Kinder sollten gegen Rotavirus geimpft werden

2019/03/2019 In Australien ging in der Periode vom Jahr 2000 bis 2015 die Inzidenz von neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes bei Kindern ab dem Jahr 2008 zurück (1,2). Im Mai 2007 war in Australien die orale Impfung gegen Rotavirus bei allen Kindern ab der 6. Lebenswoche eingeführt worden, an der schätzungsweise 84% aller Kinder teilnahmen. In Australien werden so gut wie alle Kinder mit neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes vom National Diabetes Services Scheme erfasst. Für alle 0-14 Jährigen ergab sich zusammen eine mittlere Rate von 12.7 (95% CI, 11.0 -14.8) Fällen pro 100.000 Kindern. Für die Teilnehmer von 0-4 Jahre errechnete sich ein Rückgang der Inzidenz nach Einführung der Rotavirus-Impfung von 14% (p=0.04). Für die älteren Kinder (5-9 und 10-14J) war der Rückgang nicht signifikant

Den Autoren war schon vor längerer Zeit ein Zusammenhang zwischen einer Rotavirus-Infektion, der häufigsten Ursache einer Gastroenteritis in der Pädiatrie, und dem Auftreten von diabetesspezifischen Antikörpern bei genetisch empfänglichen Kindern aufgefallen. Bei Mäusen triggerte das Rotavirus den Tod von ß-Zellen im Pankreas und eine transiente Hyperglykämie. Schließlich fand man auch ein Oberflächen-Antigen des Rotavirus, VP7 genannt, das strukturell den Betazell-Autoantigenen ähnlich war, die bei der Entstehung eines Typ-1-Diabetes beteiligt waren. Somit könnte diese „molekulare Mimikrie“ das Immunsystem so alterieren, dass die Betazell-Attacken gefördert werden (siehe 2). An Mäusen entfaltete auch eine Impfung gegen das Enterovirus Coxsackie-B eine Schutzwirkung vor Typ-1-Diabetes (3). Diese Viren stehen ebenfalls im Verdacht, zu einem Betazellverlust zu führen. Frau Teresa Rodiguez-Calvo vom Diabetes-Institut des Helmholtz-Zentrums in München (Direktorin: Frau Prof. Anette Ziegler) erforscht mit ihren Mitarbeiter*innen schon seit vielen Jahren einen Zusammenhang zwischen Virusinfektionen und endokrinem Pankreas (Übersicht: Lit. 4, siehe auch 5).

Rotavirus-Infektionen dürften aber nur einer von den bei der Entstehung eines Typ-1-Diabetes beteiligten Umweltfaktoren bei genetisch empfänglichen Kindern sein. Die Rotavirus-Impfung schützt jedoch möglicherweise zumindest bei einem Teil der Kinder vor Typ-1-Diabetes. Aus der gefundenen Assoziation kann man freilich keinen kausale Zusammenhang ableiten. Vielleicht sind andere Änderungen in den Umweltbedingungen, die zur gleichen Zeit stattfanden, die Ursache für den epidemiologisch beobachteten Rückgang des Typ-1-Diabetes bei den Kindern. Fraglich ist auch, ob ein gleiches Phänomen auch in anderen Ländern zu finden ist. So hat eine Fall-Kontroll-Studie in Finnland an knapp 500 Kindern dieses nicht gesehen (6). In Australien zumindest nahmen nach der Rotavirus-Impfung seit 2008 die neuen Fälle von Typ-1-Diabetes von 130 auf 110 pro Jahr ab (2).

Wenn man so wie auch der DGE-Blogbeauftragte (H.S) das jahre- und jahrzehntelange Suchen nach Präventionsmöglichkeiten des Typ-1-Diabetes zumindest bei genetisch belasteten Neugeborenen und Kindern verfolgt, so wird man von den Australischen Resultaten beeindruckt sein. Man muss abwarten, ob sich tatsächlich ein kausaler Zusammenhang finden lässt und ob die Resultate auch bei uns reproduzierbar sind. Ob in Deutschland eine 84%ige (!) Rate von Rotavirus-Impfungen erzielbar ist, erscheint dem Referenten gerade bei der heute weit verbreiteten Impfmüdigkeit oder sogar Impfgegnerschaft höchst unwahrscheinlich, wenn auch bei uns die Ständige Impfkommission STIKO seit 2013 die Rotavirus-Impfung für Kleinkinder zum Schutz vor Durchfällen und Magen-Darm-Erkrankungen empfiehlt.

Prof. Helmut Schatz

Diektor a.D. der medizinischen Universitätsklinik Bergmannsheil der Ruhr-Universität Bochum. Seit seiner Emeritierung arbeitet er als niedergelassener Arzt in einer Praxis. Der Schwerpunkt liegt auf der Endokrinologie und der Diabetologie.