Kritik am Impfen ist so alt wie die Impfungen selbst. Nachdem Edward Jenner 1796 den Erfolg
der Pockenimpfung nachgewiesen und sich seine Methode rasch verbreitet hatte, dauerte
es nicht lange, bis manche Staaten eine Pockenimpfpflicht eingeführt hatten. Dies traf beim
überwiegenden Teil der jeweiligen Bevölkerung auf Verständnis und Zustimmung, doch eine
Minderheit protestierte lautstark gegen diese Zwangsmassnahme. Sie sah die »Freiheit des
Bürgers« in Gefahr und befürchtete zudem gesundheitliche Schäden als Folge der Pockenimpfung.
Dies war die Geburtsstunde einer fundamentalen »Impfkritik«, die in manchen Kreisen
bis heute anhält.
Parallel zum Widerstand gegen die Impfpflicht begann eine intensive Suche nach alternativen
Möglichkeiten, sich vor gefährlichen Krankheiten zu schützen und somit Impfungen verzichtbar
zu machen. Im Folgenden sollen tatsächliche und vermeintliche Alternativen kritisch beleuchtet
werden.
Ist Impfen unverzichtbar?
Nein! Jeder kann abwägen und selbst entscheiden, ob er sich selbst bzw. sein Kind impfen
lässt. Zum Glück leben wir in einer liberalen Gesellschaft, die dem Einzelnen grösstmögliche
Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung zugesteht. Dies beinhaltet Angelegenheiten der
eigenen Gesundheit. Es gibt bei uns auch keine indirekten Repressalien bei Verzicht auf Impfungen.
Keinem Kind wird der Besuch des Kindergartens oder der Schule verweigert, wenn es
entgegen den öffentlichen Empfehlungen gegen eine oder mehrere Infektionskrankheiten
nicht geimpft ist. In den USA ist dies anders: Dort kann einem nicht oder unzureichend geimpften
Kind der Zutritt zu Gemeinschaftseinrichtungen untersagt werden.
Viele Impfungen stehen erst seit wenigen Jahren zur Verfügung, und die erste Impfung (gegen
Pocken) wurde erst vor etwas mehr als 200 Jahren eingeführt. Die Menschheit hat bis dahin
ohne Impfungen überlebt – allerdings sind viele Menschen an Krankheiten gestorben, vor
denen Impfungen schützen können. Heute wird ein Kind, das nicht geimpft ist, mit grösster
Wahrscheinlichkeit unbeschadet durch Wundstarrkrampf, Masern oder andere Infektionskrankheiten
sein Leben meistern, denn das Risiko für Komplikationen (Masern: ca. 1:1.000)
bzw. überhaupt zu erkranken (Wundstarrkrampf: geschätzt 1-mal bei mehreren 10.000 Verletzungen)
ist relativ gering. Insofern kann man Impfen als eine Art Versicherung ansehen, die
dann greift, wenn man das Pech hat, zu den wenigen zu gehören, die ungeschützt Schaden erleiden
würden. Auch von den nicht gegen Feuer versicherten Häusern brennen nur die wenigsten
ab, und nicht jeder Autofahrer, der ohne Sicherheitsgurt fährt, verunglückt.
Aus diesem Blickwinkel ist der völlige Verzicht auf Impfen eine mögliche Alternative zum
allgemein empfohlenen Impfprogramm, wenn man bereit ist, das dadurch entstehende Risiko
in Kauf zu nehmen.
Nützt Impfen wirklich?
»Impfen nützt nicht, Impfen schützt nicht!« Dieser Behauptung, die häufig gegen Impfen angeführt
wird, muss man grundsätzlich widersprechen. Sie führt die Bevölkerung in die Irre.
Den Beweis für diese kühne Behauptung bleiben die Impfgegner allerdings schuldig.
Aber nicht nur die Wirksamkeit von Impfungen wird angezweifelt, gleichzeitig wird dem
Impfen an sich und damit impfenden Ärzten unterstellt, man schädige absichtlich (!) Menschen,
indem man ihnen Impfungen verabreicht. Dazu zitiert AEGIS, ein Verein von
Impfgegnern, den Homöopathen Dr. Grätz: »Langjährige Beobachtung und Erfahrung bestätigen
immer wieder, dass die Menschen von Generation zu Generation zunehmend kränker
werden. Denken wir heutzutage nur an die vielen Kinder mit Neurodermitis, spastischer Bronchitis,
Asthma, Heuschnupfen, Tierhaarallergien, dauernden Mittelohrentzündungen, Legasthenie,
Hyperaktivität, Aggressivität und Gewalttätigkeit oder körperlichen und geistigen Behinderungen!
Später — in der Pubertät — gesellen sich dann in zunehmendem Masse Probleme
mit der Reproduktionsfähigkeit dazu (Menstruationsbeschwerden, Tubenverklebungen,
Eierstockentzündungen, genitale Pilzinfektionen, Eileiterschwangerschaften, Fehl- und Frühgeburten)
bis hin zu absoluter Sterilität. Das alles hat es in diesem Ausmass in der letzten —
geschweige denn in der vorletzten – Generation noch nicht gegeben! Die Menschheit steuert,
wenn sie so weitermacht, der allergrössten biologischen Katastrophe zielstrebig entgegen,
nämlich der Gefahr, sich selbst der Fortpflanzungsfähigkeit zu berauben! Was dies bedeutet,
brauchen wir nicht näher zu erläutern. Und wiederum muss ein Grossteil dieser Schäden den
derzeit so viel gepriesenen Impfungen angelastet werden!«
Man gewinnt den Eindruck, dass hier Impfen in Bausch und Bogen verurteilt und für viele tatsächlich
ungelöste medizinische und soziale Probleme unserer modernen Gesellschaft verantwortlich
gemacht wird. Diese Behauptungen sind jedoch weder biologisch plausibel noch
werden sie wissenschaftlich bewiesen. Im Gegenteil, diese Behauptungen sind längst durch
Studien widerlegt worden, was aber verschwiegen wird.
Das Berufsethos schreibt Ärzten vor, ihren Patienten in erster Linie keinen Schaden zuzufügen.
Wenn der Schaden den Nutzen überwiegen würde, wäre Impfen also moralisch verwerflich.
Doch das Gegenteil ist der Fall! Nach diesen Behauptungen würde auch der Staat seiner
Bevölkerung bewusst Schaden zufügen, wenn er – wie dies der Fall ist – für den Impfgedanken
eintritt und die notwendigen Voraussetzungen für das Impfen schafft.
Macht eine gesunde Lebensweise Impfungen überflüssig?
Nein! Die populäre These, dass bei einer gesunden Lebensweise Impfungen nicht notwendig
seien, beruht auf einem grundlegenden Missverständnis. Man weiss, dass gewisse Mangelzustände
Infektionskrankheiten begünstigen können: Hungernde Kinder erkranken z. B. öfter
und schwerer an Infektionskrankheiten als gut ernährte Kinder, weil ihre Abwehrkräfte durch
das Hungern stark beeinträchtigt sind. Auch ein Mangel an Vitamin C begünstigt das Auftreten
von Infektionskrankheiten, insbesondere Erkältungskrankheiten. Unter unseren heutigen
Lebensbedingungen treten bei einer normalen Ernährung derartige Mängel praktisch nicht
auf.
Das Missverständnis entsteht durch den Umkehrschluss: Man meint, durch besonders gute Ernährung
die Infektionsabwehr aus dem Normalzustand auf ein höheres Niveau versetzen zu
können. Dies ist jedoch leider nicht möglich. Selbst bei optimaler Ernährung können Infektionskrankheiten
wie die Masern oder auch die echte Grippe (Influenza) ihr Unheil anrichten.
Selbstverständlich fördert eine gesunde Lebensweise – z. B. ausgewogene, abwechslungsreiche
Ernährung, körperliche Aktivität, ausreichend Schlaf – nachweisbar das Wohlbefinden
und damit die Gesundheit. Sie bietet jedoch keinen Schutz vor schweren, lebensbedrohlichen
Infektionskrankheiten, wie z. B. eine eitrige Hirnhautentzündung oder Sepsis (Blutvergiftung)
durch Meningokokken. Gerade Letztere treten sogar überdurchschnittlich häufig bei Jugendlichen
auf, die sich in einem sehr gesunden Lebensabschnitt (d. h. durch wenige Krankheiten
belastet) befinden.
Warum nicht Infektionskrankheiten behandeln,
statt durch Impfen vorzubeugen?
Sinn und Zweck des Impfens ist es, den Ausbruch von bestimmten Infektionskrankheiten zu
verhindern. Dem steht die Alternative gegenüber, den Ausbruch einer Infektionskrankheit in
Kauf zu nehmen und die entstehende Krankheit zu behandeln. Hinter dieser Alternative steht
die Ansicht, das Durchmachen einer Infektionskrankheit sei für den Organismus günstig, und
etwaige ungünstige Begleiterscheinungen (z. B. bleibende Schäden) liessen sich durch eine
angemessene Behandlung vermeiden.
Doch leider gibt es eben keine wirksame Behandlung gegen die meisten Infektionserreger, gegen
die wir Impfungen empfehlen. So ist beispielsweise bis heute kein Medikament verfügbar,
welches Masern-, Mumps- oder Rötelnviren angreifen könnte. Deshalb sind auch die dadurch
entstehenden Schäden (wie z. B. Hirnentzündung durch Masernviren, Taubheit durch
Mumpsviren oder Schädigung des Embryos durch mütterliche Rötelninfektion in der Schwangerschaft)
bis zum heutigen Tag nicht behandelbar. Die Wirksamkeit der in manchen Büchern
propagierten homöopathischen Rezepturen gegen diese Viruskrankheiten ist nie nachgewiesen
worden.
Gelegentlich werden Infektionskrankheiten, die man durch Impfung verhindern kann, und solche,
bei denen dies nicht möglich ist, in einen Topf geworfen. Tatsächlich haben umfangreiche
Untersuchungen der letzten Jahre ergeben, dass bestimmte Infektionskrankheiten in der
frühen Kindheit (vor allem im Säuglings- und Kleinkindesalter) anscheinend vor der Entstehung
von Atopie (Überbegriff für Allergien, wie z. B. Heuschnupfen, Asthma, Nahrungsmittelallergien)
schützen. Dabei handelt es sich aber in erster Linie um banale Infektionen der
Atemwege (Erkältungskrankheiten) und Infektionen des Verdauungstrakts. In Übereinstimmung
mit dieser Erkenntnis steht die Beobachtung, dass Kinder, die häufig und regelmässig
Kontakt mit mehreren anderen Kindern haben (seien es eigene Geschwister oder in Kindertagesstätten),
seltener an Allergien leiden als solche, die behütet in einer Kleinfamilie aufwachsen.
Daraus kann man jedoch nicht ableiten, dass geimpfte Kinder nicht mehr die Chance haben,
sich mit Infektionserregern auf natürliche Weise auseinander zu setzen, und dass sie deshalb
vermehrt an Allergien erkranken. Denn die wenigen Infektionskrankheiten, die durch Impfungen
verhindert werden, stellen nur einen geringen Teil aller Infektionen dar, die ein Kind in
seinen ersten Lebensjahren durchmacht.
Sollte man Impfungen lieber später geben als empfohlen?
Gelegentlich raten Ärzte, Impfungen später durchzuführen, als von Experten empfohlen wird.
Das betrifft insbesondere Impfungen, die zur mehrfachen Gabe im ersten Lebensjahr vorgesehen
sind. Diese Ärzte kommen der Vorstellung von Eltern entgegen, der Säugling bzw. sein
Immunsystem könnte durch die vielen Impfungen »überlastet« werden. Dass dem nicht so ist,
ist wissenschaftlich belegt. Später zu impfen ist sogar gefährlich, da der Säugling bis zu dem
Zeitpunkt, an dem der Impfschutz vollständig ist, ungeschützt bleibt.
Hinzu kommt, dass sich viele Säuglinge augenscheinlich vom Schmerz des Einstichs der Injektionsnadel
nicht oder nur wenig beeinträchtigt zeigen. Hingegen können ältere Kinder (wie
übrigens auch Jugendliche und Erwachsene) unter Umständen panische Angst vor einer
Injektion entwickeln. Dies kann es sehr schwierig machen, jenseits des Säuglingsalters eine
Grundimmunisierung umzusetzen, die aus mehreren Einzelimpfdosen besteht.
Es ist bedauerlich, dass diese Informationen, die für die Entscheidung des gewünschten Impfzeitpunkts
sehr wichtig sind, den Eltern nicht immer erläutert werden. Denn welches Elternpaar
möchte sein Kind einem Risiko aussetzen, wenn dies ohne erkennbaren Vorteil ist?
Sind »homöopathische Impfstoffe« eine Alternative?
Selbst die meisten Homöopathen lehnen »homöopathische Impfstoffe« kategorisch ab, da sie
nicht den Grundprinzipien von Samuel Hahnemann, dem Begründer der klassischen Homöopathie,
entsprechen. Dieses Prinzip lautet, Gleiches mit Gleichem zu behandeln: Krankheitsverursachende
Ausgangssubstanzen werden so lange verdünnt, bis sie ihre schädigenden Eigenschaften
verlieren und die körpereigenen Heilkräfte anregen. Homöopathen sind davon
überzeugt, dass die Substanzen mit jeder Verdünnung (»Potenzierung«) an Wirkungskraft gewinnen.
Dies ist mit naturwissenschaftlichen Methoden jedoch nicht nachweisbar.
»Homöopathische Impfstoffe« sind extreme Verdünnungen herkömmlicher Impfstoffe und
werden als potenzierte Impfstoffe angepriesen. Da aber durch die starke Verdünnung eine
Antwort des Immunsystems ausbleibt, ist es nicht verwunderlich, dass diese »Impfstoffe« keine
Wirkung entfalten.
Prof. Dr. Ulrich Heininger ist seit 2001 Leitender Arzt für Infektiologie und Vakzinologie
am Universitäts-Kinderspital beider Basel, Schweiz. Zudem ist er Senatsmitglied der
Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Mitglied im Technical
Oversight Committee for the Global Network for Postmarketing Surveillance of Prequalified
Vaccines und der „Working Group on Vaccine pharmacovigilance“ der
Weltgesundheitsorganisation (WHO), stellvertretender Vorsitzender der Ständigen
Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) und Präsident der European Society for
Paediatric Infectious Diseases“ (ESPID).
Leopoldina-Symposium Schutzimpfungen, Berlin, 8. November 2010
Dr. Christian W. Mandl:
Impfstoffe für das 21. Jahrhundert
Schutzimpfungen gegen Infektionskrankheiten stellen die effektivste medizinische
Intervention dar, die die Wissenschaft hervorgebracht hat. Krankheiten, die über Jahrhunderte
zu den größten Geiseln der Menschheit zählten, wie die Pocken, die Kinderlähmung oder der
Wundstarrkrampf, wurden mit Hilfe von Impfungen fast oder vollständig eliminiert. Nachdem
viele der klassischen Kindererkrankungen aus dem klinischen Alltag fast verschwunden sind,
stellt sich die Frage nach der Rolle von Impfungen im 21. Jahrhundert. Wir beobachten eine
rasante und aufregende Entwicklung neuer Technologien, die neue, vielversprechende
Anwendungsgebiete erschliessen wie z.B. die Verhinderung oder auch Behandlung von
Krebs, Infektionen alter oder geschwächter Personen oder der umfassende Schutz von Mutter
und Kind während und nach der Schwangerschaft. Die Entwicklung neuer Impfstoffe gegen
bakterielle Meningitis ist ein gutes Beispiel für den Erfolg neuer Technologien. Ein rasch
wachsendes Verständnis der atomaren Strukturen, neuartiger Vektoren, und immunologischer
Mechanismen tragen dazu bei, die Vision von Impfungen als freundliche, sichere
Lebensversicherung für das ganze Leben Wirklichkeit werden zu lassen.
Christian W. Mandl is the head of US Research for Novartis Vaccines, and is global head
for all viral vaccine research projects. Christian is a world renowned expert in flaviviruses,
and is a co-inventor on several patents related to a marketed vaccine for tick borne
encephalitis. He currently oversees a team of 90 researchers with plans to expand the center
rapidly over the next 5 years.
Prior to joining Novartis, Christian was the Assistant Head of the Clinical Institute of
Virology at Medical University of Vienna, where he still holds a professorship in Virology.
His prior works involves the investigation of molecular mechanisms or the interactions of
viruses with their host organisms targeting novel medical applications, enabling new antiviral
strategies and applications in vaccine development or viral gene vectors.
Christian holds a MD and PhD from University of Vienna, and a Master of Science
(Biochemistry) from Pennsylvania State University. He earned his postdoctoral lecture
qualification in Molecular Virology and was certified as a Medical Specialist in Virology by
the Austrian Medical Association. He lives in Lexington, MA, with his wife and five children.
Leopoldina-Symposium Schutzimpfungen, Berlin, 8. November 2010
Prof. Dr. Thomas C. Mettenleiter:
Innovative Veterinärimpfstoffe
Klassisch attenuierte Lebendimpfstoffe und Inaktivatvakzinen spielen bei der Kontrolle und
Eradikation von Infektionskrankheiten bei Nutztieren weiterhin eine bedeutende Rolle. Die
rasante Entwicklung der Molekularbiologie und die Möglichkeiten der Gentechnik haben aber
auch die Impfstoffentwicklung in der Veterinärmedizin revolutioniert. So wurden im
veterinärmedizinischen Bereich die ersten gentechnisch gezielt veränderten Lebendimpfstoffe
zur Bekämpfung der Aujeszkyschen Krankheit, einer Herpesvirusinfektion des Schweins, seit
Ende der 1980er Jahre eingesetzt. Das dabei erstmals realisierte Prinzip der serologischen
Unterscheidung zwischen geimpften und infizierten Tieren, das eine gleichzeitige
Verringerung des Infektionsdrucks durch Impfung und trotzdem eine einfache Erkennung und
Eliminierung Feldvirus-infizierter Tiere erlaubt, führte innerhalb von 15 Jahren zur
Eradikation des Erregers aus der Schweinepopulation u.a. in Deutschland und den USA.
Damit sind im Veterinärbereich gentechnisch modifizierte Lebendimpfstoffe schon seit ca. 20
Jahren im Einsatz. Ein ähnlicher Ansatz wird gegenwärtig bei der Bekämpfung der bovinen
Herpesvirusinfektion vom Typ 1 realisiert.
Weitergehende Entwicklungen führten zu den ersten einsatzfähigen viralen Vektorimpfstoffen
zur Bekämpfung von Tollwut und Geflügelpest, gefolgt von einer Reihe von Impfstoffen auf
unterschiedlicher Vektorbasis gegen vor allem virusbedingte Krankheiten der Nutztiere.
Gentechnische Veränderungen erlaubten auch die Konstruktion von chimären Erregern, die
die Sicherheit lange bekannter Impfstoffe mit neuen immunogenen Eigenschaften verbinden
sollen. Letztlich wurden im Veterinärbereich auch die ersten DNA-Impfstoffe für den breiten
Einsatz zugelassen. Die Entwicklung von ‚eßbaren’ Impfstoffen durch die gezielte
Manipulation von Futterpflanzen befindet sich dagegen noch im Forschungsstadium.
Prof. Dr. rer. nat. habil. Dr. med. vet. h.c. Thomas C. Mettenleiter ist Präsident des
Friedrich Loeffler-Instituts, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit auf Greifswald-Insel
Riems und außerplanmäßiger Professor an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald.
Seine Hauptarbeitsgebiete sind die molekulare Virologie, molekulare Grundlagen der
Herpesvirusinfektion, die molekulare Analyse der Pathogenese von Herpesvirusinfektionen,
Neurovirulenz und Neurotropismus von Herpesviren, die Analyse neuronaler Netzwerke mit
Hilfe gentechnisch veränderter neurotroper Herpesviren, die Bekämpfung virusbedingter
Tierseuchen, Konstruktion und Einsatz markierter Impfstoffe, die Entwicklung gentechnisch
hergestellter Impfstoffe gegen virusbedingte Krankheiten landwirtschaftlicher Nutztiere sowie
die Entwicklung viraler Vektorimpfstoffe.
Leopoldina-Symposium Schutzimpfungen, Berlin, 8. November 2010
Prof. Dr. Volker Moennig:
Eradikation von Tierseuchen durch Impfung
Tierseuchenepidemien haben von alters her die Ernährungsbasis der Menschheit bedroht.
Auch heute entstehen noch erhebliche Produktionsverluste durch Infektionskrankheiten; die
Weltorganisation für Tiergesundheit geht von etwa 30 Prozent aus. Dabei handelt es sich
nicht nur um epidemische Seuchen mit hoher Ausbreitungstendenz sondern auch um
endemische Infektionen, die die Effektivität der Tierproduktion erheblich mindern können.
Ausgehend von den Erkenntnissen Pasteurs, der 1895 den ersten wirksamen Impfstoff gegen
die Tollwut entwickelt hatte, und der Identifizierung von Viren als Tierseuchenerregern durch
Loeffler und anderen, wurden Anfang des 20. Jahrhunderts erste virale Tierimpfstoffe
entwickelt. Nach ersten Versuchen mit der Simultanimpfung gegen Schweine- und Rinderpest
wurden Tierseuchenerreger durch Passagen in heterologen Wirten attenuiert und als
Impfstoffe verwendet. Alternativ dazu wurden Methoden zur Vermehrung und Inaktivierung
von Krankheitserregern entwickelt, die dann als Inaktivatvakzinen eingesetzt wurden. Die
gefürchtetsten Seuchen Rinderpest, klassische Schweinepest und Maul- und Klauenseuche
konnten mit diesen Impfstoffen effektiv bekämpft werden. Mit der Verbesserung der
Impfstoffqualität und –sicherheit wurde die flächendeckende prophylaktische Vakzinierung in
Nordamerika, Australien und in vielen europäischen Ländern zu einer Vorstufe der
Eradikation von z.B. der Maul- und Klauenseuche oder der klassischen Schweinepest. Analog
zu den Pocken des Menschen wird die Rinderpest 2011 dank systematischer Impfkampagnen
und begleitender hygienische Maßnahmen als erste Tierseuche global eradiziert werden. Ein
weiterer Meilenstein der Impfung gegen Tierseuchen war die Einführung der oralen
Immunisierung von Wildtieren mit attenuierten Lebendimpfstoffen gegen Tollwut und
klassische Schweinepest. Beide Seuchen können durch eine geeignete Impfstrategie getilgt
werden.
Prof. Dr. Volker Moennig ist Direktor des Instituts für Virologie, Zentrum für
Infektionsmedizin, derTierärztlichen Hochschule Hannover. Von 1993 bis 1995 war er Leiter
und später Präsident der ehemaligen Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere
(heute Friedrich-Loeffler-Institut), von 1997 bis 2001 Rektor der Tierärztlichen Hochschule
Hannover. Seine Arbeitsgebiete sind die Pathogenese, Epidemiologie und Bekämpfung von
Pestivirusinfektionen sowie die Entwicklung von labordiagnostischen Methoden zur
Erkennung von Pestiviren. Er ist Leiter des OIE und EU-Referenzlabors für klassische
Schweinepest.
Leopoldina-Symposium Schutzimpfungen, Berlin, 8. November 2010
Dr. Michael Pfleiderer:
Nutzen-Risiko-Analyse von Impfstoffen, die Balance zwischen Wirkungen
und Nebenwirkungen
Effiziente vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung von Infektionskrankheiten bieten
optimale Voraussetzungen zur Vermeidung teils massiver gesundheitlicher
Beeinträchtigungen und gelten demzufolge sowohl medizinisch als auch
gesundheitsökonomisch als konkurrenzlos.
Unspezifische, z.B. passive Vorsorgemaßnahmen mögen dabei, alleine oder in der
Kombination, lediglich dazu beitragen sich dem Ideal der Krankheitsvermeidung anzunähern.
Zudem lässt sich dieses Minimalziel nur für den Teil derer erreichen die sich für solche
Vorsorgemaßnahmen interessieren und sich auch aktiv daran beteiligen.
Einzig und alleine spezifisch wirkende Maßnahmen, die den Mechanismus der
Krankheitsentstehung zielgerichtet blockieren oder sogar ausschalten können, werden dem
zuvor genannten Ideal gerecht.
Dabei ist die Auswahl an geeigneten Interventionsoptionen zur Postexpositionsprophylaxe
oder Therapie von Infektionskrankheiten relativ begrenzt. Chemisch definierte Arzneimittel,
an erster Stelle die Antibiotika, aber auch die wenigen verfügbaren Antiviralia, können
prophylaktisch zur Verhinderung einer spezifischen Infektionserkrankung oder zu deren
Therapie eingesetzt werden. Allerdings hängt der Erfolg vom rechtzeitigen Erkennen einer
Expositionsgefahr sowie von einer präzisen Erregerdiagnose ab. Der dauerhafte
prophylaktische Einsatz dieser Arzneimittel in weiten Bevölkerungsteilen ist medizinisch und
ökonomisch aber nicht vertretbar.
Im Gegensatz dazu stellen Impfstoffe als wesentlich komplexere Arzneimittelgruppe ein
nachhaltiges und spezifisches Konzept zur Krankheitsvermeidung dar, das zudem sicher und
kostengünstig ist. Diese Vorteile werden von keiner anderen prophylaktischen Maßnahme
auch nur annähernd erreicht. Impfstoffe müssen nur wenige Male angewendet werden um
eine effektive Grundimmunisierung zu bewirken. Auffrischimpfungen stellen die
Aufrechterhaltung des Immunschutzes langfristig sicher. Mit dieser Strategie ist es in den
vergangenen Jahrzehnten gelungen viele der verheerendsten Infektionskrankheiten in den
Hintergrund zu drängen.
Erstaunlicherweise entwickelt sich ausgerechnet diese einzigartige Erfolgsgeschichte derzeit
zu einem Paradoxon der besonderen Art. Gerade weil durch den globalen Einsatz von
Impfstoffen Infektionskrankheiten für die Bevölkerung aber auch für die Fachkreise oftmals
nicht mehr wahrnehmbar sind, werden beide Gruppen zunehmend empfänglich für Zweifel
bezüglich des Nutzens von Impfungen. Zudem werden unvermeidbare und vermutete
Nebenwirkungen von Impfungen immer häufiger zu Schreckensszenarien uminterpretiert die
zu einer massiv zunehmenden Verunsicherung aller betroffenen Gruppen beitragen.
Letztendlich ergibt sich aus diesem Dilemma eine sich ständig steigernde Ablehnung von
Impfungen was wiederum bedeutende Risiken für den einzelnen, die Bevölkerung und das
Gesundheitssystem bedeutet kann. Mit anderen Worten, aus einer sinkenden Akzeptanz von
Impfstoffen wird sich zwangsläufig die Rückkehr ansonsten impfpräventabler
Infektionskrankheiten ergeben. Damit würde zwar die Notwendigkeit von Impfungen wieder
erkennbar werden, jedoch sollte ein solches Lehrstück aus medizinischen und ethischen
Gründen unbedingt vermieden werden.
Es gilt also Nutzen und Risiken von Impfstoffen und Impfprogrammen vernünftig und
transparent zu vermitteln, denn das wahre Risiko für den Einzelnen besteht in einem
mangelnden Immunschutz der letztendlich zu einer Infektion und zur Erkrankung mit allen
möglichen Folgerescheinungen führen kann. In den seltensten Fällen ergibt sich für den
Einzelnen ein Impfrisiko das den Nutzen der Impfung deutlich überwiegt.
Bedeutende Chancen für Gesundheitssysteme ergeben sich, heute wie in der Vergangenheit,
durch die Förderung des Impfgedankens und durch die wohl durchdachte Aufnahme neuer
Impfstoffe in öffentliche Impfempfehlungen. Der Nutzen neuer Impfstoffe und die Erfassung
der möglichen Risiken muss dabei langfristig ermittelt werden. Kurzfristige
Schlussfolgerungen, begründet auf Verdachtsmomenten, haben sich in der Vergangenheit fast
immer als unzutreffend herausgestellt.
Ein wissenschaftlich transparenter, gut kommunizierbarer und weniger nervöser Umgang mit
alten und neuen Impfkonzepten wäre für die Zukunft wünschenswert.
Dr. Michael Pfleiderer ist Leiter des Fachgebiets Virusimpfstoffe am Paul-Ehrlich-Institut
Langen, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Anwendungen. Er ist Chairman
der Vaccine Working Party (VWP) des Committee for Human Medicinal Products (CHMP),
Chairman der Pandemic Task Force (ETF) bzw. der Joint EMA-Industry Task Force der
European Medicines Agency (EMA), Vertreter des Paul-Ehrliche-Instituts in der CHMP
Biologics Working Party (BWP), Chairman CHMP/BWP Influenza ad hoc Working Group,
Mitglied der Koordinierungsgruppe des CHMP, Mitglied der Bund-Länder-Expertengruppe
Influenza Pandemieplanung, Mitglied der Pandemiekommission am Robert Koch-Instituts
sowie WHO-Berater zu diversen Impfstoffthemen
Leopoldina-Symposium Schutzimpfungen, Berlin, 8. November 2010
Prof. Dr. Andreas Radbruch:
Von der Immunologie zur Vakzinologie
Vor mehr als 200 Jahren hat sich in Europa die Wissenschaft der Immunologie entwickelt, in
Folge der äusserst erfolgreichen Impfungen mit Kuhpocken (Vakzine). Umso erstaunlicher,
dass die Immunologen erst jetzt beginnen, das Immunologische Gedächtnis zu verstehen, die
Grundlage der Immunität und des Impferfolges. Es wird deutlich, wie angeborenes und
erworbenes Immunsystem für eine erfolgreiche Immunantwort zusammenarbeiten, welche
Rolle die Pathogene dabei spielen, welche Zellen kooperieren, und wie das Immunsystem
dann ein zweischichtiges Gedächtnis für den Impfstoff entwickelt. Aus B Lymphozyten
entstandene Plasmazellen sezernieren als Zellen des schützenden Gedächtnisses mehrere
tausend Antikörper pro Sekunde. Gedächtnis-B und Gedächtnis-T Lymphozyten werden
bereitgehalten, um als reaktives Gedächtnis im Fall einer Überforderung des schützenden
Gedächtnisses einzugreifen. Die Vakzinologie wird durch die Immunologie zur Wissenschaft
der Entwicklung und Optimierung von Impfverfahren aus einem grundlegenden Verständnis
der Immunität.
Prof. Dr. rer.nat. Andreas Radbruch ist wissenschaftlicher Direktor des Deutschen
Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ) und Professor für Experimentelle Rheumatologie
an der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin (Charité). Seine
Forschungsschwerpunkte sind Autoimmunität, Entzündung und Immunpathologie, die
Biologie von T und B Lymphozyten und Plasmazellen, die Entwicklung und molekulare
Prägung des immunologischen Gedächtnisses sowie die Entwicklung von Immuntechnologie:
Zytometrie und Zellsortierung.