(KON) – Kieler Forschungsteam erprobt in vorklinischen Modellversuchen neuartige Immuntherapie gegen bestimmte Blutkrebszellen
Die akute lymphatische Leukämie (ALL) gilt als eine der häufigsten Krebserkrankungen bei Kindern. Diese Form des Blutkrebses geht von bösartig entarteten Vorläuferzellen bestimmter weißer Blutkörperchen aus und verursacht meist eine schnell fortschreitende Verminderung der Knochenmarksfunktion und damit eine gestörte Blutbildung. Unbehandelt kann sie innerhalb kurzer Zeit zum Tod führen. Trotz der Schwere der Erkrankung haben Kinder heute in vielen Fällen gute Überlebens- und Heilungschancen. Die derzeitige Standardbehandlung besteht in verschiedenen Formen der Chemotherapie, die aber wegen ihrer auch für gesunde Zellen toxischen Wirkung schwere Nebenwirkungen hervorrufen. Bei einem gewissen Teil der jungen Patientinnen und Patienten, etwa 15 bis 20 Prozent, schlägt die Behandlung zudem nicht an. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin I des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, erforschen daher Behandlungsalternativen, insbesondere verschiedene Varianten der Immuntherapie. In einer aktuellen vorklinischen Studie untersuchten sie den bereits bei einer anderen Krebserkrankung erfolgreich erprobten Antikörper Daratumumab. Sie erhofften sich eine mögliche Eignung zur Bekämpfung von Blutkrebszellen bei einer Unterform der ALL, der sogenannten T-Zell-ALL. Für diese Art der Erkrankung gibt es bisher keine Form der Immuntherapie. Im Modellversuch konnte in rund 50 Prozent der Fälle eine vollständige Beseitigung der Krebszellen erreicht werden. Ihre aktuellen Forschungsergebnisse veröffentlichten die Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit Forschenden bundesweiter Partnerinstitutionen kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Blood.
Vorklinische Modellversuche zeigen vielversprechende Ergebnisse
Bei der Erforschung neuer Behandlungsformen gegen Krebs zeigt unter anderem die Immuntherapie mit Antikörpern ein vielversprechendes Potenzial. Bei dieser Form der Behandlung kommen künstlich hergestellte Antikörper, also bestimmte synthetische und nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip wirkende Proteine, zum Einsatz. Sie können Zellen des Immunsystems unter bestimmten Umständen dabei helfen, Krebszellen zu erkennen und zu zerstören. In vielen Fällen befindet sich die Erforschung der damit verbundenen Behandlungsmöglichkeiten allerdings noch am Anfang. PD Dr. Denis Schewe, Oberarzt für Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation an der Kinderklinik des UKSH, und sein Forschungsteam führten mit dem Antikörper Daratumumab grundlegende Kombinationsversuche an Mäusen durch, um eine mögliche Wirksamkeit gegen T-ALL-Krebszellen zu erproben. Dabei verglichen sie auch eine reine Antikörperbehandlung mit einer Kombination aus Antikörper- und Chemotherapie.
„Wir konnten erste vielsprechende Ergebnisse verzeichnen: Die Hälfte der mit dem Antikörper behandelten Tiere überlebte langfristig ohne Krankheitsanzeichen“, erklärt der Kieler Kinderonkologe Schewe. Dabei machte es keinen Unterschied, ob sie nur mit dem Antikörper oder mit einer Kombination aus Chemo- und Immuntherapie behandelt wurden. „Die Chemotherapie mit ihren gravierenden Nebenwirkungen erzielte keine Verbesserung und brachte im Fall unseres Modellversuchs keinen zusätzlichen Nutzen“, sagt Schewe. Diese experimentellen Ergebnisse seien aber keinesfalls direkt auf Patientinnen und Patienten übertragbar. „Bei der weiteren Entwicklung der Antikörpertherapie gegen die T-ALL gilt es daher, auch weiterhin in alle Richtungen zu forschen“, betont Schewe.
Translationaler Fokus der Kieler Onkologie
Die Forschungsaktivitäten in der Kieler Kinderonkologie zeigen exemplarisch, wie im Rahmen des an der CAU entstandenen Kiel Oncology Networks (KON) Grundlagen- und Klinische Forschung kooperieren. KON-Mitglied Schewe arbeitete in seiner aktuellen Studie zum Beispiel eng mit dem Dr. Mildred-Scheel-Haus am UKSH zusammen. Mit seiner Sektion für Stammzell- und Immuntherapie dient es auch der Versorgung von Leukämiepatientinnen und -patienten. „Unser Ziel ist es, die Antikörpertherapie gegen die T-ALL weiter zu optimieren. Dazu konnten wir Mitte des Jahres beträchtliche Fördermittel der Deutschen Krebshilfe e.V. einwerben“, sagt Schewe.
„Dr. Schewes Forschungen zu den Möglichkeiten der Immuntherapie bei Blutkrebserkrankungen sind ein Beispiel für die starke translationale Orientierung unseres Netzwerks. Der enge interdisziplinäre Austausch von Forschenden und Klinik sowie forschenden Medizinerinnen und Medizinern wird dabei helfen, künftig auch verbesserte Behandlungsmöglichkeiten im Kampf gegen andere Krebserkrankungen zu entwickeln“, bekräftigt Professorin Susanne Sebens vom Institut für Experimentelle Tumorforschung an der CAU und Sprecherin des Kiel Oncology Networks.
Über das Kiel Oncology Network (KON)
Das Kieler Krebsforschungsnetzwerk wurde 2013 als Bestandteil des CAU-Forschungsschwerpunkts Kiel Life Science mit dem Ziel gegründet, die Forschungsaktivitäten möglichst vieler Grundlagen- und klinisch ausgerichteter Forschenden auf dem Gebiet der Onkologie zu vereinen und deren Zusammenarbeit zu fördern. KON umfasst damit ein breites Spektrum von langjährigen und exzellenten Expertisen im Bereich der Onkologie, u.a. Tumorbiologie, Genetik und Epigenetik, Immunologie, Pharmakologie, Pathologie, Strukturbiologie sowie modernste Bildgebungsverfahren. Die Vision von KON ist es, unter Nutzung von umfassenden und multidisziplinären Analysestrategien, ein deutlich verbessertes Verständnis über alle wichtigen Schritte der Tumorevolution sowie Resistenzmechanismen gegenüber Krebstherapien zu erhalten. Dieses Wissen stellt die Grundlage für die Entwicklung innovativer Diagnose- und Therapiestrategien dar, um die Prognose und das Überleben von Krebspatientinnen und -patienten entscheidend zu verbessern.