(KIT) – Gewitter, Sonne, Kälte, Hitze – wie unbeständig das Wetter sein kann, zeigte der diesjährige Mai. Verantwortlich ist das „chaotische System“ Atmosphäre: physikalische Eigenschaften wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Bewölkung ändern sich ständig. Wetterprognosen versuchen, das Chaos vorherzusehen und zuverlässige Aussagen zu machen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Meteorologie und Mathematik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben gemeinsam eine neue Methode entwickelt, die auf Basis von Künstlicher Intelligenz Fehler in der Wettervorhersage unter Berücksichtigung nicht-linearer Zusammenhänge korrigiert.
Luftmassen, die ständig in Bewegung sind, Temperaturen, die schwanken und sich ändernde Luftdruckverhältnisse machen die Atmosphäre über uns schwer berechenbar. Doch eben dies tun Meteorologen, um verlässliche Wettervorhersagen zu treffen. Als Grundlage nutzen sie dabei Messungen vom aktuellen Zustand der Atmosphäre und simulieren ausgehend davon alternative Szenarien: Sie verändern bewusst zum Beispiel die Temperatur oder die Luftfeuchtigkeit, und berechnen, wie sich diese Modifikation auf das Wetter auswirken könnte. Für jede Messgröße vergleichen sie bis zu 50 Szenarien. „Ähneln sich die Ergebnisse, deutet das darauf hin, dass eine Prognose mit diesen Werten relativ sicher und der Zustand der Atmosphäre in diesem Bereich stabil und gut vorhersagbar ist“, sagt Peter Knippertz vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung des KIT.
Diese Methode unterliegt jedoch systematischen Unsicherheiten, welche die Ergebnisse verzerren: „Die Computerszenarien können manche physikalischen Zusammenhänge nicht in der notwendigen Detailtiefe oder räumlichen Auflösung abbilden“, sagt Sebastian Lerch vom Institut für Stochastik des KIT, der eng mit Knippertz zusammenarbeitet. So fallen beispielsweise Vorhersagen über die Temperatur an bestimmten Orten stets zu mild, an anderen zu hoch aus, weil lokale, teils zeitlich variable Gegebenheiten den Modellen nicht mitgegeben werden können. Deshalb sei es nötig, die Ergebnisse der Simulationen mit aufwendigen statistischen Verfahren und Expertenwissen nachzubearbeiten, um bessere Prognosen und Eintrittswahrscheinlichkeiten für Wetterereignisse zu erhalten.
„Wir haben einen Ansatz entwickelt, der bessere Vorhersagen als etablierte Standardverfahren liefert“, so Lerch, der zugleich auch am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS) in der Gruppe von Tilmann Gneiting arbeitet, der am KIT einen Lehrstuhl innehat. Grundlage hierfür sind neuronale Netze, also Computerprogramme, die Informationen nach dem Vorbild des Gehirns verarbeiten. Die künstlichen Neuronen sind in Schichten angeordnet. So können die Mathematiker dem Netzwerk „antrainieren“, wie es bestimmte Daten optimal verarbeiten kann. Mit jeder Information, die in der Trainingsphase durch das Netzwerk fließt, sammelt es „Erfahrung“, kann sich kontinuierlich verbessern und so beispielsweise die Eintrittswahrscheinlichkeit von lokalen Wetterereignissen präzise bestimmen.
„Wir haben in unser Netzwerk eine Zwischenschicht eingefügt, in der die Neuronen die chaotischen, nicht-linearen Wechselwirkungen zwischen den Daten aus den Wettermessstationen und den physikalischen Zuständen der Atmosphäre in der Simulation analysieren und bewerten“, sagt Lerch. „So kann es eigenständig lernen, wie sich Veränderungen beispielsweise auf die Temperatur an einer bestimmten Messstation auswirken.“ Um ihr Netz zu trainieren, nutzen die Mathematiker Wetterdaten aus Deutschland, die 537 Wetterstationen von 2007 bis 2016 aufzeichneten. Eingangsgrößen für das neuronale Netz waren unter anderem die Bewölkung, Bodenfeuchte und Temperatur.
Die Prognosen, die das Netz getroffen hat, haben die Mathematiker mit Prognosen aus etablierten Techniken verglichen. „Unser Ansatz hat für fast alle Wetterstationen deutlich genauere Vorhersagen getroffen und ist wesentlich weniger rechenaufwendig“, fasst Lerch zusammen. Die Vorteile von neuronalen Netzen als Nachbearbeitungsverfahren lägen vor allem darin, dass sie nicht-lineare Zusammenhänge eigenständig erkennen und ihr Wissen darüber kontinuierlich anpassen können. Zudem können sie schneller große Datenmengen verarbeiten als bisherige Methoden und menschliche Experten. „Wir konnten so erstmals zeigen, dass sich neuronale Netze bestens dafür eignen, Wettervorhersagen zu verbessern und Informationen über meteorologische Prozesse zu erhalten.“
Überregionale Forschung für bessere Wettervorhersagen
Lerchs Forschung ist Teil des SFB/Transregios 165 „Waves to Weather“ (W2W), dessen Ko-Sprecher Knippertz ist. Wissenschaftler des KIT, der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München als Koordinator und der Johannes-Gutenberg-Universität (JGU) arbeiten hier überregional und interdisziplinär zusammen, um Wettervorhersagen noch genauer und zuverlässiger zu machen. Damit stellt sich W2W der aktuell größten Herausforderung in der Wettervorhersage: die Grenzen der Vorhersagbarkeit in verschiedenen Situationen zu identifizieren und jeweils die physikalisch bestmögliche Prognose zu erstellen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert den SFB seit 2015 und hat seine Förderung vor einigen Wochen für weitere vier Jahre verlängert.