Risiken und Nebenwirkungen dementer Staatenlenker

Über Risiken und Nebenwirkungen dementer Staatenlenker

Stuttgart, Dezember 2018 – In historischen
Aufzeichnungen gibt es eine Reihe von Hinweisen dafür, dass
Staatsoberhäupter verschiedener Länder die Regierungsgeschäfte, trotz
eingeschränkter kognitiver Fähigkeiten, gelenkt haben. Mögliche
Auswirkungen auf politische Entwicklungen skizziert ein Beitrag in der
„DMW Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ (Georg Thieme Verlag,
Stuttgart. 2018).

Staatsoberhäupter übernehmen ihr Amt oft erst in einem
fortgeschrittenen Alter. „Es verwundert daher nicht, dass es immer
wieder Politiker gibt, die altersbedingt kognitive Einschränkungen
zeigen“, stellt Professor Dr. Hans Förstl, Direktor der Klinik und
Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen
Universität München, fest. Für seinen Beitrag in der Weihnachtsausgabe
der DMW hat er Demenz-Verdachtsfälle bei Staatsoberhäuptern der
vergangenen 100 Jahre zusammengetragen.

Die Liste der Persönlichkeiten, die unter kognitiven
Einschränkungen gelitten haben, ist lang: Darunter sind amerikanische
Präsidenten wie Woodrow Wilson ebenso vertreten wie der Sowjetgründer
Lenin oder der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il. Inwieweit die
abnehmende Geisteskraft von politischen Entscheidern die Geschicke des
Landes beeinflusst hat, lässt sich nicht zuverlässig überprüfen, so
Förstl. Es gäbe aber Hinweise, auf die weitreichenden Folgen
nachlassender Führungskraft. So habe der sprichwörtlich „greise“
Reichspräsident Hindenburg schließlich seinen Widerstand gegen den
Gefreiten Hitler aufgegeben und ihn 1933 zum Reichskanzler ernannt.
Lenin sei es nicht mehr gelungen Stalin zu verhindern – um nur zwei
Beispiele zu nennen.

Umgegangen sei man mit Staatsoberhäuptern, die nicht mehr
entscheidungsfähig waren, im Verlauf der vergangenen 100 Jahre sehr
unterschiedlich: „Die Praxis reicht vom gnadenlosen Bloßstellen und
Absetzen des Betroffenen bis hin zum Kaschieren durch einen starken
inneren Zirkel“, berichtet Förstl. Der spanische Diktator Francisco
Franco etwa wurde aus machttaktischen Gründen 1974 noch mehrere Wochen
beatmet und so „im Amt belassen“. Und dass, obwohl er ins Koma gefallen
und der Hirntod bereits eingetreten war. Den wider Erwarten aus einem
Koma erwachten Portugiesen Antonio Salazar beließ man aus großer
Verehrung zwei Jahre in dem Glauben, er würde sein Land noch regieren,
obwohl längst ein neuer Präsident ernannt war.

In anderen Fällen wurden geistige Verfallserscheinungen sehr
rasch benannt und führten oft auch dazu, dass das betroffene
Staatsoberhaupt abgesetzt wurde. Den an einer Depression und beginnenden
Demenz leidende zweite Bundespräsident Heinrich Lübke etwa degradierten
Medien und politische Gegner gnadenlos zur Witzfigur. „Heute würde man
ein solches Bloßstellen als politisch inkorrekt verurteilen“, erklärt
Förstl.

Grundsätzlich sei bei Aussagen zum Geisteszustand
öffentlicher Personen Vorsicht geboten. Oft seien die vorgebrachten
Einschätzungen nicht medizinisch, sondern politisch motiviert. Eine
zuverlässige Diagnose lasse sich nicht aus der Ferne, sondern nur durch
eine sorgfältige Untersuchung stellen. Außerdem müsse bedacht werden,
dass das Unterstellen einer Geisteskrankheit bei Politikern oft dazu
beitrage, tatsächlich Betroffene zu stigmatisieren.

Eine Sonderstellung im Umgang mit Entscheidern im
fortgeschrittenen Alter nimmt der Vatikanstaat ein, erklärt Förstl
abschließend. „Da ist es vorgesehen, den Papst bis zu seinem Tode im Amt
zu belassen – quasi als Sinnbild der Vergänglichkeit.“ Hier übernimmt
die mächtige römische Kurie die Führungsaufgaben planmäßig, wenn der
Papst dazu nicht mehr fähig ist. Solche Übergangslösungen sind in
anderen Ländern nicht grundsätzlich eingeplant. Auf Staatsmänner, die
krankheitsbedingt rasch ersetzt werden mussten, folgten nicht selten
weniger geeignete Personen.

H. Förstl:
Demente Staatenlenker: Risiken und Nebenwirkungen
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2018; 143 (25); S. 1–5