
an dem Nutzen der Stent-Behandlung kamen bereits vor vier Jahren auf,
als es in einer US-Amerikanischen Studie (SAMMPRIS) nach dem Stenting
von intrakraniellen Stenosen zu vermehrten Schlaganfällen kam und eine
Vorbeugung künftiger Schlaganfälle nicht erkennbar war. „In SAMMPRIS war
die Behandlung nicht auf die Beseitigung von Stenosen in der Arteria
vertebralis beschränkt. Die meisten Stents wurden in intrakraniellen
Ästen der Halsschlagader platziert“, erläutert Professor Hans-Christoph
Diener, Direktor der Klinik für Neurologie am Uniklinikum Essen und
Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Außerdem
sei ein Stent verwendet worden, der aus heutiger Sicht veraltet ist.
Die
aktuelle Studie VAST konnte wegen eines anderen Studiendesigns und der
Anwendung moderner Stents durchgeführt werden. Als es dann aber zu einem
Todesfall nach einer Stent-Behandlung kam, musste sie doch vorzeitig
abgebrochen werden. Die Reaktion der niederländischen Kollegen sei
verständlich, so Professor Diener. Das vorzeitige Ende der Studie habe
jedoch dazu geführt, dass die Frage nach einem Nutzen der Therapie nicht
abschließend geklärt werden konnte. Die Indikation für einen Stent
liegt danach nur noch bei Patienten mit distalen hochgradigen Stenosen
der Arteria vertebralis vor, bei denen trotz optimaler medikamentöser
Therapie TIAs auftreten, weil der Blutfluss zum Gehirn eingeschränkt
ist, so Professor Diener. Dies ist der Fall, wenn von Geburt an die
zweite Arteria vertebralis nicht richtig angelegt oder bereits
verschlossen ist. TIAs treten bei einer hochgradigen Einengung der
verbliebenen Arterie und Blutdruckabfall auf.
Zahlreiche mögliche Gründe für das schlechte Ergebnis – weitere Studien notwendig
Die
Gründe für diese ungünstigen Ergebnisse vermutet Professor Dr. med.
Christoph Groden, Leiter der Abteilung für Neuroradiologie des
Universitätsklinikums Mannheim, in der Auswahl der Patienten: „Eine
Katheterbehandlung ist nur bei Patienten mit einem hohen
Schlaganfallrisiko sinnvoll, bei hochgradigen Stenosen und insbesondere
wenn die andere Arteria vertebralis auch betroffen ist“, erläutert der
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR). „Eine
Behandlung sollte dann erwogen werde, wenn der Stenosegrad über 70
Prozent liegt, ähnlich wie bei Stenosen der vorderen Halsschlagader. In
der Studie war aber nur eine 50-prozentige Stenose gefordert. Außerdem
sollte man zwischen einer Stenose im Anfangsabschnitt der Wirbelarterie
außerhalb des Gehirns und einer intrakraniellen Stenose – die direkt am
Gehirn liegt – unterscheiden. Diese intrakraniellen Stenosen haben beim
Stenting ein erhöhtes Komplikationsrisiko. Solche Stenosen wurden aber
in die Studie auch mit eingeschlossen und waren für zwei der drei
Komplikationen verantwortlich. Die Hälfte der Patienten hatte nur eine
TIA, aber keinen Schlaganfall erlitten. Ein Nachteil war aus Sicht von
Professor Groden auch die lange Wartezeit. Nur 28 Prozent der Patienten
wurden innerhalb von 14 Tagen nach einem zerebrovaskulären Ereignis mit
Stents behandelt.
Alle
drei Experten hoffen auf weitere Studien, in denen moderne Stents
eingesetzt werden. Im Bereich dieser endovaskulären Therapien habe es in
den letzten Jahren deutliche Fortschritte gegeben, wie in jüngerer Zeit
das Beispiel der Thrombektomie verdeutlicht hat. Daher müssen einige
neuere Methoden einer gründlichen Neubewertung unterzogen werden.