Geben und Nehmen als staatliche Leistung einmal aufgegliedert

(Wirtschaftswoche) – Es ist eine immense Summe: 1,6 Billionen Euro hat der deutsche Staat 2020 eingenommen, in Zahlen: 1.600.000.000.000. Das ist, Schätzungen des Finanzministeriums zufolge, so viel, wie die komplette Coronapandemie den Staat bislang zusätzlich gekostet hat. Das Geld stammt aus Steuern und Abgaben und damit von jedem von uns, sei es über die Einkommensteuer, die Mehrwertsteuer oder die Sozialbeiträge.

Die Abgabenlast in Deutschland ist hoch: Der Teil des Einkommens, den die Bürger in der ein oder anderen Form an den Staat abgeben müssen, gehört zu den größten der Welt. Nach Berechnungen der OECD können alleinstehende Durchschnittsverdiener gerade einmal gut die Hälfte ihrer Einkünfte behalten, die restlichen 49 Prozent fließen an den Staat. Nur Belgien langt demnach stärker zu.

Auf der anderen Seite, so das gängige Narrativ, stehen die Empfänger sozialer Leistungen, die sozial Schwächeren, denen der Staat etwa mit Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Wohngeld oder Grundsicherung unter die Arme greift.

Die einen zahlen also, die anderen bekommen Geld? Die Realität ist deutlich komplizierter, wie neue Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln zeigen.

Ob jemand mehr Geld bekommt, als er einzahlt, hängt demnach besonders vom Alter ab. Jugendliche gehören zu den Netto-Empfängern und bekommen etwa Bildung und Gesundheitsleistungen bezahlt. Fangen die Menschen an zu arbeiten, kehrt sich das Verhältnis mit Mitte 20 um, bis sie mehr einzahlen, als sie bekommen. Der statistische Höhepunkt ist laut IW Köln mit Mitte 50 erreicht, wo der durchschnittliche Deutsche jedes Jahr 20.500 Euro an den Staat zahlt.

Im Alter kehrt sich das Verhältnis dann erneut um und aus den Netto-Zahlern werden Netto-Empfänger. Je älter die Senioren, desto mehr Geld beziehen sie vom Staat. Ab den 85. Lebensjahr sind es durchschnittlich 30.500 Euro pro Jahr. Bei all diesen Zahlen rechnet das IW nicht nur „harte“ Finanztransfers ein, sondern etwa auch staatliche Unterstützung für Kitas und Schulen, das Gesundheitswesen oder Altersbezüge.

All das sind natürlich nur Durchschnittswerte, die viele individuell unterschiedliche Situationen abbilden. Doch zu denen geben die IW-Forscher immerhin eine Annäherung

Die größten Unterschiede entstehen naheliegenderweise durch das Einkommen. Wer mehr verdient, zahlt mehr ein. Auch die Bildung spielt eine große Rolle: Je niedriger der Bildungsgrad, desto höher die Abhängigkeit von Sozialtransfers. Die untersten Einkommen sind fast ihr ganzes Leben lang Netto-Empfänger.

Auf der anderen Seite bekommen Besserverdiener im Alter dafür deutlich mehr Geld, nämlich etwa doppelt so viel wie Geringverdiener. Sie haben ja auch mehr eingezahlt.

Das zeigt sich besonders deutlich bei Männern. Im Laufe ihres Arbeitslebens verdienen sie deutlich mehr als Frauen, zahlen also auch mehr ein. Seinen Höhepunkt findet das mit 54 Jahren, wo der statistische Mann 26.000 Euro einzahlt, aber nur 6000 Euro bekommt. Zum Vergleich: Bei Frauen gehen im selben Alter 14.000 Euro an den Staat bei ebenfalls 6000 Euro Empfang.

Dafür bekommen Männer im Alter im Schnitt auch mehr, an die 35.000 Euro pro Jahr sind es bei Über-80-Jährigen. Bei Frauen sind es fast 10.000 Euro weniger. Der Grund liegt in den deutlich niedrigeren Renten und Pensionen, die natürlich direkt aus den niedrigeren Erwerbseinkommen resultieren.

Die immensen Altersausgaben veranlassen die Autoren zu einer Warnung. Schließlich befindet sich Deutschland mitten im demografischen Wandel, die Zahl der Alten steigt und die Alten werden immer älter.

„Für den Fiskus wird das zu einem rechnerischen Problem“, bilanziert Martin Beznoska, Steuerexperte beim IW und verantwortlich für den Steuer-Rechner: „Wegen des demografischen Wandels wird es immer dringender, die Sozialsicherungssysteme zu reformieren.“