Genetische Uhren in Zooplanktonarten regulieren die vermutlich größte tägliche Bewegung von Biomasse
Bremerhaven, 11. Juli 2017. Der Ruderfußkrebs Calanus finmarchicus
richtet seinen Tag nach einer genetischen Uhr aus, die unabhängig von
äußeren Reizen funktioniert. Diese Uhr beeinflusst Rhythmen des
Stoffwechsels sowie die tägliche Vertikalwanderung der Krebse. Das hat
einen enormen Einfluss auf das gesamte Nahrungsnetz im Nordatlantik,
denn Calanus finmarchicus ist dort eine zentrale Planktonart. Je
nachdem, wo sich der energiereiche Krebs gerade befindet, müssen sich
auch seine Fressfeinde aufhalten. Die Ergebnisse der Studie erscheinen
nun im Fachjournal Current Biology.
Tag für Tag findet in den Meeren der Welt eine gigantische
Vertikalwanderung statt: Bei Sonnenuntergang schwimmen unzählige
Planktonorganismen wie Ruderfußkrebse oder Krill in Richtung Oberfläche,
um sich an einzelligen Algen satt zu fressen, die nur dort gedeihen
können, wo ausreichend Licht zur Verfügung steht. Die Nacht bietet den
Tieren Schutz vor Räubern wie Fischen, die Licht zum Jagen brauchen. Am
Morgen wandern die Tiere dann in die dunkle Tiefe zurück, wo sie sich
tagsüber vor ihren Fressfeinden verstecken. Das ist die vermutlich
größte tägliche Bewegung von Biomasse auf dem ganzen Planeten. Obwohl
dieses Phänomen seit mehr als 100 Jahren bekannt ist, haben
Wissenschaftler erst in Ansätzen verstanden, welche Signale
Meereslebewesen nutzen, um zu entscheiden, wann sie nach oben und wann
sie nach unten wandern.
Licht scheint dabei eine große Rolle zu spielen – doch auch in der
Polarnacht und im Dunkel der Tiefsee, wo nur sehr wenig Licht zur
Verfügung steht, finden solche Wanderungen statt. Wissenschaftler des
Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz Zentrum für Polar- und
Meeresforschung (AWI) konnten nun nachweisen, dass der Ruderfußkrebs
Calanus finmarchicus eine innere genetische Uhr besitzt, die unabhängig
von äußeren Reizen einen 24-Stunden Rhythmus erzeugt. Licht wird dabei
nur benötigt, um die Uhr hin und wieder richtig zu „stellen“. „Diese Uhr
beeinflusst neben den Rhythmen der Stoffwechselaktivität der Tiere auch
deren tägliche Vertikalwanderung“, sagt Erstautor Sören Häfker.
Zusammen mit Kollegen der Universität Oldenburg und der Scottish
Association for Marine Science hat er eine detaillierte Untersuchung des
gesamten Uhr-Mechanismus für diese wichtige Krebsart durchgeführt und
die tägliche Wanderung mit der Rhythmik der genetischen Uhr verglichen.
„Für uns war es erstaunlich, wie präzise die genetische Uhr den
24-Stunden-Rhythmus ohne äußere Reize beibehält und dass wir diesen
Rhythmus sowohl unter kontrollierten Laborbedingungen als auch im
natürlichen Lebensraum im schottischen Loch Etive fanden“, sagt Sören
Häfker. In der freien Natur können die Tiere bei ihren täglichen
Wanderungen mehrere hundert Meter zurücklegen.
Doch auch in Laborexperimenten wiesen die Wissenschaftler dasselbe
Bewegungsmuster nach. Hier haben sie für die Tiere zuerst einen
natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus simuliert und sie danach mehrere Tage in
konstanter Dunkelheit gehalten. Unter diesen Bedingungen haben sie dann
den Sauerstoffverbrauch der Tiere als Hinweis für den Stoffwechsel, die
Vertikalwanderung sowie die Aktivität verschiedener Uhr-Gene gemessen.
In den knapp einen Meter hohen Säulen der Versuchsanordnung findet
selbst bei konstanter Dunkelheit eine rhythmische Vertikalwanderung
statt. Dieses Verhalten zeigt, dass die Wanderung von der genetischen
Uhr reguliert wird. Die Krebse können so den Tageszyklus vorausahnen und
sich zum Beispiel in tiefere Wasserschichten zurückziehen, noch bevor
es für Räuber hell genug wird, um sie zu jagen.
Der Ruderfußkrebs Calanus finmarchicus sammelt im Körper große
Fettreserven an und ist daher für viele größere Tiere eine attraktive
Nahrungsquelle. Die tägliche Wanderung hat somit eine herausragende
Bedeutung für das Ökosystem. Das ist besonders relevant, weil durch die
Klimaerwärmung viele marine Arten ihre Verbreitung in Richtung der Pole
verschieben. Dort schwankt die Tageslänge über das Jahr jedoch deutlich
stärker und es stellt sich die Frage, ob die inneren Uhren dieser Tiere
mit den extremeren Bedingungen klarkommen. „Nur wenn wir verstehen, wie
genetische Uhren funktionieren und wie sie das Leben im Meer
beeinflussen, können wir in Zukunft besser vorhersagen, wie marine Arten
auf Veränderungen der Umwelt – etwa durch den Klimawandel – reagieren
und welche Konsequenzen das für marine Ökosysteme hat“, betont Sören
Häfker.