Die KI-Strategie der Regierung ist nur eine Wunderkerze
Wie steht es um die Innovationsfähigkeit unseres Landes? Die
aktuellen Wirtschaftszahlen sind gut, ja, doch die Alarmzeichen häufen
sich. Das World Competitiveness Ranking der Schweizer Businessschule IMD,
eine der renommiertesten globalen Benchmarkstudien, kommt zu
ernüchternden Ergebnissen. Im Jahr 2014 lag Deutschlands
Innovationskraft noch auf Platz sechs. Mittlerweile auf Platz 15. Bei
Digitalisierung gar auf Platz 17. Systematischer Sinkflug einer
Hightech-Nation.
Deutschlands komparativer Vorteil beim Außenhandel mit
Spitzentechnologie fällt negativ aus gegenüber Frankreich,
Großbritannien, Schweiz, Südkorea und den USA, die sämtlich positive
Werte liefern. Unser vielgerühmter deutscher Mittelstand ist jenseits
der rund 1600 Hidden Champions (noch) nicht ausreichend gerüstet für die
disruptive Kraft der Digitalisierung. Die Zahl unserer
Hightech-Gründungen befindet sich auf einem historischen Tiefstand.
Unter den Beiträgen zu der renommiertesten internationalen KI-Konferenz
NIPS war Deutschland 2017 marginal vertreten.
Die Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, ja, auch
die Sicherung unseres Wohlstands, wird sich gerade an dieser Frage
entscheiden, wie sich Deutschland bei der Schlüsseltechnologie KI
aufstellt. Bislang sieht es düster aus.
Am 3. und 4. Dezember will die Bundesregierung auf ihrem
Digitalgipfel in Nürnberg ihre künftige KI-Strategie vorstellen. Was sie
bislang darüber verlautbart hat, enttäuscht. Aber die Hoffnung stirbt
bekanntlich zuletzt. Falls die Verantwortlichen sich doch noch den Ernst
der Lage bewusst machen und mehr als eine Wunderkerze abbrennen
möchten, hier fünf Punkte, worauf es wirklich ankommt.
#1 Die Wettbewerber ins Visier nehmen
Strategie ohne Wettbewerbspositionierung ist blauäugig. Die
Bundesregierung muss Vergleichsmaßstäbe benennen, so dass sich
beurteilen lässt, ob und in welchem Tempo Deutschland zu den globalen
Playern USA und China aufschließt. Der KI-Strategie der Bundesregierung
fehlt bislang jegliches komparatives Strategie-Monitoring. Die Tür zur
reinen Ankündigungspolitik steht weit offen.
#2 Fortschritt kontrollieren
Dem KI-Papier der Bundesregierung fehlen Kriterien für eine
Erfolgskontrolle, um Fortschritte, Stagnation und Rückschritte sichtbar
zu machen. Das Thema KI-Monitoring etwa ist der Bundesregierung müde
vier Zeilen wert in ihrem 80-Seiten-Papier. Hingegen strotzt es vor
Input-Indikatoren. Die sind aber nicht das entscheidende Kriterium.
Messen müssen wir nicht nur, was wir hineingeben, sondern vor allem, was
dabei herauskommt: Output! Key-Performance-Indikatoren (KPI) wie zum
Beispiel Fortschritte Deutschlands in internationalen Open-Data-Indizes,
KI-Kompetenzen von Hochschulabsolventen, Marktanteile von in
Deutschland entwickelter KI-Hard- und Software. Wer nur auf Input setzt,
landet da, wo Deutschland heute steht: zum Beispiel bei der Entwicklung
der Patentfamilien im Machine Learning weit hinter Kanada, Korea,
Japan, China und USA. Deutschland hat derzeit nur 175 KI-Start-ups,
Großbritannien hingegen 445 und die USA 2594.
#3 Statt Ankündigungsrhetorik konkrete Herausforderungen meistern
Schlüsselthema in der Umsetzung ist die KI-Expertenlücke. Es fehlen
rund 10.000 Top-Experten für Big Data und Data Sciences. Zudem fehlen
85.000 KI-Architeken, vor allem in der Medizin und im Ingenieurswesen,
die ihr spezifisches Fachwissen mit KI-Know-how verbinden.
Es gilt die alte Wirtschaftsweisheit: „Success is 10 percent
inspiring strategy, 90 percent brilliant execution.“ Das KI-Papier
müsste Antworten darauf geben, wie derart viele KI-Experten hierzulande
gewonnen und ausgebildet werden sollen. 100 angekündigte KI-Professuren
und zwölf Kompetenzzentren klingen zwar gut, sind aber nur ein Teil der
Miete. In welchem Zeitraum? Gehen die Verantwortlichen dies in einem
Kraftakt von 18 Monaten an? Oder wird es nur wieder ein schleppender
Prozess über viele Jahre? Antworten darauf fehlen genau so wie ein
Maßnahmenplan für KI-Expertengewinnung und -Nachwuchssicherung.
Deutschland läuft die Zeit davon. Die Bundesregierung tut so, als habe
sie dies verinnerlicht. Aber den Ernst der Lage hat sie nicht begriffen.
#4 Megathemen der Zukunft nicht mit Peanuts abspeisen
Deutschland hinkt nicht nur bei den personellen, sondern auch bei den
finanziellen Ressourcen massiv hinterher. Die KI-Strategie muss mit
Haushaltsmitteln solide hinterlegt sein. Auch die angekündigten 3 Mrd.
Euro von 2018 bis 2025 sind digitale Peanuts, wenn man sie auf Dutzende
Einzelprojekte verteilt. Unklar ist bislang zudem, ob in diesem Betrag
bereits angekündigte KI-Projekte wie die Cybersicherheitsagentur
aufgehen. Beschlossen hat der Bundestag für die KI-Strategie bislang nur
50 Mio. Euro für 2019. Der Rest ist heiße Luft. Wir brauchen
Budgettransparenz.
#5 Verantwortung bündeln, Digitalministerium schaffen
Die KI-Strategie muss eine klare Verantwortlichkeit benennen: Wir
brauchen ein koordinierendes Bundesdigitalministerium für die mehr als
100 staatlichen Initiativen für Digitalisierung (inklusive der
KI-Strategie), die heute unter diverse Einzel- oder
Mehrfachzuständigkeiten der Ministerien fallen.
Was bislang über diese KI-Strategie bekannt ist, riecht nach Wunderkerze. Deutschland braucht aber einen Dauerbrenner!