Einzigartiges Ökosystem unter dem ehemaligen Larsen-Schelfeis
Erste Ergebnisse der vergangenen Polarstern-Expedition
Zustand der Fischereibestände in antarktischen Gewässern
Neue erfolgreiche Technik der Walbeobachtung
Ende Januar ging die achte Etappe der 23. Antarktis-Expedition mit dem
Forschungseisbrecher Polarstern zu Ende. Neben fischereibiologischen
Studien und Walbeobachtungen stand im Vordergrund, die antarktische
Lebensvielfalt zu erfassen. Im Rahmen des “Census of Antarctic Marine
Life (CAML)³, eines der Hauptprojekte im Internationalen Polarjahr,
haben Biologen den Meeresboden unter dem ehemaligen Larsen Schelfeis
erstmals untersucht und einzigartige Bilder von den dort lebenden
Organismen gemacht.
Vom 23. November 2006 bis zum 31. Januar 2007 war das Forschungsschiff
Polarstern im Weddellmeer, den Gewässern rund um die Antarktische
Halbinsel und der Bransfieldstrasse unterwegs. Nun liegen erste
Ergebnisse der Expedition vor, an der unter Leitung des
Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der
Helmholtz-Gemeinschaft 52 Wissenschaftler aus 14 Nationen teilnahmen.
Darunter waren auch Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Marine
Mikrobiologie, dem Forschungs- und Naturmuseum Senckenberg, dem
Forschungs- und Technologiezentrum Westküste und der
Bundesforschungsanstalt für Fischerei.
Census of Antarctic Marine Life (CAML)
Besonderer Focus des CAML-Projektes war das Larsen-A-B-Schelfeis, wo in
den letzten zwölf Jahren insgesamt 10.000 Quadratkilometer Schelfeis
abbrachen. Die globale Erwärmung hat an der Antarktischen Halbinsel zur
Veränderung der Umweltbedingungen geführt. Der Abbruch des Schelfeises,
das bis in große Tiefen reichte, hat nun Bereiche des Meeresbodens
freigelegt, die bisher unzugänglich waren. Somit konnten dort erstmals
die Auswirkungen des Klimawandels auf die Lebewesen untersucht werden.
Das Kernziel von CAML ist es daher, die Lebensvielfalt der
antarktischen Gewässer zu erfassen und deren Entwicklung und
ökologischen Hintergrund zu untersuchen. “Solche Erkenntnisse sind die
Basis, um das Funktionieren von Ökosystemen zu verstehen. Die neuen
Ergebnisse werden uns dabei eine gutes Stück weiter bringen, um die
Zukunft unserer Biosphäre im Klimawandel vorhersagen zu können³, sagt
Dr. Julian Gutt, Biologe am Alfred-Wegener-Institut und
wissenschaftlicher Leiter der Antarktis-Expedition.
Das wissenschaftliche Expeditionsprogramm umfasste die volle
biologische Bandbreite von Mikroorganismen bis zu Walen, einschließlich
kleinster Würmer und Krebse, größerer wirbelloser Tierarten wie
beispielsweise Schwämme und Seesterne, sowie Fischen und anderer
Wirbeltiere. “Was wir von der Polarstern-Expedition gelernt haben ist
lediglich die Spitze des Eisbergs³, sagt Michael Stoddart, Sprecher von
CAML Australien. “Ergebnisse dieser und kommender Expeditionen
innerhalb des Internationalen Polarjahres werden Erkenntnisse bringen,
wie der Klimawandel die Organismen dort beeinflusst.³
Fragestellung
Die wichtigsten Fragen zu den Untersuchungen im Larsen-Ökosystem waren:
– Welche Lebensformen existieren unter dem Schelfeis, einem noch völlig
unbekannten, aber für die Antarktis typischen Lebensraum?
– Wie beeinflusst das Schelfeis und sein Abbruch das marine Ökosystem?
– Wie sieht die Zukunft der dortigen Fauna in einer sich verändernden Umwelt aus?
– Können Berichte von einer kalten Gasquelle mit einer speziell daran
angepassten Lebensgemeinschaft bestätigt werden, und kann sie zum
ersten Mal beprobt werden?
Vorläufige Ergebnisse der Untersuchungen des Meeresbodens zeigen, dass
die Sedimente sehr unterschiedlich sind. Vom felsigem Untergrund bis
hin zu weichem Schlick sind alle Bodentypen vertreten. Ebenso
vielfältig gestaltet sich die Besiedlung, da Tiere unterschiedliche
Vorlieben bezüglich ihres Lebensraumes haben. Vergleicht man die
Meeresbodenfauna von Larsen-A-B mit der im östlichen Weddellmeer, so
ist sie weitaus ärmer. Umso auffälliger ist die hohe Dichte einer
bestimmten Tiergruppe, der Seescheiden, die mit verschiedenen Arten
vertreten ist. Da diese Organismen besonders langsam wachsen, ist
anzunehmen, dass Seescheiden erst nach dem Abbruch des Schelfeises im
Larsen-B-Gebiet ansiedeln konnten. Die Anzahl größerer, langsam
wachsender Tiere, z. B. der Glasschwämme, war im Larsen-A-Gebiet höher
als bei Larsen B, da sie dort wahrscheinlich schon sehr lange leben.
Die hohe Anzahl kleinerer Exemplare dieser Arten ist vielleicht ein
erster Schritt zu einer deutlichen Veränderung der Artenzusammensetzung
nach
dem Abbruch des Schelfeises vor zwölf Jahren.
Mit Hilfe eines ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugs (Remotely Operated
Vehicle, kurz ROV), das mit Video- und Fotokameras ausgestattet war,
konnte die Zerstörung des Meeresbodens durch Eisberge in geringeren
Wassertiefen gezeigt werden. In einer Wassertiefe von circa 220 Metern
war der Artenreichtum deutlich höher, aber es waren auch deutliche
Spuren der Zerstörung durch Eisberge zu sehen. Glasschwämme kommen dort
als langsam wachsende und lang lebende Organismen nur selten vor, da
sie immer wieder von den strandenden Eisbergen vernichtet werden.
Auffällig häufig kamen auch verschiedene Tiefseearten wie Seegurken und
gestielte Haarsterne im Larsen-B-Gebiet vor.
Kalte submarine Quellen
Eine kalte Quelle, ein so genanntes “Cold Seep³, von dessen Existenz
man bisher lediglich durch Videoaufnahmen wusste, konnte mit Hilfe des
ROVs in einer Wassertiefe von ca. 830 Metern wieder gefunden werden.
Sie besteht aus Ansammlungen von Schalen toter Muscheln. Erste Analysen
geben eindeutige Hinweise, dass dort Methan und Sulfat vorhanden sind,
wovon bestimmte Bakterien so leben, dass sich hier eine einfache
Lebensgemeinschaft auch ohne Sonnenlicht entwickelt.
Walbeobachtungen
Rund um Elephant Island, in der Bransfield Strasse, im Larsen A/B
Gebiet und im nördlichen Weddellmeer wurden Walbeobachtungen
durchgeführt. Dabei deckten die Helikopterflüge 8000 Seemeilen und
Beobachtungen von Bord der Polarstern 700 Seemeilen ab. Zwergwale
wurden häufig nahe am Packeis, die sehr seltenen Schnabelwale
hauptsächlich rund um Elephant Island gesichtet. “Es war überraschend
zu sehen, dass die neuen Lebensräume so schnell besiedelt werden³, sagt
Dr. Meike Scheidat vom Forschungs- und Technologiezentrum Westküste der
Universität Kiel.
Fischbestände der Antarktis
Die fischereibiologischen Untersuchungen erfolgten rund um die Inseln
westlich und nördlich der Antarktischen Halbinsel im Rahmen der
“Konvention zum Schutz der lebenden Meeresschätze der Antarktis"
(Convention of the Conservation of Antarctic Marine Living Resources,
CCAMLR). Erste Ergebnisse zeigen, dass der Marmorbarsch (Notothenia
rossii) und der Gelbbauchnotothenia (Notothenia coriiceps) häufiger
vorkamen als in einer Vergleichsstudie von 2003. Die Bestände vom
Bändereisfisch (Chaemopsocephalus gunnari) und vom Scotiasee-Eisfisch
(Chaenocephalus aceratus) hingegen nahmen in diesem Zeitraum ab. Die
Studie wurde mit 85 Hols innerhalb von 19 Tagen vollständig
abgearbeitet.
Neue Arten entdeckt
Im Rahmen von CAML wurden weiterhin die Aspekte Physiologie, Genetik,
Schadstoffe und die Nahrungsbeziehungen untersucht. Dabei kamen diverse
Probenahme-Geräte zum Einsatz, wie Dredschen, Greifer und Fallen. Die
Wissenschaftler entdeckten eine Reihe neuer Arten. Besonders
hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang 15 voraussichtlich neue
Amphipodenarten, die zu den Krebsen gehören, darunter einer der größten
Amphipoden der Antarktis. Er ist fast 10 Zentimeter lang und gehört zur
Gattung Eusirus. In der Gruppe der Nesseltiere wurde eine neue Art der
Gattung Malacobelemnum gefunden, sowie eine neue Seeanemone. Sie lebt
in Symbiose mit der Schnecke Harpovoluta.
Die wertvolle Fracht an wissenschaftlichen Daten und gesammeltem
Tiermaterial ist jetzt auf dem Weg in die Heimatinstitute der
Expeditionsteilnehmer. Es wird Monate bis zu einigen Jahren dauern, bis
detaillierte Analysen vorgelegt werden können. In einem vom "Census of
Marine Life" unterstützten Treffen im September diesen Jahres werden
die Wissenschaftler eine erste Synthese ihrer Ergebnisse zeitnah
zusammenstellen und präsentieren.
Neuland für Polarsten
Die aktuelle Polarstern-Expedition begann am 2. Februar in Punta Arenas
und hat einen geologischen Schwerpunkt. Zehn wissenschaftliche Projekte
stehen auf dem Programm, darunter auch ein großes Projekt des
Internationalen Polarjahres. Geophysiker beschäftigen sich mit der
geodynamischen und tektonischen Evolution des Kontinentalrandes in der
Gegend um die Prydz Bucht. Dort und am Kerguelen Plateau werden
geologische Untersuchungen stattfinden. In diesem Bereich der Antarktis
ist Polarstern das erste Mal unterwegs.
Am 11. April wird Polarstern in Kapstadt erwartet. Dann tritt sie die
Rückreise nach Bremerhaven an, wo sie Anfang Mai eintreffen soll.
Wer die Reise verfolgen möchte, findet Tagebücher unter
http://www.polarjahr.de, http://blogs.dw-world.de/polarstern/ und
www.ipy.org
Bremerhaven, den 21. Januar 2007
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Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den
Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Es koordiniert die
Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den
Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und
Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das
Alfred-Wegener-Institut ist eines der fünfzehn Forschungszentren der
Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation
Deutschlands.