Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie: Männliches Hormon könnte weibliche Libido nach Eintritt des Wechsels fördern
Bochum – Frauen,
die nach dem Wechsel unter einer sexuellen Lustlosigkeit leiden, können
ihr Verlangen möglicherweise durch eine Behandlung mit dem männlichen
Geschlechtshormon Testosteron steigern. Darauf deuten neuere
Studienergebnisse hin, die die bisherige grundsätzliche Ablehnung von
Hormonexperten gegen den Einsatz von Testosteron bei Frauen lockern. Die
Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) hält in Übereinstimmung
mit der amerikanischen Endocrine Society einen Behandlungsversuch für
gerechtfertigt, allerdings nur nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und
Risiken, einer engmaschigen Überwachung der Laborwerte und des
Befindens vor und unter der Therapie. Vor der Einnahme von „Lustpillen“
aus dem Internet warnen die Experten ausdrücklich.
Das
Sexualhormon Testosteron wird sowohl vom männlichen wie vom weiblichen
Organismus gebildet. Bei Frauen wird das Hormon von den Eierstöcken und
den Nebennieren freigesetzt. „Eine steigernde Wirkung auf die Libido ist
seit Längerem bekannt“, sagt Professor Dr. med. Thomas Strowitzki, der
an der Frauenklinik des Universitätsklinikums Heidelberg die Abteilung
für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen leitet.
„Früher war in Deutschland sogar ein Testosteronpflaster für Frauen
zugelassen, denen etwa wegen einer Krebserkrankung die Eierstöcke
entfernt werden mussten.“ Die Hormontherapie milderte die Folgen der
vorzeitigen Wechseljahresbeschwerden, zu denen häufig auch ein
Libidoverlust gehört.
Den
Einsatz von Testosteron bei Frauen, die nach dem natürlichen Eintritt
des Wechsels über das Schwinden ihres sexuellen Verlangens klagten,
lehnten die Endokrinologen jedoch bislang ab. Mit ein Grund waren
fehlende Tests, mit denen die Testosteronkonzentrationen im Blut
zuverlässig bestimmt werden konnten. Mit der Tandem-Massenspektrometrie
gibt es inzwischen ein solches Messinstrument. Eine exakte
Hormonbestimmung ist wichtig, um eine Überdosierung zu vermeiden. Zu
viel Testosteron führt bei Frauen zu Akne und einer männlichen
Behaarung. Langfristig drohten auch Risiken für das
Herz-Kreislaufsystem. Niedrige Testosteronspiegel bedingen jedoch
keinesfalls zwangsläufig zu sexuellen Problemen.
Ein
weiterer Grund für die Neuorientierung der Wissenschaftler ist die
steigende Bereitschaft unter Medizinern, den Libidoverlust als eine
gesundheitliche Störung anzuerkennen. Sexuelle Probleme, insbesondere
eine sexuelle Lustlosigkeit, können Frauen sehr belasten und die
Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Oft geht das mangelnde
Interesse an sexueller Aktivität auch mit einem verminderten Ansprechen
auf erotische Stimuli sowie einer verminderten körperlichen und
psychischen Erregung einher. Diesem versucht der nicht unumstrittene
Leitfaden der US Psychiater DSM 5 auch durch den Begriff „sexual
interest arousal disorder“ Rechnung zu tragen.
„Sexuelle
Probleme sind häufig multifaktoriell bedingt. Vor Beginn einer
Testosteronbehandlung muss daher natürlich geklärt werden, ob nicht
andere Gründe für die Entstehung des Problems verantwortlich sind“, sagt
Gynäkologin Dr. med. Anneliese Schwenkhagen aus der Praxis für
Gynäkologische Endokrinologie am Gynaekologicum in Hamburg.
Wie
eine Behandlung aussehen könnte, hat die amerikanische Endocrine
Society im Oktober in einer Praxisleitlinie im Journal of Clinical
Endocrinology and Metabolism beschrieben. Die US-Endokrinologen halten
einen Behandlungsversuch über drei bis sechs Monate für gerechtfertigt,
wenn eine Frau in den Wechseljahren einen Rückgang des sexuellen
Interesses bemerkt und darunter leidet. „Entscheidet man sich für eine
solche Behandlung, ist eine engmaschige Überwachung von Therapieerfolg
und Nebenwirkungen erforderlich. Dies schließt auch Kontrollen der
Testosteronspiegel vor und unter der Therapie ein“, erläutert Dr.
Schwenkhagen. Da zurzeit in Deutschland leider kein entsprechendes
speziell für Frauen entwickeltes Präparat zur Verfügung steht, muss man
individuell mit der Patientin entscheiden, wie eine solche Therapie
aussehen könnte.
DGE-Mediensprecher
Professor Dr. med. Dr. h. c. Helmut Schatz warnt davor, im Internet
nach „Heilmitteln“ zu suchen. Dort sind neben Hormonpflastern auch
„Lustpillen“ oder „Viagra für Frauen“ im Angebot. Produkte wie
„Lybrido“, „Lovegra“ oder „Ladygra“ seien keine der Gesetzeslage
entsprechend geprüften und zugelassenen Medikamente. Ob sie die
versprochene Wirkung entfalteten, sei ungewiss. Zudem gebe es wie bei
allen Produkten aus dem Internet keine Garantie, dass die Mittel
überhaupt die versprochenen Wirkstoffe enthalten.
Literatur:
Wierman
ME1, Arlt W, Basson R, Davis SR, Miller KK, Murad MH, Rosner W, Santoro
N. Androgen therapy in women: a reappraisal: an Endocrine Society
clinical practice guideline. J Clin Endocrinol Metab. 2014
Oct;99(10):3489-510. doi: 10.1210/jc.2014-2260