Mit künsstlicher Intelligenz, Genanalysen und Therapieansätzen gegen Krebs und viele andere Krankheiten

Die Entschlüsselung des menschlichen
Erbguts gibt noch immer Rätsel auf. Künstliche Intelligenz könnte
helfen, diese zu lösen. Neue therapeutische Ansätze für schwerwiegende
Krankheiten scheinen möglich, genauso wie nichtmedizinische
„Verbesserungen“ des Erbguts. Technikfolgenabschätzer des Karlsruher
Instituts für Technologie (KIT) untersuchen gefördert vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) welche Anwendungen
realistisch sind und vor welche ethischen Fragen sie die Gesellschaft
stellen.

„Die moderne Genomforschung will verstehen und
vorhersagen, wie genetische Unterschiede zwischen Menschen komplexe
Merkmale, wie zum Beispiel Dispositionen für häufige Krankheiten,
bestimmen“, so Harald König vom Institut für Technikfolgenabschätzung
und Systemanalyse (ITAS) des KIT. Obwohl die Möglichkeiten der Analyse
des Erbguts rasch fortschreiten, bleibt das Wissen darüber, wie unser
Erbgut solche Merkmale bestimmt, bislang meist auf Korrelationen
beschränkt. Eine entscheidende Weiterentwicklung verspricht nun der
Einsatz von fortgeschrittenen Formen Maschinellen Lernens: „Insbesondere
das sogenannte Deep Learning könnte es ermöglichen, menschliche Genome
nicht nur wie bisher zu ‚lesen‘, sondern die komplexen biophysikalischen
Zusammenhänge und Mechanismen zu verstehen, die dafür sorgen, aus
genetischen Anlagen körperliche Merkmale hervorzubringen“, so König.

Effektive Therapien gegen Krebs oder Demenz

Die neuen Ansätze setzen auf die Kombination von
Künstlicher Intelligenz und rasch fortschreitenden Techniken der
Genomanalyse (einschließlich Einzelzellanalysen) sowie automatisierten
Laborplattformen. Letztere können sehr große Mengen von Daten zu
Genomveränderungen und verschiedenen zellulären Prozessen wie dem
Ablesen von Genen oder dem Auftreten verschiedener Proteinformen unter
verschiedenen Bedingungen liefern. „Das Ergebnis könnte ein enormer
Wissenssprung – von Korrelationen hin zu ursächlichen Zusammenhängen – 
sein, der ganz neue Anwendungsmöglichkeiten verspricht“, so Harald
König. Mit solchen Ansätzen verbinde sich beispielsweise die Hoffnung
auf neue, ungleich effektivere Therapieansätze für Krebs,
Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Demenz. Diese „precision medicine“
könnte maßgeschneidert für verschiedene Gruppen von Patienten,
Krankheitsvarianten oder -stadien eingesetzt werden.

Das Forschungsteam, an dem neben der
Technikfolgenabschätzung des KIT auch das Fraunhofer-Institut für
System- und Innovationsforschung ISI beteiligt ist, will analysieren,
welche Anwendungen in der Praxis kurz- bis mittelfristig realistisch
sind. Gleichzeitig liegt ihr Fokus auf den vielfältigen
gesellschaftlichen und politischen Implikationen, mit denen das neue
Wissen verbunden ist. So könnte die Medizin der Zukunft für eine
alternde Gesellschaft enormen makroökonomischen und sozialen Nutzen
haben. Gleichzeitig könnten manche ihrer Ansätze, wie gen- und
zellbasierte Therapien, jedoch auch mit sehr hohen Kosten einhergehen,
die Fragen nach der Finanzierung der Forschung und Entwicklung sowie der
Zugänglichkeit für Patienten aufwerfen.

Präventive Eingriffe in die menschliche Keimbahn

Das Wissen darüber, welche genetischen
Informationen wie „umgeschrieben“ werden müssten, um bestimmte Effekte
zu erzielen, wirft zusammen mit jüngsten Verfahren zur Genom-Editierung
wie dem CRISPR-Cas-System auch ethische Fragen auf. So könnte zumindest
international der Trend dahingehen, über seltene Erbkrankheiten hinaus
auch häufige Leiden wie Brustkrebs oder Diabetes durch eine „präventive
Korrektur“ entsprechender Risikomutationen in der Keimbahn menschlicher
Embryonen zu verhindern. „Eine Entwicklung, die im Extremfall dazu
führen könnte, dass es künftig eine wachsende Akzeptanz dafür gibt, das
menschliche Genom mit nicht-medizinischen Eingriffen zu ‚verbessern‘“,
erklärt Harald König.

Außerdem müsse sich die Gesellschaft damit
auseinandersetzen, wie die Eigentumsrechte von genetischen Daten
geregelt und ihre Sicherheit gewährleistet werden kann. Künftig könnte
es beispielsweise möglich sein, anhand von Genomsequenzen direkt auf den
Phänotyp, also beispielsweise das Aussehen von Personen zu schließen.
„Dieses Wissen“, so König, „wäre nicht nur für Strafverfolgungsbehörden
äußerst wertvoll“.

Optionen für politische Entscheidungsträger

Aufbauend auf ihrer Technikfolgenabschätzung wollen
die Forschenden in den kommenden beiden Jahren Optionen für die
Forschungs- und Innovationspolitik erarbeiten. Politischen
Entscheidungsträgern wollen sie zudem verschiedene
Handlungsmöglichkeiten anbieten, die Wege für einen verantwortungsvollen
Umgang mit dieser durch KI und Genomik getriebenen Technologie
eröffnen.

Das Projekt „Deepen Genomics – Chancen und
Herausforderungen der Konvergenz von künstlicher Intelligenz, moderner
Humangenomik und Genom-Editierung” ist Teil der Innovations- und
Technikanalyse (ITA) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
(BMBF). Die aktuellen Forschungsprojekte des Programms werden am 14. und
15. Februar beim ITA-Forum 2019 in Berlin vorgestellt.