Die Jesiden – geprügelt und ermordet! – eine der friedlichsten Religionen ohne missionarischen Eifer
Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)
Das Jesidentum – eine monotheistische Religion
Bochum, im Dezember 2018:
Im vergangenen Jahr habe ich, erfreut über das Wiederauffinden meiner
in Kyoto während des 8. Internationalen Endokrinologiekongresses 1988
erstandenen kleinen Statue eines Amida-Buddha zu Weihnachten einen
Blogbeitrag über den Buddhismus geschrieben, insbesondere in seiner
tibetanische Ausprägung der Gelug-Schule, dessen Oberhaupt der 14. Dalai
Lama ist, Friedensnobelpreisträger 1989.
Am Heiligen Abend feiert die Christenheit die Geburt
ihres Erlösers Jesus Christus zu Bethlehem. In dieser Zeit mag es auch
angezeigt sein, auch über andere Glaubensrichtungen auf unserer Welt
nachzudenken. Letztes Jahr war es der Buddhismus, in diesem Jahr soll es das Jesidentum sein.
Mein Emeritus-Zimmer am Bochumer Universitätsklinikum „Bergmannsheil“
wird schon seit vielen Jahren von einer Jesidin gepflegt. Mit ihr
unterhielt ich mich oft und eingehend über ihre Religion, lange bevor im
Sommer 2014 fast täglich im Fernsehen Bilder über das schwere Schicksal
der Jesiden während des Krieges mit dem „Islamischen Staat“ in Syrien
und im Irak zu sehen waren. Die Raumpflegerin hat schon früh ebenfalls
einen Jesiden geheiratet, wie es in ihrer Religion Pflicht ist. Jetzt
ist sie als noch junge Frau bereits Mutter von drei größeren Kindern.
Man kann nur als Jeside geboren werden und beide Elternteile müssen Jesiden sein.
Das Jesidentum ist keine missionarische Religion. Heiratet ein/e
Jeside/in eine/n Andersgläubige/n, so verläßt er/sie die religiöse
Gemeinschaft. Früher meinte man, das Jesidentum sei eine vom Islam
abgespaltene Glaubensrichtung oder eine iranische Religion. Heute sieht
man in ihm eine eigenständige, monotheistische Religion,
wenn auch von anderen Bekenntnissen manches übernommen wurde, so etwa
Erklärungsmodelle der Weltentstehung und -Entwicklung vom Zoroastrismus.
Auch Elemente des orientalischen Christentums, insbesondere der
nestorianischen Eucharistie und der Gnosis findet man. Nach Auffassung
der Jesiden selbst habe ihre Religion schon vor dem Christentum
existiert und sei aus dem altpersischen Mithras-Kult oder dem der Meder
hervorgegangen.
Gott hat nach jesidischem Glauben die Welt aus einer Perle erschaffen.
Aus dieser entwickelten sieben Engel das Universum mit allen seinen
Himmelskörpern. Die Abstammung der Jesiden gehe nur auf Adam, nicht auf
Eva zurück. Der Mensch ist in erster Linie für sich selbst
verantwortlich, es gibt kein Prinzip des „Bösen“. Sein Leben endet nicht
mit dem Tod, sondern erlangt nach einer Seelenwanderung einen neuen
Zustand. Jede/r hat eine/n „Seelenbruder“ oder eine „Seelenschwester“,
der oder die schon zu Lebzeiten für das Jenseits ausgesucht wird.
Im Jesidentum existieren keine „heiligen Schriften“,
der Glaube wird nur mündlich überliefert. Die beiden Bücher , das „Buch
der Offenbarung und die „Schwarze Schrift“ wurden erst zu Beginn des
20. Jahrhunderts veröffentlicht. Vielmehr wird der Glaube durch Lieder
und Bräuche weitergegeben. Taus-i Melek, der „Engel Pfau“ wurde vom allmächtigen Gott zum Oberhaupt der sieben Engel bestimmt.
Daher ist der Pfau bei den Jesiden heilig*) und dient als religiöses
Symbol (siehe Abb.). Scheich Adi ist die
zweite wichtige Gestalt für Jesiden. Er lebte als Reformer im 11.-12.
Jhdt. und gilt für viele als Inkarnation von Taus-i Melek. Begraben ist
er in Lalisch im Norden des Irak und eine Pilgerfahrt an sein Grab ist
Pflicht für jeden Jesiden, so wie für einen Moslem nach Mekka.
Das Kastensystem der Jesiden, das Scheich Adi
begründete, kann man kaum mit dem der Hindus vergleichen. Das einzig
Gemeinsame ist die Geburt in eine Kaste und das Verbot einer Hochzeit
zwischen Angehörigen verschiedener Kasten**). Sonst gibt es keine
Unterschiede wie etwa in Indien. Jeder kann unabhängig von seiner Kaste
oder seinem Geschlecht jeden Beruf ausüben. Von den drei Kasten sind die Scheichs und die Pirs als Geistliche die religiösen Führungspersonen. Die größte ist die dritte Kaste, die der Muriden.
Insgesamt gibt es heute weltweit etwa 800.000 Jesiden. Die meisten
sind Kurden im Norden des Irak (150.000-350.000), der Rest ist weit über
die Welt verteilt, weshalb manche vom Jesidentum als einer der
„Weltreligionen“ sprechen. Die Residenz des geistlichen und weltlichen
Oberhauptes, des Mir Schaichan Mire Scheichan, liegt in der Nähe von Mossul in Baadhra nahe bei Lalisch, wo sich das Grab von Scheich Adi befindet.
In Deutschland leben etwa 60.000 Jesiden. In Hannover sitzt der weltliche Jesidenführer Mir Tahsin Beg, dessen Sohn, Hashim Mir Tahsin Beg ein unabhängiges Kurdistan befürwortet. Die Beg-Familie steht in engem Kontakt mit der Barzani- Familie. Der Referent hatte als Assistent seines Chefs Prof. Karl Fellinger in Wien, den der damalige Kurdenführer Barzani in den 1960er Jahren am Allgemeinen Krankenhaus in der Alserstraße 4
aufsuchte, diesen medizinisch mit zu betreuen. Er litt an einem
Kehlkopfkrebs. Stolz und aufrecht trug er seinen mächtigen weißen
Turban trotz seiner schweren, zum Tode führenden Erkrankung. Somit
reichen die Kontakte des Referenten mit Angehörigen des Jesidentums von
der jetzigen Raumpflegerin seines Bochumer Emerituszimmers zurück bis
zur Begegnung mit einem der mächtigsten Jesidenführer vor bald einem
halben Jahrhundert.
*) Ähnlich gilt bei den Hindus die Kuh als heiliges Tier, bei den
alten Germanen war es das Pferd. Manche sagen, dass viele Deutsche
unbewusst deshalb auch heute noch kein Pferdefleisch essen, im
Unterschied etwa zu den Franzosen oder auch den Kasachen, wenn sie auch
dafür – rationalisiert – „geschmackliche“ Gründe anführen.
**) Man denke hier an unseren Adel und die übrige Bevölkerung,
oder auch an unterschiedliche soziale Schichten. Vor gar nicht so langer
Zeit waren – und sind auch heute noch – „Mesalliancen“ bei uns
verpönt.