(Pioneer Briefing) – Wann immer irgendwo ein neuer Windpark oder eine Photovoltaik-Anlage eingeweiht wird, wird gerne vom „Ende des Ölzeitalters“ gesprochen. Das allgegenwärtige Ziel sei es, das „Ende von fossilen Energien einzuläuten“, verkündete etwa Annalena Baerbock bei der UN-Klimakonferenz im vergangenen Jahr.
Auch als die Richter in Den Haag vor zwei Jahren den Ölkonzern Shell per Gerichtsurteil festlegen wollten, seine CO2-Emissionen ehrgeiziger zu senken als bisher geplant, waren die Medien euphorisch gestimmt: Die Beschlüsse seien historisch, schrieb die Zeitschrift „Capital“. Shell müsse nun gezwungenermaßen sein Geschäftsmodell ändern.
Seither hat sich viel bewegt, nur leider in die andere Richtung:
- Das fossile Imperium weitet sich aus. 655 von 685 der Unternehmen, die Erdöl und Erdgas fördern, wollen ihre Produktion ausbauen und neue Quellen erschließen. Das geht aus einer neuen Analyse der Nichtregierungsorganisation urgewald hervor. „Öl- und Gasfirmen und besonders die Oil Majors zeigen keine glaubwürdige Transformation“, sagt urgewald-Sprecherin Stefanie Jellestad.
- Zwar gelobten alle Mineralölfirmen, deutlich mehr in Wind, Solar und Bioenergie zu investieren. Ein Großteil ihres Kapitals stecken sie aber heute weiterhin in das Geschäft mit fossilen Energien.
- Auch die Investoren an der Börse haben den Glauben an das schnelle Ende des Ölzeitalters verloren und investieren heftiger denn je in die sechs großen Konzerne des fossilen Imperiums – Saudi Aramco, Shell, BP, ExxonMobil, Chevron, Total Energies. Die Börsenkapitalisierung von Saudi Aramco übertrifft den Wert aller DAX-Konzerne deutlich.
Die Demut der Shell-Manager nach dem Urteil ist längst wieder der alten Selbstgewissheit gewichen. Der CEO des britischen Öl- und Gaskonzerns machte vor ein paar Tagen klar:
Die ganze Branche profitierte von der großen Nachfrage nach Öl und Gas und den hohen Energiepreisen. Das Stichwort der Dekarbonisierung der Volkswirtschaft kursiert in der Sphäre der Politik und hat die Betreiber und Profiteure des fossilen Zeitalters erkennbar nicht erreicht.
Shell hat seinen Gewinn im vergangenen Jahr auf 40 Milliarden US-Dollar im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt – nach Angaben des Konzerns der höchste jemals verzeichnete Gewinn.
Der größte US-Ölkonzern Exxon Mobil strich 2022 einen Nettogewinn von knapp 56 Milliarden Dollar ein – rund 140 Prozent mehr als im Vorjahr und das höchste Ergebnis in der mehr als 140-jährigen Geschichte des Unternehmens.
Unverzüglich erlahmt der Ehrgeiz zum Ausstieg aus dem alten Geschäftsmodell:
Ursprünglich wollte Shell seine Ölproduktion bis 2030 um ein bis zwei Prozent senken. Jetzt wurde beim Kapitalmarkttag den Investoren verkündet, dass Shell die Ölproduktion stabil halten und die Gasproduktion ankurbeln wolle. Zwischen 2023 und 2025 will der Öl-Riese 40 Milliarden US-Dollar in die Öl- und Gasproduktion investieren.
BP verkündete, sein Ziel für die Reduzierung der Öl- und Gasproduktion erheblich zu senken: von 40 Prozent auf nur noch 25 Prozent bis 2030. CEO Looney:
Die Ölkonzerne sind zwar heute auch Investoren bei erneuerbaren Energien, aber das fossile Geschäft ist noch immer gigantisch im Vergleich dazu. Gemessen an ihren Investitionsmöglichkeiten sind die grünen Bemühungen nicht mehr als ein Feigenblatt.
Den Aktienkursen hat die Strategie der Öl- und Gaskonzerne gut getan. Seit Januar 2022 haben Exxon Mobil (+78 Prozent), Chevron (+37 Prozent), Shell (+45 Prozent) oder Total (+27 Prozent) große Kurssprünge hingelegt.
Die Realität ist: Der fossile Markt bleibt attraktiver. Bei Öl und Gas sind die Ölmultis Marktführer, bei erneuerbaren Energien nicht. Und: Der Markt für erneuerbare Energien ist noch klein im Vergleich zum klassischen Markt für Öl und Gas. Die weltweiten Klimakonferenzen haben die Marktdynamik der fossilen Konzerne beeinflusst, aber nicht grundlegend verändert.
Fazit: Der Fortschritt ist in den Politikerreden ein Jaguar und in der Wirklichkeit eine Schnecke. Wenn man den Status quo in nur einer Grafik festhalten wollte, dann wäre es wohl diese: