Killervideo kann zum Mord motivieren

Phantasien, Tag- oder Nacht-Träume entwickeln sich häufig zu einer Art
"Nebenrealität"; sie kann durch Medienkonsum intensiviert werden. Unter
Umständen kann die Grenze zwischen Realität und Nebenrealität
verschwimmen, die Nebenrealität wird in die Tat umgesetzt. Jürgen
Bartsch – Mörder von vier kleinen Jungen – war das prominenteste
Beispiel, schreibt der Psychiater Prof. Dr. Reinhart Lempp (Stuttgart)
in der aktuellen Ausgabe "Forensische Psychiatrie und Psychotherapie".

 

"Wer sehr häufig und regelmäßig Videos oder Filme mit einer bestimmten
Figur anschaut, die seiner Wunschvorstellung entspricht, wird sich mit
dieser identifizieren – je länger, je intensiver." Im Extremfall einer
"Überidentifikation meint der Rezipient, er sei jetzt tatsächlich
derjenige, mit dem er sich identifiziert hatte und der er immer sein
wollte. Wir finden diese Überidentifikation am ehesten bei Jugendlichen
in der Pubertät oder unmittelbar danach – oder bei Menschen mit einer
Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ." In diesem Kontext sieht
Lempp eine große Zahl von Straftätern – und besonders spektakulär
School Shootings.

 

"Bei dem Maskenmörder in Gersthofen, der am 12. März 2002 ein ihm
unbekanntes achtjähriges Mädchen ohne äußeren Anlass tötete, gab es
eine typische Vorbereitungsphase mit intensivem Konsum eines bestimmten
Videos mit der Gestalt des Todes, mit dem er sich identifizierte und
dessen Habitus er kopierte." Nicht die Aggression gegen ein bestimmtes
Opfer war das Motiv, sondern die Übernahme einer ganz bestimmten Rolle,
in die er sich über eine längere Zeit eingelebt hatte. "Das Motiv lag
in dieser Überidentifizierung."   

 

Reinhart Lempp:

Mörderische Phantasien und Wirklichkeit – die kriminologische Bedeutung der Nebenrealität

Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 3/2006, S. 17-49

 

 

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