Glas kann wie Kunststoff bearbeitet werden – genial

reines Quarzglas ist hoch transparent
und sehr resistent gegenüber thermischen, physikalischen und chemischen
Einwirkungen – optimale Voraussetzungen für den Einsatz in der Optik,
der Daten- oder Medizintechnik. Für eine effiziente und qualitativ
hochwertige Bearbeitung fehlen jedoch geeignete Verfahren.
Wissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben eine
Formgebungstechnik entwickelt, mit der sie Quarzglas wie Kunststoff
strukturieren können. Sie stellen sie in der Zeitschrift Advanced
Materials vor.

„Hochreines Quarzglas und seine
hervorragenden Eigenschaften mit einer einfachen Technologie zu dessen
Strukturierung zu verbinden, ist seit jeher eine riesen
Herausforderung“, erklärt Dr. Bastian E. Rapp, Leiter der
interdisziplinären Forschergruppe NeptunLab am Institut für
Mikrostrukturtechnik (IMT) des KIT. Für die industrielle Glasbearbeitung
entwickeln Rapp und sein Team neue Verfahren. „Statt Glas auf bis zu
800 Grad Celsius zu erhitzen und dann in Form zu bringen oder Teile von
Glasblöcken mittels Laserbearbeitung oder Ätzen zu strukturieren, setzen
wir an den kleinsten Glas-Teilchen an“, berichtet der
Maschinenbauingenieur. Die Wissenschaftler rühren Glaspartikel in der
Größe von 40 Nanometern in flüssigen Kunststoff ein, formen das Gemisch
wie „einen Sandkuchen“ und härten es durch Erwärmung oder Belichtung zu
einem Feststoff aus, der zu 60 Prozent aus Glaspartikeln und zu 40
Prozent aus Kunststoffpartikeln besteht. Die Polymere wirken dabei wie
ein Kleber, der die Glaspartikel an der richtigen Stelle festhält und so
die Form fixiert.

Dieses „Glassomer“ kann wie ein herkömmlicher
Kunststoff gefräst, gedreht, gelasert, oder auch in CNC-Maschinen
bearbeitet werden.  „Wir öffnen die gesamte Bandbreite der
Polymerumformtechnik für Glas“, betont Rapp. Für die Herstellung von
hochleistungsfähigen Linsen, die unter anderem in Smartphones zum
Einsatz kommen, fertigen die Wissenschaftler zum Beispiel eine Stange
aus Glassomer, aus der sie die Linsen heraus drehen. Für ein hochreines
Quarzglas müssen sie die Polymere im Komposit wieder entfernen. Hierfür
werden die Linsen in einem Ofen bei 500 bis 600 Grad Celsius erhitzt.
Der Kunststoff verbrennt dabei vollständig zu CO2. Um die hierbei
entstehenden Lücken im Material zu schließen, werden die Linsen bei 1300
Grad Celsius gesintert, ein Prozess, bei dem sich die verbleibenden
Glaspartikel zu porenfreiem Glas verdichten.

Dieses Formgebungsverfahren ermöglicht die
Herstellung  von Materialien aus hochreinem Glas für all jene
Anwendungen, für die bisher lediglich Kunststoffe eingesetzt werden
können. Das bietet der glasverarbeitenden Industrie ebenso neue
Möglichkeiten wie der optischen Industrie, der Mikroelektronik,
Biotechnologie und Medizintechnik. „Das Verfahren eignet sich für die
Massenproduktion und macht Quarzglas in der Herstellung und im Einsatz
billiger, nachhaltiger und energieeffizienter als Spezialkunststoff“,
erklärt Rapp.

Es ist die dritte Innovation für die
Bearbeitung von Quarzglas, die das NeptunLab auf der Basis eines
flüssigen Glas-Polymer-Gemischs entwickelt hat. 2016 war es den
Wissenschaftlern bereits gelungen, die Mischung in Formen auszuhärten,
2017 für den 3-D-Druck und damit für die additive Fertigung nutzbar zu
machen. Die Forschergruppe wird im Rahmen des Nachwuchswettbewerbs
„NanomatFutur“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung von 2014
bis 2018 mit 2,8 Millionen Euro gefördert und will „Glassomer“ nun über
eine Ausgründung auf den Markt bringen.

Originalpublikation

F. Kotz, N. Schneider, A. Striegel, A.
Wolfschläger, N. Keller, M. Worgull, W. Bauer, D. Schild, M. Milich, C.
Greiner, D. Helmer, B. E. Rapp: “Glassomer: Processing Fused Silica
Glass like a Polymer”, Advanced Materials, 2018: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/adma.201707100