Das humane Herpesvirus 6 ist beim
Menschen weit verbreitet. In der Regel wird es vom Körper unter
Kontrolle gehalten, bei Menschen mit einem schwachen Immunsystem kann es
aber zu Krankheiten führen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am
Helmholtz Zentrum München, Mitglied im Deutschen Zentrum für
Infektionsforschung (DZIF), haben nun Virusbestandteile identifiziert,
an denen so genannte Killer-T-Zellen angreifen können – ein möglicher
Ansatz für neue Therapien, wie sie in ‚PLOS Pathogens‘ berichten.
Die
meisten Menschen erwerben das humane Herpesvirus 6, kurz HHV-6, bereits
in der frühen Kindheit. Es handelt sich dabei um einen entfernten
Verwandten des Herpes-Simplex-Virus, das die bekannten Bläschen im
Mundbereich verursacht, hat aber ganz andere Auswirkungen. Die Infektion
mit HHV-6 kann im Säuglings- oder frühen Kleinkindalter zum sogenannten
Dreitagefieber führen. Später verbleibt das Virus lebenslang im Körper.
Obwohl es im Allgemeinen die Gesundheit nicht beeinträchtigt, vermutet
man, dass HHV-6 zur Entstehung von Autoimmunerkrankungen und des
chronischen Erschöpfungssyndroms (englisch: chronic fatigue syndrome)
beitragen kann. Gesichert ist: Patienten mit stark geschwächtem
Immunsystem, beispielsweise nach Transplantationen, haben
Schwierigkeiten, das Virus unter Kontrolle zu halten. Das kann zu
schwersten Schädigungen verschiedener Organe führen.
Killer-T-Zellen erkennen 16 verschiedene Virusstrukturen
Um diesem Risiko entgegenzuwirken,
beschäftigen sich Wissenschaftler am Helmholtz Zentrum München damit,
wie das Immunsystem das Virus in Schach hält. „Wir studieren den
Werkzeugkasten des Immunsystems“, erklärt PD Dr. Andreas Moosmann, der
in der Abteilung Genvektoren die DZIF-Forschergruppe HOCOVLAR* leitet.
„Und wir haben ein paar interessante neue Werkzeuge entdeckt, die wir
bereits nachbauen konnten.“
Konkret untersuchten die Forscher, welche
Strukturen des Virus die Killer-T-Zellen bevorzugt angreifen. Sie können
infizierte Zellen zerstören und so die Vermehrung des Virus im Körper
verhindern.
Angeführt von Erstautorin Larissa Martin und
Doktorandin Alexandra Hollaus entdeckten die Forscher 16 Strukturen des
Virus, an denen HHV-6-spezifische Killerzellen andocken und angreifen
können. Dazu durchsuchten sie den Erreger zunächst digital mit Hilfe
eines Algorithmus, der knapp 300 mögliche Angriffsstellen
identifizierte**. Weitere Analysen reduzierten den Kreis auf 77
Möglichkeiten. Den Wissenschaftlern gelang es, gegen 20 davon
entsprechende T-Zellen herzustellen, von denen 16 tatsächlich ihr Ziel
binden und die infizierte Zelle zerstören konnten.
„Es können offenbar sehr unterschiedliche
Virusproteine als Zielstruktur für das Immunsystem dienen“, so Andreas
Moosmann. „Zudem beobachten wir bei gesunden Personen regelmäßig
T-Zellen gegen diese Strukturen genauso wie bei
Transplantationspatienten, die das Virus in Schach halten können.“ "Wir
sind nun dabei, dies bei einer größeren Zahl von Patienten zu
überprüfen", fügt PD Dr. Johanna Tischer hinzu – sie ist
Transplantationsmedizinerin am Klinikum Großhadern***. Langfristig
wollen Andreas Moosmann und sein Team die Erkenntnisse für neue
Therapien nutzbar machen: „Ein Ausbruch des Virus könnte möglicherweise
verhindert werden, indem man Patienten HHV-6-spezifische Killer T-Zellen
verabreicht. Bis dahin haben wir aber noch ein gutes Stück Arbeit vor
uns.“
Weitere Informationen
*
HOCOVLAR steht für Host Control of Viral Latency and Reactivation
(sinngemäß: Unterdrückung der Virus-Latenz und Virus-Reaktivierung durch
den Virusträger). Die Forscher beschäftigen sich mit der T-Zell-Antwort
auf weit verbreitete menschliche Viren wie das Epstein-Barr-Virus, das
Cytomegalievirus oder eben HHV-6. Langfristiges Ziel ist es,
T-Zell-basierte Therapien zu entwickeln, um Krankheiten zu verhindern
und zu heilen, die durch diese Viren verursacht werden. Weitere
Informationen unter www.helmholtz-muenchen.de/hocovlar
** Bei diesen Strukturen handelt es sich um
Peptide, also Bruchstücke von Proteinen des Virus – auch Viren bestehen
zum guten Teil aus Proteinen. Die Peptide entstehen, wenn Proteine des
Virus im Inneren der infizierten Zelle abgebaut werden. Diese Peptide
werden dann, immer noch im Zellinneren, an menschliche Proteine
gebunden, die HLA-Moleküle genannt werden. Die Verbindung aus
Virus-Peptid und HLA-Molekül wird dann an die Oberfläche der Zelle
transportiert und dort präsentiert. Wenn dazu passende T-Zellen eine
solche Verbindung auf der Oberfläche einer Zelle vorfinden, dann
erkennen sie daran die infizierte Zelle, werden gegen sie aktiv und
leiten ihre Abtötung ein.
*** PD Dr. Johanna Tischer ist Oberärztin und
leitet die Abteilung für hämatopoetische Stammzelltransplantation der
Medizinischen Klinik III des Klinikums der Universität München.
Hintergrund:
T-Zellen
vermitteln die zelluläre Immunabwehr. Werden im Organismus Antigene
erkannt, also körperfremde Strukturen wie z.B. Bestandteile von
Erregern, beginnt ein Differenzierungsprozess der T-Zellen, um die
verschiedenen Abwehrfunktionen auszuführen. Ein wichtiger Typ von
T-Zellen sind die CD8+ T-Zellen. Diese sind zytotoxischen
Effektor-Zellen, die infizierte bzw. veränderte Zellen im Körper
abtöten. Nach Abklingen der Infektion können Effektor-Zellen sich zu
Memory-Zellen entwickeln, die als immunologisches Gedächtnis dienen.