Fake-Wissenschaft in der Diskussion

Meine persönliche Stellungnahme zum unten stehenden Link:

Fake-Wissenschaft
ist ein falscher Begriff. Es geht nicht um Lügen-Wissenschaft bzw.
falsche Wissenschaft, sondern nur darum, dass unseriöse Verlage
versuchen, Wissenschaftler zu ködern, weil es schneller geht und
teilweise die Kontrollen lasch sind. Gegen ein entsprechendes Entgelt
wissenschaftliche Ergebnisse zu veröffentlichen.

Dabei
handelt es sich um ein vielschichtiges Problem, das allerdings nicht
mit Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu tun hat, sondern mit bestimmten
Usancen, die sich in der Wissenschafts-Welt breitgemacht haben,
insbesondere weil selbst die allgemein anerkannten wissenschaftlichen
Zeitschriften, sozusagen kapitalistisch nach großem Profit streben, so
dass selbst die Bibliotheken der Universitäten, in denen Forschung
geschieht und viele Forschungsinstitute auf der ganzen Welt sich das
Abonnement leisten können.

Ich
fordere, dass sich zumindest  in Deutschland diese katastrophale Lücke
von der Politik öffentlich-rechtlich geschlossen wird, z. B. dass
Wissenschaftlern die Möglichkeiten geboten wird, ihre Forschungen, die
teilweise ja auch vom Steuerzahler finanziert wurden, in nachprüfbaren
Einrichtungen zu veröffentlichen. Diese Aufgabe könnte einem zu
gründenden Institut oder der Max-Planck-Gesellschaft bzw. anderen
Forschungseinrichtungen übertragen werden. Das muss natürlich auch mit
finanziellen Mitteln aus dem Steuersäckel versehen werden.

Wichtig
ist, dass die Science Community, das heißt die Gemeinschaft aller
Wissenschaftler in die Lage versetzt werden muss, Fake-Wissenschaft  und
deren Folgen zu verhindern
, damit dadurch nicht Bürger
verunsichert  oder sogar Wahlergebnisse manipuliert werden können, in
dem Bürger im Sinne vom ‚Rattenfänger von Hameln‘ populistisch zu
Entscheidungen geführt werden. Leider ist das in der sogenannten
postfaktischen Gesellschaft á la Donald Trump zur Wirklichkeit geworden.

Ohne seriöse, glaubhafte und wahre
Wissenschaft zieht die Demokratie den Kürzeren. Wenn Sie das Problem
interessiert wie alles gekommen ist, dann hören Sie sich zunächst einmal
das Interview meines Kollegen Martin Schneider, dem Vorsitzenden der
WPK, die Wissenschaftsjournalisten (www.wpk.org)
an und lesen Sie zweitens den exzellenten Beitrag unseres Kollegen
Georg Mäder von der streng seriösen Wissenschafts-Zeitschrift
‚Spektrum‘. Er beschreibt Thema in einer sehr anspruchsvollen und
ethischen Breite, aber für Interessierte lohnt es sich sehr.

Mäders Moralfragen

Hauptsache publiziert

Bei
manchen wissenschaftlichen Veröffentlichungen geht es nicht darum, dass
sie jemand liest. Sie sollen nur die Publikationsliste des Autors
verlängern, damit er damit glänzen kann. Das würde niemand machen, wenn
sich Gutachter nicht blenden ließen.

In
meiner Promotionszeit habe ich mal einen Artikel bei einem wirklich
renommierten Fachjournal eingereicht. Es dauerte nur ein paar Wochen,
und ich erhielt eine Absage. Einer der beiden anonymen Gutachter hatte
mir netterweise einige Kritikpunkte genannt, der andere beließ es bei
einem Satz: ungeeignet für unsere Zeitschrift. Später habe ich den
Artikel erneut eingereicht – bei einem Magazin, das eher meiner
Kragenweite entsprach. Dort dauerte die Begutachtung (im Englischen wird
das Verfahren »Peer Review« genannt, also: Begutachtung unter
Fachkollegen) dann so lange, dass ich nicht mehr an der Uni war, als die
Bitte kam, den Artikel für eine eventuelle Veröffentlichung zu
überarbeiten.

So ungefähr ergeht es, glaube ich,
vielen Wissenschaftlern – mitunter auch den sehr guten, und sie gehen
vermutlich auch ähnlich damit um. Jedenfalls erinnere ich mich an einen
Nobelpreisträger, der witzelte, die Abkürzung »PNAS« stehe für:
Previously Not Accepted at »Science«, also: zuvor beim
Wissenschaftsmagazin »Science« abgelehnt. Tatsächlich handelt es sich
auch bei »PNAS« um ein angesehenes Magazin mit dem Titel »Proceedings of
the National Academy of Sciences of the USA«. Aber »Science« hat einen
Impact-Faktor von 37 und »PNAS« nur einen von 10 – und das heißt, dass
ein Artikel in »Science« viel mehr Aufmerksamkeit erhält als einer in
»PNAS«. Denn diese Zahl gibt an, wie häufig Artikel aus diesen Journalen
zitiert werden. Und wer zitiert wird, wird ernst genommen, daher ist
der Impact-Faktor ein Wert für das Renommee.

Weil angesehene
Zeitschriften häufiger gelesen werden als weniger angesehene, bemühen
sich Wissenschaftler darum, ihre Artikel dort unterzubringen. Denn auch
für sie wird aus der Häufigkeit, mit der ihre Artikel zitiert werden,
eine Zahl berechnet: der h-Faktor. Er erlaubt es, bei Berufungsverfahren
schnell ein erstes Ranking der Kandidaten aufzustellen. Natürlich
sollte bei der Frage, ob jemand zum Professor berufen wird, nicht eine
Zahl den Ausschlag geben. Denn die Zahl lässt sich trimmen – zum
Beispiel indem man ein interessantes Forschungsergebnis auf drei Artikel
aufteilt. Und man möchte doch nicht ernsthaft jemanden ans Institut
holen, der bei solchen Tricksereien seine Fähigkeiten ausspielt, aber
ansonsten faul ist und langweilig unterrichtet. Doch ich vermute, dass
viele in den Berufungskommissionen auf solche Zahlen schauen, um sich
einen ersten Eindruck der Bewerberlage zu verschaffen. Man kann
schließlich nicht von jedem Kandidaten die Artikel selbst lesen.

Schreiben für den Papierkorb

Diese
Vorrede ist nötig, um ein seltsames Phänomen einzuordnen, das seit etwa
zehn Jahren wächst und gedeiht: Wissenschaftler veröffentlichen
zunehmend in Fachzeitschriften, die gar kein Renommee haben und nicht
gelesen werden. Sie versenken damit Forschungsergebnisse, die mit
Steuergeld gefördert wurden. Die Magazine, in denen sie veröffentlichen,
werden »Predatory Journals« (Raubjournale) genannt, weil sie für die
Veröffentlichung Geld verlangen, ohne dem Autor dafür etwas zu bieten.
Sie haben sich im Schatten der Open-Access-Bewegung ausgebreitet, der es
darum geht, Forschungsergebnisse für alle zugänglich zu machen. Eine
wichtige Triebfeder dieser Bewegung sind die teuren Abos vieler
Fachjournale, deren hoher Preis ungerechtfertigt erscheint, da die
Autoren und Gutachter gar nicht von den Verlagen für ihre Arbeit bezahlt
werden – sie bekommen ihr Geld üblicherweise aus Steuermitteln.

Beim
Open Access verlangen die Verlage nicht von Lesern oder Bibliotheken
eine Gebühr, sondern vom Autor. Die Gebühr soll die Kosten für
Begutachtung, Lektorat, Layout und das Einpflegen in die Fachdatenbanken
decken. So halten es auch die Raubjournale – nur dass sie für ihr Geld
nicht viel mehr tun, als den Artikel ins Netz zu stellen. Das
wissenschaftliche Qualitätsbewusstsein geht ihnen ab, sie messen sich
nur am monetären Profit. Man könnte auch von Fake-Journalen sprechen.

Ein
Rechercheverbund von NDR, WDR, »Süddeutscher Zeitung« und weiteren
Medien hat ermittelt, dass in den vergangenen Jahren 5000 deutsche
Forscher, also etwas mehr als ein Prozent, mindestens einmal von dieser
Publikationsmöglichkeit Gebrauch gemacht haben. Warum zahlen
Wissenschaftler diesen Verlegern Geld? Eine mögliche Erklärung: Sie
hätten auf diese Weise fragwürdigen Forschungsarbeiten den Anschein von
Seriosität verleihen können. Doch das hat die Recherche nicht ergeben.
Vielmehr war die Angelegenheit den darauf angesprochenen Forschern
peinlich: Sie hatten sich täuschen lassen, denn die Raubjournale heißen
oft ähnlich wie renommierte Fachjournale, sie ahmen auch deren Websites
nach und sie geben einen falschen Impact-Faktor an.

Studien, die sonst kein Journal haben wollte

Aber
als Forscher kennt man sein Fachgebiet und die Namen der wichtigsten
Zeitschriften oder sollte sie zumindest von seinen Mentoren,
Vorgesetzten oder Kollegen genannt bekommen. Außerdem möchte man gelesen
und zitiert werden, damit der h-Faktor steigt. Wie kann es dann sein,
dass man bei dieser wichtigen Angelegenheit den kritischen Verstand
ausschaltet? Schon die erste Frage in der Checkliste der Initiative »Think. Check. Submit« lautet sinnigerweise: Kennen Sie oder Ihre Kollegen das Journal?
Vielleicht liegt es daran, dass im Zuge der Open-Access-Bewegung viele
Onlinejournale entstanden sind, deren Namen sich in der Branche noch
nicht herumgesprochen haben, so dass die Unterscheidung zwischen seriös
und unseriös manchen noch schwerfällt. Oder es handelt sich um Forscher,
die interdisziplinär oder anwendungsorientiert arbeiten und in einem
Fachgebiet publizieren, in dem sie nicht zu Hause sind, wie eine stichprobenartige Analyse des »Scilogs«-Bloggers Markus Pössel nahelegt.

Jeffrey Beall, der sich als Bibliothekar der University of
Colorado in Boulder ausführlich mit Raubjournalen beschäftigt hat, nennt in einem persönlichen Fazit einen weiteren möglichen Faktor: »Forscher lieben Verlage, die ihre
Artikel akzeptieren und veröffentlichen – vor allem Forscher, deren
Arbeit sonst von den Journalen der angesehenen Verlage abgelehnt
werden.« Dass in Raubjournalen eher schlechte Arbeiten veröffentlicht
werden, bestätigt David Moher vom Ottawa Hospital Research Institute mit
seinen Kollegen in einer Studie im Wissenschaftsmagazin »Nature«.
Das Team hat sich rund 2000 biomedizinische Fachartikel aus
Raubjournalen angeschaut und attestiert ihnen mangelnde Qualität. Die
verwendeten Methoden seien oft ungenau oder gar nicht beschrieben,
außerdem fehlten wichtige Informationen wie Angaben zur ethischen
Prüfung und zur Finanzierung der Studie. Aber letztlich scheint noch
niemand systematisch untersucht zu haben, warum Wissenschaftler ihre
Arbeiten in Raubjournalen publizieren.

Allgemein wird die geringe,
aber substanzielle Zahl der Raubjournalveröffentlichungen jedenfalls
als ein Zeichen dafür gesehen, wie groß der Druck ist, der auf den
Forschern lastet: Sie müssen ihre Artikel publizieren, um im
wissenschaftlichen Wettbewerb zu bestehen – koste es, was es wolle.
Selbst wenn es für den h-Faktor nichts bringt, weil kein Fachkollege den
Artikel lesen wird, steht er immerhin auf ihrer Literaturliste und kann
vielleicht den einen oder anderen Gutachter bei Berufungen oder
Förderanträgen blenden. Der »Spektrum«-Chefredakteur Carsten Könneker fordert daher ein Ende des übertriebenen Publikationsdrucks. Nur wie, das ist die Frage. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft lässt bei Anträgen auf Fördermittel nur noch zehn Nennungen eigener Fachartikel zu,
um die Motivation für ellenlange Literaturlisten zu senken. Doch
solange das nicht alle machen, werden Wissenschaftler sicherheitshalber
nicht nur an die Qualität ihrer Arbeit denken, sondern auch an die
Quantität.

Maßnahmen gegen das Millionengeschäft

Was lässt
sich gegen die Veröffentlichung von ungeprüften Fachartikeln
unternehmen? Eine Liste der schwarzen Schafe zu erstellen, gilt als
rechtlich problematisch, weil Raubjournale in allen Schattierungen
vorkommen und die Abgrenzung von den seriösen Zeitschriften nicht immer
eindeutig ist. Außerdem gibt es sehr viele davon: Cenyu Shen und
Bo-Christer Björk von der Hanken School of Economics in Helsinki haben in einer ersten Übersicht für das Jahr 2014 rund 8000 aktive Raubjournale mit zusammen
420 000 Artikeln gezählt, mit denen ein Umsatz von 75 Millionen
US-Dollar gemacht worden ist.

Jeffrey Beall hat viele Jahre eine
Liste schwarzer Schafe gepflegt, sie aber kürzlich aus dem Netz
genommen, weil ihm der Druck zu groß wurde. Er zielt in seinem
persönlichen Fazit stattdessen auf die Herausgeber und auf die
Bibliothekare: Er möchte das Bezahlmodell der Open-Access-Bewegung
aushebeln, weil es den Markt für Raubjournale geschaffen hat. Dazu
könnten die kostenlosen Publikationen auf Preprint-Servern beitragen,
also Datenbanken mit Entwürfen von Fachartikeln. Der bekannteste Server
ist arXiv.org für
Physik, Mathematik und benachbarte Disziplinen: Die Vorveröffentlichung
erlaubt es den Forschern, erste Kommentare ihrer Kollegen einzuholen.
»Ein Vorteil [davon] ist der Wegfall der Autorengebühren und der damit
verbundenen Korruption«, schreibt Beall. Diese freie Veröffentlichung
unabhängig von einem Verlag lässt sich mit einer anderen Innovation
verknüpfen: der öffentlichen Begutachtung. Ein Beispiel dafür liefert
die Studie von Shen und Björk aus Helsinki, die achtmal begutachtet und siebenmal überarbeitet wurde, bevor sie im Onlinejournal »BMC Medicine« erschien. So geht Wissenschaft.

Im
Grunde können die Raubjournale nur funktionieren, solange es Menschen
gibt, die nicht genau genug hinschauen. Im eigenen Fachgebiet werden
sich Wissenschaftler nichts vormachen lassen. Aber wenn über Berufungen
oder Förderanträge entschieden wird, sitzen meist auch fachfremde
Forscher am Tisch. Man würde sich gerne darauf verlassen, dass sie sich
die Zeit nehmen und sich in das Thema einarbeiten, anstatt die Abkürzung
zu wählen und bloß die Einträge auf der Literaturliste zu zählen. Haben
sie diese Zeit? Und dann gibt es die – bisher zum Glück bloß
abstrakte – Gefahr, dass mit Studien aus Raubjournalen die öffentliche
Meinung manipuliert wird. Für Laien ist es natürlich sehr aufwändig zu
prüfen, ob eine Studie seriös ist. Aber hierfür gäbe es eine Lösung: Ich
werbe dafür, dass Wissenschaftsjournalisten die Aufgabe übernehmen, die
berichtenswerten Studien kritisch einzuordnen.

Die Moral von der Geschichte: Gute Forschung braucht einen offenen Dialog – und viel Zeit.