In Planeten wie Neptun oder Uranus könnte es deutlich weniger freien Wasserstoff geben als angenommen. Um die hohen Temperaturen und Drücke im Inneren der Eisriesen nachzuahmen, haben Forscher des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) Schockwellen durch zwei Arten Kunststoff getrieben und mit ultrastarken Röntgenlasern die Wirkung auf die Proben untersucht. Das unerwartete Ergebnis: Statt aufzubrechen, hielt die Kristallstruktur einer Kunststoffart dem extremen Druck stand. Weil das hochdichte Innere der Planeten ähnliche Bestandteile wie der Kunststoff aufweist, müssen nun auch Planetenmodelle teilweise neu überdacht werden, wie die Forscher in der Fachzeitschrift Scientific Reports (doi: 10.1038/s41598-019-40782-5) berichten.
Kohlenstoff und Wasserstoff gehören zu den häufigsten Elementen im Universum. Die Eisriesen Neptun und Uranus bestehen zu großen Teilen aus diesen Zutaten – beispielsweise in Form von Methangas. Tiefer im Inneren der Planeten bilden sich durch den hohen Druck komplexere Strukturen aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Ganz innen befindet sich ein fester Kern. Welche Zustände die Materie dazwischen annimmt, ist eine der großen Fragen der Planetenforschung.
Um den Aufbau der Eisriesen besser zu verstehen, hat ein internationales Team um die beiden HZDR-Forscher Dr. Nicholas Hartley und Dr. Dominik Kraus zwei Arten Kunststoff in einem Laborexperiment näher untersucht: Polystyrol und Polyethylen. Diese Materialien ähneln in ihrer Chemie dem Kohlenwasserstoff im Inneren der Planeten. Im SLAC National Accelerator Laboratory in den USA setzten die Wissenschaftler die Proben Bedingungen aus, wie sie etwa zehntausend Kilometer unter der Oberfläche von Neptun und Uranus vorhergesagt werden. Dort ist der Druck fast so hoch wie im Kern der Erde und zwei Millionen Mal höher als der Luftdruck auf der Erdoberfläche.
Extrem hohe Drücke
Die Forscher erwarteten, dass sich in beiden Materialien bei den sehr hohen Temperaturen und Drücken alle kristallartigen Strukturen auflösen würden. Tatsächlich beobachteten sie aber für das Polyethylen selbst bei sehr hohem Druck noch stabile Verbindungen von Kohlenstoff und Wasserstoff. „Dieses Ergebnis hat uns sehr überrascht“, meint Hartley. „Wir haben nicht geglaubt, dass der unterschiedliche Anfangszustand so einen großen Unterschied unter Hochdruck macht. Bis vor kurzem konnten wir diese Materialien nicht untersuchen, weil die Röntgenquellen nicht lichtstark genug waren. Wir waren die ersten, die das überhaupt für möglich gehalten haben – und es war möglich.“
Da sich die extremen Bedingungen im Inneren der Eisriesen auf der Erde nur als Momentaufnahme simulieren lassen, benötigen die Forscher blitzschnelle Messmethoden. Diese gibt es weltweit an wenigen ultraschnellen Röntgenlasern, an denen Zeit für Messungen rar und begehrt ist. Kraus und Hartley gelang es, ihrem Team insgesamt drei Mal zwölf Stunden für ihre Experimente zu sichern. Die Forscher nutzten jede Minute, um möglichst viele Messdurchgänge durchzuführen. Der eigentliche Schlüsselmoment, in dem sie die Proben mit dem Röntgenlaser beschießen, dauert dabei nur wenige Milliardstel Sekunden.
Eine unerwartete Struktur erscheint
Bereits während der Experimente konnten die Forscher erste Ergebnisse erkennen: „Wir waren sehr aufgeregt, weil sich für Polystyrol wie erhofft diamantartige Strukturen aus Kohlenstoff bildeten. Für Polyethylen aber sahen wir bei den in diesem Experiment erreichten Bedingungen keine Diamanten. Stattdessen war da eine neue Struktur, die wir uns anfangs nicht erklären konnten“, erinnert sich Hartley. Polyethylen in dieser Form beobachteten sie zuvor nur bei einem Fünftel des Drucks und der Raumtemperatur.
Die Entdeckung des Forscherteams zeigt, wie wichtig es ist, die Chemie und die Temperatur- und Druckbedingungen im Inneren der Eisriesen besser zu kennen, um deren Aufbau und physikalische Eigenschaften zu verstehen. Modelle für Uranus und Neptun gehen davon aus, dass die ungewöhnlichen Magnetfelder dieser Planeten durch den freien Wasserstoff entstehen. Die neuen Ergebnisse legen jedoch nahe, dass es weniger freien Wasserstoff geben dürfte als bislang angenommen. Im nächsten Schritt wollen die Forscher für ihre Experimente Sauerstoff zu der Mischung hinzufügen, um der Chemie im Inneren der Planeten noch besser zu entsprechen.
Neben den HZDR-Forschern waren an den Untersuchungen auch Wissenschaftler des SLAC National Accelerator Laboratory, der Osaka University, der TU Dresden, der TU Darmstadt, des GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, des Lawrence Livermore National Laboratory, der University of California in Berkeley, der University of Warwick, des European XFEL, des LULI an der École Polytechnique in Paris und der Universität Rostock beteiligt.
Publikation:
N.J. Hartley, S. Brown, T.E. Cowan, E. Cunningham, T. Döppner, R.W. Falcone, L.B. Fletcher, S. Frydrych, E. Galtier, E.J. Gamboa, A. Laso Garcia, D.O. Gericke, S.H. Glenzer, E. Granados, P.A. Heimann, H.J. Lee, M.J. MacDonald, A.J. MacKinnon, E.E. McBride, I. Nam, P. Neumayer, A. Pak, A. Pelka, I. Prencipe, A. Ravasio, M. Rödel, K. Rohatsch, A.M. Saunders, M. Schölmerich, M. Schörner, A.K. Schuster, P. Sun, T. van Driel, J. Vorberger, D. Kraus: Evidence for crystalline structure in dynamically compressed polyethylene up to 200 GPa, in Scientific Reports, 2019 (DOI: 10.1038/s41598-019-40782-5)