Heizen mit Abwasser

Trotz raffinierter Dämmtechnik haben selbst moderne, energie-optimierte Gebäude ein massives Wärmeleck: die Abwasserleitung. Das zum Baden, Waschen und Putzen verbrauchte Wasser fließt lauwarm in die Kanalisation – Energie, die sich nutzen lässt?

In der Schweiz wird Energie aus dem Abwasser in über 50 Projekten für die Gebäudeheizung eingesetzt. Ein Pionier ist das Sportzentrum Bachgraben in Basel-Allschwil. Seit 1982 kommt hier die Wärme für Umkleideräume und Duschen aus dem Abwasser. In Luzern wird seit kurzem ein Hotel, in Schaffhausen eine Uhrenfabrik mit Abwasser-Wärme geheizt. Auch in mehreren deutschen Städten gibt es Pilotprojekte. Eine für das Bundesland Nordrhein-Westfalen erstellte Studie bilanziert, dass die Energiemenge im Abwasser ausreichen würde, um theoretisch jedes zehnte Gebäude mit Raumwärme und Warmwasser zu versorgen. Insgesamt, so schätzt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), enthält das Abwasser in Deutschland Energie genug, um zwei bis vier Millionen Wohnungen mit Wärme zu versorgen – im Prinzip.

Die technische Seite der Energierückgewinnung ist dabei kein Problem: Herzstück ist ein Wärmetauscher, der in die Sohle eines Abwasserkanals oder in den Ablauf einer Kläranlage eingebaut wird. Neu entwickelte Wärmetauscher können auch außerhalb installiert werden, so dass ebenso kleinere Kanäle nutzbar werden. In jedem Fall erforderlich sind jedoch mindestens 15 Liter Abwasser pro Sekunde. Die Wärmetauscher entziehen dem Abwasser die Energie. Um sie für Raumheizung nutzbar zu machen, muss anschließend eine – meist stromgetriebene – Wärmepumpe für ein höheres Temperaturniveau sorgen. Das ehemals lauwarme Abwasser liefert so Nutztemperaturen bis zu 65 Grad Celsius.

Die Energiemenge, die sich aus dem Abwasser gewinnen lässt, ist groß: Die Abkühlung von einem Kubikmeter Abwasser um ein Grad liefert rund 1,5 Kilowattstunden Wärme. Dem Wärmeentzug sind allerdings Grenzen gesetzt: Das in eine Kläranlage fließende Abwasser muss so warm bleiben, dass die biologische Reinigung noch funktioniert. Wird die Wärme hinter der Kläranlage entnommen, könnte der Wärmetauscher bei zu großer Abkühlung vereisen.

Mit 10 bis 20 Grad ist Abwasser im Prinzip eine ideale Wärmequelle für Wärmepumpen: Maß für ihre Effizienz ist die Jahresarbeitszahl – das Verhältnis von erzeugter Wärmeenergie zur verbrauchten elektrischen Energie, gemittelt über ein Jahr. Abwasser-Systeme erreichen bei richtiger Planung Jahresarbeitszahlen über 4. Sie liegen damit ungefähr im Bereich der ebenfalls mit Wärmepumpen anzapfbaren Erdwärme (siehe Energie-Perspektiven 2/2006).

Entsprechend gering ist der verursachte Kohlendioxid-Ausstoß: Wie viel eingespart wird, hängt von der Erzeugung des verbrauchten Stromes ab. Berechnet für den aktuellen deutschen Strommix verursacht eine Abwasserwärmepumpe – mit Arbeitszahl 4 und Gas-Spitzenkessel – nach Angaben der DBU 45 Prozent weniger Kohlendioxid als eine Ölheizung, 8 Prozent weniger als ein moderner Gas-Brennwertkessel. Wird der Strom für den Antrieb der Wärmepumpe in einem mit Erdgas betriebenen Blockheizkraftwerk erzeugt, können die Emissionen sogar um 60 Prozent absinken.

Die Investitionskosten sind allerdings beträchtlich. Ob das Verfahren wirtschaftlich ist, hängt daher stark von den jeweiligen Umständen ab. Die besten Voraussetzungen bieten große Bauten mit hohem Wärmeverbrauch wie Mehrfamilienhäuser, Gewerbebauten und Schulen in der Nähe großer Abwasserkanäle oder Kläranlagen. Für Einfamilienhäuser ist Abwasserwärme nicht geeignet. Um die Investitionen besser auszunutzen, ist zudem ganzjähriger Betrieb von Vorteil, zum Beispiel in Hallenbädern, die auch im Sommer geheizt werden müssen. Auch die sommerliche Nutzung der Energie zur Raumkühlung mit „umgekehrt“ laufender Wärmepumpe verbessert die Wirtschaftlichkeit.
„Unter guten Bedingungen“, erklärt Ernst A. Müller vom Schweizer Bundesprogramm EnergieSchweiz für Infrastrukturanlagen, „kann eine Abwasser-Wärmeanlage preislich mit einer konventionellen Ölheizung konkurrieren – bei heutigen Ölpreisen“. Das zeigten die Erfolgskontrolle des Wärmeverbundes in Binningen bei Basel und zahlreiche Machbarkeitsstudien in Deutschland. Liegt aber die Wärmenachfrage unter 500 Kilowatt oder ist der Kanal weiter als 300 Meter vom Gebäude entfernt, komme die Ölheizung heute meist noch billiger. Tatsächlich ist kaum eine der Anlagen in Deutschland ohne zusätzliche Fördermittel entstanden.

Der Vergleich mit anderen regenerativen Energie-Systemen fällt günstig aus: Um per Photovoltaik eine Tonne Kohlendioxid zu vermeiden, sind laut Bundesverband Erneuerbare Energien mehrere 100 Euro aufzuwenden, Windkraft schafft dies für 40 bis 80 Euro. Per Abwasser-Wärme gelingt dies, wenn der örtliche Rahmen stimmt, mit Null Euro. Damit können, so ist DBU-Experte Dr. Roland Digel überzeugt, „Abwasser-Wärmeanlagen ein Baustein sein für eine effiziente und klimafreundliche Energienutzung“. Mit zunehmender Verbreitung der Technologie und der inzwischen heranwachsenden Hersteller-Konkurrenz auf dem Markt, so hofft er, werden die Kosten noch sinken.
imi