Mein Brief an einen ehemaligen Sachverständigen der Bundesregierung

Brief eines glücklicherweise machtlosen Wissenschaftsjournalisten, der sich der Vernunft verpflichtet fühlt, an einen Wissenschaftler, der ehemals im Beratergremium der Bundesregierung fungierte, aber ebenso den mangelnden Einfluss der Logik beklagt, auf dessen Einladung in sein Institut an der Universität zu Stuttgart. Er hatte einen offenen Brief an die Wissenschafts-Gremien geschrieben

Lieber Professor,

vielen Dank für Ihre prompte Antwort, dank auch für die Übermittlung Ihres Kommentars in der NZZ. Ich bin natürlich im Konzert der Wissenschaftler eine Quantité négligeable, das heißt, ich bin kein Wissenschaftler, sondern versuche die Wissenschaft so zu übersetzen, dass auch normale Menschen daran teilhaben können. Grundsätzlich sind wir Brüder im Geiste. Ich frage mich natürlich, warum unsere logischen Ansätze mit sehr viel Energie gespickt, so wenig Resonanz finden. Im Parallel-Studium habe ich 8 Jahre lang in der Volkswirtschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln vor allem empirische Soziologie studiert, weil ich als kriegsgeschädigter Jüngling, groß geworden in Luxemburg, wissen wollte, wie es überhaupt möglich sein konnte, dass ein zivilisiertes Volk, welches die Deutschen durchaus auch im Kaiserreich waren, einen solch verbrecherischen und psychopatischen nur Lautsprecher wie Hitler  eine Chance gegeben haben. Aus dieser Erkenntnis resultiert auch mein soziales und politisches Engagement – selbst im hohen Alter. Die Schlüsse, die ich daraus gezogen habe, auch wenn das an Sisyphus grenzt, bestimmen mein Handeln. Von Anfang an, als der WDR mir die Chance gab – ich war Studienrat für Mathematik und Physik an einer Berufsfachschule – habe ich mich eingesetzt für die Vermittlung von Verständnis für wissenschaftlich-technische fundamentale Tatbestände für jedermann – wohl unterscheidend zwischen populär und populistisch.

Ich sah voraus, dass die Expansion der Fülle der wissenschaftlichen Ergebnisse für Folgen haben müsste, wenn sich das Volk ausklingt. So wurde ich zu einer Art Prophet, der mit ‚Einführung in die Elektronik‘ (1972) den Übergang von der Röhre zum Transistor für Leute wie ich – ich war ja einmal Elektromechaniker, verständlich machte. Gegen den Spott meiner Kollegen aus der Kultur produzierte ich sogar bei den Nachbarkollegen in der Erwachsenen-Fortbildung die Sendung ‚Digitaltechnik, eine Einführung‘, weil mir natürlich als Ingenieur die Konsequenzen der Digitalisierung schon sehr früh bewusst waren. Eher gezwungenermaßen habe ich mich als Moderator selbst mit eingebracht, weil keiner dazu bereit war oder sich gebärdeten wie eine Art Opernsänger. Alles andere habe ich sozusagen 20 Jahre voraus prophezeit, der Übergang von der Hardware zur Software usw. Alles eigentlich für meine Kollegen, die Handwerker, nicht für die Akademiker.  Dass mir die Umwelt besonders am Herzen lag sieht man daran, dass ich meine erste Sendereihe unter dem physikalisch nicht ganz korrekten Titel ‚Energie, die treibende Kraft‘, 13 Folgen, 1969 als Autor geschrieben habe – drei Jahre vor der Veröffentlichung des ‚Club of Rome‘. Es waren Feature-Beiträge, unmoderiert mit vielen Schlüssel-Experimenten, damals noch mit handgemachten Video-Tricks, ohne Computer. Sie wurde Ende 1970 ausgestrahlt. Der zentrale Begriff war Nachhaltigkeit, dass unsere Kinder und Kindeskinder die gleichen Chancen behalten wie unsere Generation.

Übrigens, diese Serie wurde in allen dritten Programmen wiederholt und hatte den positiven Effekt: meine Kollegen in der Abteilung Wissenschaft und Kultur waren überrascht ob des Erfolgs, inklusive Chefs hatte ich daraufhin 30 Jahre lang  freie Bahn, meine Themen selbst bestimmen zu können. Ich bedaure alle Kollegen, die heute gewissen politischen und Erfolgs-Zwängen unterworfen sind. Nur selten kann man den Journalismus noch als frei bezeichnen. Der WDR hat z. B. einen extrem grünen Anstrich bekommen, so werde ich als Gründer der Redaktionsgruppe völlig negiert. Ich vermute, dass Ihnen, lieber Professor, ähnlich geht, obwohl Sie einmal als Medienberater der Bundespolitik unentbehrlich waren. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt und vielleicht kann ich Sie ein wenig beraten nach dem Prinzip ‚wie sage ich es meinem Kinde?‘, damit die Bürger ‚vor lauter Bäumen noch den Wald erkennen‘ können.

Ihren Artikel in der NZZ fand ich hervorragend, aber er war mit so vielen Informationen bespickt, dass ein nicht geschulter Mensch die Essenz daraus erkennen konnte. Ich glaube, die Entfremdung der Bürger, was die Populisten á la Trump bis zum letzten ausnutzen, liegt auch daran, dass wir Akademiker – insbesondere die Wissenschaftler – vielleicht sogar notwendigerweise, zu Art Parallelgesellschaft mutieren.

Gerne komme ich nach Stuttgart, freue mich auf die Begegnung und hoffe darauf, vielleicht eine Strategie zu entwickeln, wie wir die schlimmsten Folgen der politischen Traum-Tänzerei begrenzen können, die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ich bin beidseitig geimpft und die Inzidenz ist so niedrig, dass wir eine Begegnung schon im Juni wagen können. Mein Sohn Joern, Professor für Biologie an der Universität in Straßburg, sagte mir, dass die Franzosen schon lange wieder Präsenz üben. Die Online-Methode kommt mir langsam zu Hals heraus.

Viele Grüße   Jean Pütz