Dieses Requiem eines extrem erfolgreichen Wissenschaftlers und Managers, der auf der ganzen Welt zuhause ist, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.
Für mich ist es ein Zeitdokument, welches zwar aus einer sehr persönlichen Sicht entstanden ist, aber den Umbruch in der Wissenschaft exemplarisch dokumentiert. Es ist ein Beispiel dafür, dass dieses durch Corona verseuchte Jahr, mit den vielen Einschränkungen, bewältigbar ist. Auch wenn persönlich gefärbt, gibt es doch Mut für die Überlebenden.
Jean Pütz
Wie soll man dieses seltsame, nun ablaufende Jahr 2020 benennen? „Das Jahr ohne Begegnungen“? „Das Jahr ohne Reisen“? „Das Jahr des Home Office“? „Das Jahr der uns aufgezeigten Grenzen“? Alle diese ominösen Begriffe treffen zu.
Im Januar und Februar ging es bei mir noch einigermaßen normal zu. Wie gewohnt konnte ich einige Präsenzvorträge halten. In der ersten Januarhälfte feilten wir mit einer chinesischen Delegation in einem Zwei-Tages-Workshop am Konzept der Hermann Simon Business School in China, die am 23. Mai 2020 eingeweiht werden sollte. Diese Einweihung musste natürlich verschoben werden und lässt sich hoffentlich in 2021 nachholen. Am 28. Februar kurz vor dem Lockdown fand ein letztes öffentliches Event statt, die Feier anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerschaft meines Heimatdorfes Hasborn/Eifel an Cäcilia und mich.
Dann kam der Lockdown. Bonn schien uns riskanter als Hasborn, so zogen wir uns mit Familie nach dort zurück. Zwar waren die Pro-Kopf-Zahlen der Covid 19-Fälle in Bonn und dem Landkreis Bernkastel-Wittlich ähnlich, aber pro Quadratkilometer Fläche war die Zahl in Bonn 37 Mal höher. Seit meiner Jugend habe ich nicht mehr so viel Zeit in der Eifel verbracht wie in diesem Jahr. Dafür war neben Covid 19 eine Knieoperation verantwortlich, der ein mehrwöchiger Reha-Aufenthalt in der Elfenmaarklinik Bad Bertrich – nur einen guten Steinwurf von Hasborn entfernt – folgte. Statt Globalia und große Welt hieß es also kleines Dorf und Eifel – ein echtes Kontrastprogramm.
Mit dem Beginn der Zwangspause im März ging mir Folgendes durch den Kopf: Endlich mal Ruhe, um nach zu denken, kreativ zu sein, neue Ideen zu entwickeln. Ich wollte die Arbeit an einem neuen Hidden Champions-Buch beginnen. Doch erwies sich die Frage „Was kann man angesichts Corona über Globalisierung schreiben?“ als ausgesprochen verstörend, ja hinderlich. So begann ich erst einige Monate später mit dem Schreiben und kümmerte mich beim Inhalt kaum um Corona, da ich zunehmend zu der Vermutung neige, dass Corona den mittel- und langfristigen Lauf der Welt und der Globalisierung nicht verändern wird. In diesen Tagen schließe ich das Manuskript zu „Hidden Champions – Aufstieg und Transformation“ ab. Die Zukunft wird zeigen, ob ich mit meiner Vermutung Recht behalte.
Die gewonnene Zeit nutzte ich darüber hinaus zu allerlei Schreibereien. Aus dem im Frühjahr erschienenen Buch „Am Gewinn ist noch keine Firma kaputt gegangen“ entwickelte ich eine internationale Version, die Springer Nature New York in 2021 unter dem Titel „True Profit! No Company ever Went Broke from Turning a Profit“ publizieren wird. Ähnlich verfuhr ich mit meiner Autobiografie, deren englischsprachige Version “Many Worlds, One Life – A Remarkable Journey from Farmhouse to Global Stage” im Januar erscheint. Die chinesische und die japanische Ausgabe folgen kurz darauf.
Meine Hoffnung auf eine besonders kreative Phase erwies sich allerdings als trügerisch. Wenn ich ansonsten von Reisen aus fernen Ländern zurückkehre, bringe ich einen Kopf voll neuer Eindrücke und Anregungen mit. Das fehlte einfach. Und so habe ich nicht den Eindruck, in den verflossenen Monaten besonders kreativ gewesen zu sein – eher im Gegenteil.
Interessant finde ich auch die Erfahrungen mit virtuellen Vorträgen und Interviews. Am Anfang war ich eher zögerlich, doch mittlerweile gehören die virtuellen Auftritte zur Alltagsroutine.
Dass man vom heimischen Schreibtisch aus zu Leuten in aller Welt sprechen und mit ihnen diskutieren kann, finde ich jedes Mal wieder erstaunlich. Die Reichweiten sind allerdings nach Veranstalter und Land extrem unterschiedlich. Manchmal erreicht man nur 100 Leute, während in Indien bei einem Live-Interview 20.000 zugeschaltet waren. Den Rekord hält mit 20 Millionen Zuschauern ein Vortrag, den ich im Rahmen einer großen Digitalkonferenz hielt und der auf diversen Kanälen vom chinesischen Staatsfernsehen CCTV sowie von Tencent verteilt wurde. Ich habe viel dazu gelernt, zum Beispiel, dass kaum jemand einen längeren Vortrag digital anschaut. Deshalb stelle ich in den sozialen Medien heute eher kurze Statements von weniger als zwei Minuten Dauer ein. Ich benutze auch stets einen Kopfhörer mit Mikrofon, da die Tonqualität einfach besser ist. Dennoch bin ich nach wie vor ein unprofessioneller Amateur.
Eine Begleiterscheinung von Covid 19 ist, dass sich Entfernungen massiv vergrößert haben. Seit einigen Monaten haben wir einen Enkel in Berlin. Zu normalen Zeiten wären wir häufig zu ihm oder er wäre mit seinen Eltern zu uns geflogen. Die Flugzeit von Köln/Bonn nach Berlin beträgt weniger als eine Stunde. Im Sinne von LeCorbusiers Spruch „Eine Stadt ist eine Stunde“ sind die beiden Orte eine Stadt. Doch nicht mehr mit Covid 19. Und die Bahn meidet man genauso wie das Flugzeug.
Bei Simon-Kucher hat sich die Geschäftslage, nachdem es im Frühjahr nicht so gut aussah, im Laufe des Jahres deutlich gebessert. In Oslo haben wir sogar ein weiteres Büro, insgesamt unser 40., eröffnet. Beim Umsatz werden wir etwa auf dem Niveau des Vorjahres landen und sind damit sehr zufrieden. Unsere Leute arbeiten bei Themen wie künstliche Intelligenz und Machine Learning mit dem Fraunhofer-Institut in Birlinghoven zusammen.
Mit den neuen Impfstoffen zeichnet sich Licht am Ende des Tunnels ab. Ich bin stolz, dass zwei der derzeit relevanten Impfstoffe in Deutschland entwickelt wurden. Wir haben eben auch in neuen Bereichen Hidden Champions wie BioNTech oder Curevac.
Ich hoffe, dass wir uns im Neuen Jahr wiedersehen und verbleibe mit den besten Wünschen für zuvorderst Gesundheit, für gesegnete Weihnachtstage sowie für viel Glück im Neuen Jahr.