Ohne Handwerker kein Fortschritt – Briefwechsel mit einem Freund

Einer meiner besten Freunde hat mit mir gemeinsam die staatliche Handwerkerschule in Luxemburg besucht. Er wurde einer der erfolgreichsten Unternehmer in Sanitär- und Umwelttechnik, ich hatte die Chance, mich vom kleinen Elektromechaniker zum erfolgreichen kritischen Wissenschaftsjournalisten zu entwickeln. Beide verdanken wir dies nicht einem Gymnasium, sondern einer Schule, die die Kunst des Handwerks vermittelte, in dem sie Praxis und Theorie in unnachahmlicher Methode lehrte. Wir können mit Fug und Recht behaupten: von da an gings bergauf. Deshalb beobachten wir heute mit großem Misstrauen die sozial-kulturelle niedrige Bewertung des Handwerks. Bezeichnend ist auch, dass die Schule sich umbenennen musste. Sie bezieht sich heute nicht mehr nur auf Handwerker, sondern musste die Kunst mit einbeziehen, ‚Ecole des Arts et Metiers‘ in Luxemburg. Bezeichnend ist, dass sie umgewandelt wurde in ‚Lycée des Arts et Metiers‘. Offenbar reichte in der sozialen Bewertung das Handwerk nicht mehr und musste zum Gymnasium für Kunst hochstilisiert werden.

Die Vernachlässigung des Handwerks, wo man sich gelegentlich die Hände dreckig machen muss, wird unserer gesamten Volkswirtschaft in Zukunft große Probleme bereiten. Schöngeister, Juristen und Philosophen in der Politik erkennen leider diese Gefahr nicht. Irgendetwas muss sich ändern. Mein Freund Pierre hat in einem Brief an mich den Nagel auf den Kopf getroffen, deshalb möchte ich diesen Ihnen nicht vorenthalten.

Dieser Brief hat mich leider fünf Jahre später erreicht.  Seinerzeit habe ich in Luxemburg vor 300 unabhängigen deutschen, französischen und Luxemburger Familien-Unternehmern einen Vortrag gehalten. Daraufhin hat mir mein Freund diesen persönlichen Brief geschrieben, der allerdings allgemeine Gültigkeit besitzt und dessen Inhalt  heute umso aktueller geworden ist. Schon damals litt ich unter der altersbedingten Makuladegeneration AMD, deshalb seine Anrede.

Jean Pütz

Hallo Jean.

Ich schreibe auf deutsch, damit Pina und Frau Bora vielleicht behilflich sein können.
Wir haben uns am Freitagabend leider nicht mehr gesehen, weil ich um 16,30 h aus der Versammlung gehen musste. Ich war aber froh, Dich dort gesehen zu haben. Ich kann Dir nur sagen, Du hast so gut geredet, das war super. Auch Pina hat ohne Scheu ihre Meinung vertreten. Ich beneide Dich, weil ich mich nicht so treffend ausdrücken kann. Das ist nun mal Deine Stärke und daran bist Du ja auch groß geworden.
Was mir bei weitem am besten gefallen hat, ist Deine Einstellung zum Stellenwert des Handwerks. An mehreren Beteiligungen an Rundgesprächen in Luxemburg und in der Schweiz und in Deutschland wurde mir bestätigt, das größte Problem fast aller Berufe ist der Fachkräftemangel. Warum liegt das Handwerk heute im Stellenwert an aller letzter Stelle. In Luxemburg wird man nur mehr Handwerker, wenn man in allen anderen Schulen versagt hat.
Warum liegt der Lohn eines Handwerkers heute in Luxemburg bei max. 20,- € und der Lohn eines Rechtsanwalts bei 500 – 700,- € pro Stunde?
Ich ersetze lieber das Wort Handwerk durch Artisan. Artisan kommt von Art (Kunst). Früher gab es das Sprichwort: < Das Handwerk hat einen goldenen Boden >. Leider ist das lange vorbei. Die bekanntesten und größten und tüchtigsten Menschen waren aber Handwerker.
Christus war Zimmermann.
Leonardo Da Vincy war Handwerker, Ingénieur, Maler und Künstler. Er ist für mich seit 550 Jahren der größte Handwerker. 1477 gründete et in Florenz seine eigene Werkstadt und 1489 in Mailand wieder eine Werkstadt und bildete Schüler aus. Er beschäftigte Gesellen, das waren Handwerker. Ich habe an der Loire seine Wohnung besucht, wo er seine letzten 3 Lebensjahre verbrachte. Weil er durch einen Schlaganfall auf der rechten Seite gelähmt war, malte er zum Schluss mit der linken Hand. Deshalb schrieb er auch vieles in Spiegelschrift.
Lange Rede kurzer Sinn: Es ist mein Anliegen etwas beizutragen dass das Handwerk wieder einen höheren Stellenwert erlangt. Ich bin bereit 1/3 unseres Vermögens einer Stiftung zu widmen. Staatsschulen zu unterstützen ist für mich sinnlos. Ich träume von einer
<ECOLES D’ARTISANS> Fachleute sollen eine Schule mit hohem Stellenwert aufbauen, wo Artisans ausgebildet werden.
Du hast gesagt das Wissen verdoppelt sich alle 10 Jahre. Das stimmt, aber der normale Mensch kommt nicht mit. Einstein hat schon gesagt: der Mensch ist dem Fortschritt der Technik nicht gewachsen. Deshalb entstehen heute die grossen Probleme. Atomkraftwerke,
Zusammenfall der Familie, Respektlosigkeit.
Durch die fortschreitende Technik gibt es heute keine Distanzen und keine Grenzen mehr, also gibt es auch keine Fronten mehr. Herr Santer (früherer Europapräsident) sagte mir letzte Woche, wir haben augenblicklich in 43 Ländern Krieg. Ich bin der Meinung wir haben nicht 43 Kriege, sondern wir haben einen Krieg und zwar in der ganzen Welt, weil wir Distanzen heute mit Lichtgeschwindigkeit überwinden können. Deshalb haben wir Frieden oder Krieg in der ganzen Welt.
Dies können wir nur meistern wenn der Unterschied zwischen Arm und Reich kleiner wird. Dies ist nur möglich wenn die Menschen einen Beruf erlernen, welcher benötigt wird. In den letzten 100 Jahren sind 99 % aller Berufe verschwunden. Dafür werden aber andere Berufe benötigt und müssen erlernt werden. Dafür müssen Menschen ab Kindesalter erzogen und ausgebildet werden.
Ich versuche in der mir noch verbleibenden Zeit interessierte Leute zu vereinen, welche derselben Meinung sind. Mein Ziel ist es eine Privatschule mit Niveau aufzubauen wo Artisans hervorgehen, welche nach ihrem Abschluss durch das Renommé der Schule mit Sicherheit ein Verdienst für sich und für die Gesellschaft schaffen. Weil das Niveau der bestehenden Berufsschulen so tief in Luxemburg gesunken ist, versucht die Fédération des Artisans (wo auch unser Michel im Comité ist) eine eigene Schule für das Handwerk zu schaffen.
Die BDL wird uns in allen technischen Fragen unterstützen. Wir können jedes Jahr bis zu 20 % vom Gewinn unserer Firmen steuerfrei an diese Stiftung abtreten. Wenn eine Privatschule einen hervorragenden Ruf erschaffen hat, übernimmt der Luxemburger Staat 80% der Baukosten und bis zu 90% der Personalkosten.

Ich hab Dir dies jetzt nur schnell geschrieben. Bei Gelegenheit möchte ich mich mit Dir weiter über dieses Thema unterhalten. Wir sind ja einer Meinung.
Wenn wir noch das Glück haben einige Jahre zu überleben und tätig sein zu dürfen, dann sollen wir dies doch ausnutzen uns nützlich zu machen. Ich merke immer mehr, es macht mir am meisten Freude wenn ich anderen helfen konnte und dadurch ihre Freude miterleben kann.

Pierre