Mini-Gehirn aus der Petrischale

Mini-Gehirn aus der Petrischale

Organoide eröffnen neue Einblicke in die Entwicklung unseres Denkorgans, zeigt eine Studie der Uni Bonn

Eine neue Methode könnte die
Erforschung von Entwicklungsstörungen des Gehirns einen wichtigen
Schritt voranbringen. Das zeigt eine aktuelle Studie an der Universität
Bonn. Die Forscher untersuchten darin die Entstehung eines seltenen
angeborenen Gehirn-Defekts. Sie überführten dazu Hautzellen von
Patienten in so genannte „Alleskönner“-Stammzellen. Aus diesen
generierten sie dann Hirn-Organoide – dreidimensionale kleine
„Gewebe-Klümpchen“, deren Aufbau dem des menschlichen Gehirns ähnelt.
Die Arbeit ist nun in der Zeitschrift „Cell Reports“ erschienen.

Mit Hilfe von Humanzellen in
der Kulturschale ließ sich die menschliche Hirnentwicklung bislang nur
sehr eingeschränkt untersuchen: In der Schale wachsen die Zellen
flächig, sie weisen also keine dreidimensionale Architektur auf. Als
Alternative stehen Modellorganismen zur Verfügung, zum Beispiel Mäuse.
Das Denkorgan des Menschen ist jedoch erheblich komplexer aufgebaut.
Entwicklungsstörungen des menschlichen Gehirns lassen sich daher nur
bedingt im Tiermodell nachvollziehen.

Wissenschaftler am Institut
für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn sind in ihrer
Studie einen neuen Weg gegangen: Sie haben dreidimensionale
Gewebe-Strukturen in der Zellkulturschale gezüchtet, deren Aufbau dem
des menschlichen Gehirns erstaunlich ähnelt. Diese „Mini-Gehirne“
erlauben einen Einblick in die Abläufe, mit denen sich einzelne
Nervenzellen zu unserem hoch komplexen Denkorgan organisieren. „Die
Methode eröffnet daher ganz neue Möglichkeiten, um Störungen in der
Architektur des sich entwickelnden menschlichen Gehirns zu untersuchen“,
erklärt Dr. Julia Ladewig, die eine Arbeitsgruppe zur Gehirnentwicklung
leitet.

Seltene Gehirnfehlbildung untersucht

Die Wissenschaftler haben in
ihrer Arbeit das so genannte Miller-Dieker-Syndrom untersucht. Die
Erbkrankheit ist auf einen Chromosomendefekt zurückzuführen. Dieser hat
unter anderem eine Fehlbildung der Hirnrinde zur Folge. „Bei Patienten
ist die Hirnoberfläche kaum gefurcht, sondern mehr oder weniger glatt“,
erklärt Vira Iefremova, Doktorandin und Erstautorin der Studie. Wodurch
diese Änderung zustande kommt, wusste man bislang nur in Ansätzen.

Die Forscher stellten
zunächst aus Hautzellen von Miller-Dieker-Patienten
„Alleskönner“-Stammzellen her, aus denen sie dann Hirn-Organoide
züchteten. In Organoiden organisieren sich die Gehirnzellen selbst –
ganz ähnlich wie im Gehirn eines Embryos: Die Stammzellen teilen sich;
ein Teil der Tochterzellen entwickelt sich zu Nervenzellen; diese
wandern dorthin, wo sie gebraucht werden. Diese Prozesse ähneln einem
komplizierten Orchesterstück, in dem die Erbanlagen den Taktstock
schwingen.

Bei Miller-Dieker-Patienten
ist dieser Prozess grundlegend gestört. „Wir konnten zeigen, dass sich
bei ihnen die Stammzellen anders teilen“, erklärt Privatdozent Dr.
Philipp Koch, der die Studie gemeinsam mit Dr. Julia Ladewig geleitet
hat. „Bei Gesunden vermehren sich die Stammzellen zunächst einmal und
bilden dabei geordnete, dicht gepackte Schichten. Nur ein kleiner Teil
von ihnen differenziert sich und wird zum Beispiel zu Nervenzellen.“

Für die dichte und
gleichmäßige Packung der Stammzellen sind bestimmte Proteine
verantwortlich. Die Bildung dieser Moleküle ist bei Kranken gestört.
Dadurch sind die Stammzellen nicht so eng gepackt und gleichzeitig nicht
so regelmäßig angeordnet. Diese schlechte Organisation führt unter
anderem dazu, dass sich die Stammzellen frühzeitiger differenzieren.
„Die Änderung der dreidimensionalen Gewebe-Struktur führt also
ursächlich zu einem geänderten Teilungsverhalten“, sagt Ladewig. „Dieser
Zusammenhang ist weder im Mausmodell noch in zweidimensionalen
menschlichen Kultursystemen erkennbar.“

Neue Therapieoptionen seien
damit allerdings nicht in Sicht, betont die Wissenschaftlerin. „Wir
betreiben hier Grundlagenforschung. Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass
Organoide das Zeug dazu haben, eine neue Ära in der Hirnforschung
einzuleiten. Und wenn wir die Entwicklung unseres Denkorgans besser
verstehen, erwachsen daraus langfristig vermutlich auch neue
Behandlungsmöglichkeiten für Krankheiten.“

Publikation: Vira Iefremova,
George Manikakis, Olivia Krefft, Ammar Jabali, Kevin Weynans, Ruven
Wilkens, Fabio Marsoner,  Björn Brändl, Franz-Josef Müller, Philipp Koch
und Julia Ladewig: An Organoid-Based Model of Cortical Development
Identifies Non-Cell-Autonomous Defects in Wnt Signaling Contributing to
Miller-Dieker Syndrome; Cell Reports; DOI: 10.1016/j.celrep.2017.03.047