Irisdiagnose – Wissenschaftlicher Humbug

Irisdiagnostik ist medizinisch sinnlos

Berlin
– Organschwächen, Rheuma oder Stoffwechselprobleme: Die Iridologie, die
zu den alternativen Diagnoseverfahren zählt, will an der Regenbogenhaut
des Auges Erkrankungen erkennen und sogar vorhersagen können. Diese
Behauptung sei aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht unhaltbar,
betonen Augenärzte im Vorfeld des 116. Kongresses der DOG Deutsche
Ophthalmologische Gesellschaft. Die Deutung von Farbe, Flecken oder
Furchen an der Iris sei für Diagnosezwecke ungeeignet. Was die
Regenbogenhaut wirklich über unseren Körper verrät, erläutern Experten
auf einer Vorab-Pressekonferenz am 20. September 2018 in Berlin.

Einige
krankhafte Veränderungen der Regenbogenhaut können tatsächlich auf
Systemerkrankungen des Körpers hindeuten. „Das angeborene Fehlen der
Iris etwa kann auf einen Nierentumor hinweisen, Knötchen an der Iris auf
eine Trisometrie 21, die Tumorerkrankung Neurofibromatose oder die
entzündliche Gewebserkrankung Sarkoidose“, berichtet Frau Professor Dr.
med. Nicole Eter, Präsidentin der DOG und Direktorin der
Universitäts-Augenklinik Münster. Zudem können sich bösartige Tumoren
der Lunge oder der Brustdrüse an der Iris absiedeln.

Änderungen
der Struktur in Form von Furchen, Streifen, Farbe oder Flecken hingegen
besitzen keine medizinische Aussagekraft. Davon geht die Iridologie
jedoch aus. „Eine Fehlannahme“, wie Professor Dr. med. Martin Rohrbach
von der Universitäts-Augenklinik Tübingen betont. „Bis heute gibt es für
die Irisdiagnostik keine anatomische oder physiologische Evidenz“,
stellt der DOG-Experte fest. Sie sei medizinisch sinnlos. Bei den
„Irisflecken“ etwa handle es sich um harmlose Ansammlungen von
Pigmentzellen. „Die bräunlichen Punkte hat fast jeder im Auge“, so
Rohrbach.

Dementsprechend
konnten die Thesen der Iridologie noch in keinem einzigen Fall
wissenschaftlich bestätigt werden. „Egal, ob es sich um Karzinome des
Magen-Darm-Traktes handelte oder Gallenblasenleiden: Die Irisdiagnostik
kam über die reine Ratewahrscheinlichkeit nicht hinaus“, sagt Rohrbach.
Bücher aus dem Jahr 1954, die von Anhängern der Iridologie zur
Begründung ihrer Verfahren herangezogen werden, entsprächen in keinster
Weise mehr heutigen Standards.

Die
neue Iridologie geht auf Ignaz von Péczely (1826 bis 1911) zurück, der
als Kind bei der Abwehr einer Eule dieser ein Bein brach und danach im
Auge des Vogels einen „Balken“ zu erkennen meinte. Er schloss daraus,
dass körperliche Veränderungen an der Regenbogenhaut sichtbar werden
können.

In
der Folge entwickelten Iridologen, die weit überwiegend als
Heilpraktiker tätig sind, die Anschauung, dass der gesamte Körper mit
der Iris „nerval verkabelt“ ist. Alle Teile des menschlichen Körpers
sollen demnach in Form von „Organfeldern“ repräsentiert sein – die
rechte Körperhälte in der rechten Iris, die linke in der linken Iris,
die obere Körperhälfte in den oberen und die untere in den unteren
Regenbogenhaut-Hälften. An Änderungen der Struktur könnten
zurückliegende, aktuelle und künftige Erkrankungen abgelesen werden.
Derzeit sind in Deutschland etwa 45.000 Heilpraktiker tätig, von denen
schätzungsweise 5.000 bis 8.000 iridologisch tätig sein dürften.

Dass
die Iridologie nach wie vor umfangreich nachgefragt wird, führt der
Tübinger Ophthalmologe vor allem auf einen Umstand zurück:
„Heilpraktiker und Iridologen besitzen etwas sehr Wertvolles, das wir
Ärzte in Zeiten der auch ökonomisch bedingten Verdichtung für unsere
Patienten sehr oft leider nicht mehr erübrigen können: ausreichend
Zeit.“