Europäisches Drama: Lobbyisten zerstören den Glauben an
Objektivität – geistige Korruption auch bei der deutschen Regierung verhindert
vernunftbezogene Regelungen
Warum Europa es nicht geschafft hat, die Wirtschaftsprüfer
zu bändigen
Nach der Finanzkrise standen die sogenannten "Big
Four" am Pranger, das sind die Wirtschaftsprüfer EY, Deloitte, KPMG und
PwC.
Doch vom Vorstoß der EU-Kommission blieb kaum etwas über.
Interne Protokolle zeigen nun, warum: Auch die Bundesregierung hat schärfere
Regeln blockiert.
"Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung:
Lehren aus der Krise" hieß das Grünbuch, das die EU-Kommission im November
2011 vorlegte, und es löste so etwas wie ein kleines
Erdbeben in Brüssel aus. Der damalige EU-Kommissar für Finanzen, Michel Barnier,
wollte nichts weniger, als die Marktmacht der vier großen
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften aufbrechen, denen er eine Mitverantwortung an
der Finanzkrise zuschrieb. Die sogenannten "Big Four", also EY, Deloitte,
KPMG und PwC, hatten reihenweise Banken und Unternehmen testiert – also
geprüft, dass im Jahresabschluss alles korrekt vermerkt ist -, die wenig später
ins Straucheln gerieten.
Der damalige Kabinettschef Barniers, Olivier Guersent, erinnert
sich: "Barnier wollte das Problem an den Wurzeln packen." Es war ein
ambitioniertes Vorhaben. Der Markt für Prüfungen von Unternehmen von
öffentlichem Interesse sollte für kleinere Mitbewerber geöffnet werden, in dem
ein gemeinsames Testieren durch mindestens zwei
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eingeführt und eine Rotation der Kunden nach
sechs Jahren vorgeschrieben werden sollte.
Insbesondere die gleichzeitige Prüfung und Steuerberatung
sollte verboten werden. Barnier sah darin einen Interessenkonflikt – und zielte
damit auf einen empfindsamen Punkt der Gesellschaften, die mittlerweile den
größeren Teil ihrer Umsätze mit Beratung erwirtschafteten und nicht mehr mit
ihrem Kerngeschäft der Bilanzprüfung.
"Was wir mit den ‚Big Four‘ erlebt haben, war die
Mutter allen Lobbyings."
Entsprechend fiel die Reaktion der Unternehmen aus.
"Wir dachten, was Lobbying angeht, hätten wir schon alles gesehen",
sagt Olivier Guersent. "Aber was wir mit den ‚Big Four‘ erlebt haben, war
die Mutter allen Lobbyings." Nur wenige Stunden nachdem Barnier sein
Vorhaben angekündigt hatte, sei das EU-Parlament voller
Wirtschaftsprüferlobbyisten gewesen. "Über Nacht!",
sagt Guersent.
Nicht nur die Unternehmen selbst kämpften gegen die
Regulierung. Zu den Gegnern der Reform gehörten auch einige Mitgliedsstaaten.
Unter den Blockierern: die deutsche Bundesregierung.
Die Verhandlungen dauerten gut zwei Jahre, von Januar 2012 bis zum Sommer 2014 und sind
in vertraulichen Protokollen der Sitzungen umfassend dokumentiert, die SZ,
WDR und NDR vorliegen. Daraus geht hervor, dass die Vertreter des zuständigen
Bundesjustizministeriums von Anfang an Einwände gegen die Vorschläge der EU-Kommission
hatten, insbesondere hatten sie "Bedenken hinsichtlich des
Detaillierungsgrades der Regelung". Auch dass Prüfer verpflichtet werden
sollten, Unregelmäßigkeiten an Behörden zu melden, sah die Bundesregierung
kritisch. Offenlegungspflichten lehnte Deutschland aus "bürokratischen
Gründen" sowohl für kleine als auch große Prüfungsfirmen ab. Es gehe
"nicht darum, den Prüfer zum Aufpasser zu machen", gab ein Vertreter
des Justizministeriums bei einer Verhandlungsrunde im März 2012
zu Protokoll.
Die Vertreter der Kommission hielten dagegen: "Wenn man
das Vertrauen in den Finanzmarkt wieder etablieren und die Wirtschaftskrise
überwinden wolle, sei ein ambitionierter Ansatz richtig", wurde von den
deutschen Verhandlern protokolliert. An die Seite der Kommission stellten sich
Länder wie Frankreich, Italien und die Niederlande, die bestimmte Kompromisse,
die im Laufe der Verhandlungen gemacht wurden, als zu wenig ambitioniert
ablehnten. Spanien betonte, die Kompromisse seien nicht akzeptabel, weil sie
"zu verwässert" seien. "Man pervertiere den ursprünglichen
Vorschlag der Kommission. Man wundere sich, dass die Kommission dies
akzeptieren könne", heißt es im Protokoll über Spanien.
Besonders in den Fokus genommen hatte die Kommission die
Steuerberatung durch Wirtschaftsprüfer, weil "Steuerberatung völlig
inkompatibel mit einer unabhängigen Prüfung sei", so die Kommission
ausweislich der Protokolle. Sie schlug eine Liste mit verbotenen Leistungen vor
– darunter die Steuerberatung. Doch genau die wollte unter anderem Berlin so
nicht auf der Liste haben. Im Protokoll heißt es, dass Deutschland und auch
andere Staaten "insbesondere hinsichtlich der Steuern", den Umfang
des EU-Entwurfs für "zu weitreichend hielten".
Auf Anfrage antwortet das Bundesjustizministerium heute,
dass es Position der Bundesregierung gewesen sei, Nichtprüfungsleistungen nur
dann auszuschließen, wenn "beispielsweise eine Gefahr der
Selbstprüfung" bestehe. Einen grundsätzlichen Interessenskonflikt schienen
die Verhandler nicht zu erkennen. Man habe aber durchaus "begrüßt",
dass die EU-Kommission eine Diskussion zur Verbesserung der Abschlussprüfungen
auf EU-Ebene angestoßen habe. "Die Bundesregierung hat vor diesem
Hintergrund Zweifel vorgebracht, ob alle Elemente der vorgeschlagenen Reform
dieses Ziel verfolgt haben, und hat die Kritik auch in den
Verhandlungen geäußert."
Ein Passus zu Vorschriften über Interessenkollisionen wurde
entfernt
Am Ende der Verhandlungen blieb von Barniers Ambitionen
tatsächlich nicht mehr viel übrig. Das Ergebnis: Die Mitverantwortung der
Wirtschaftsprüfer an der Finanzkrise wurde komplett aus der Reform gestrichen,
und das Verbot der Nichtprüfungsleistungen für die "Big Four"
weitgehend aufgeweicht. Ein Passus zu Vorschriften über Interessenkollisionen
der Wirtschaftsprüfer wurde entfernt. Auch auf einen Hinweis auf die
grundsätzlich "kritische Haltung der Wirtschaftsprüfer gegenüber den
Unternehmen" wurde im verabschiedeten Text verzichtet.
Finanzkrise hin und oder: In Deutschland darf somit
weiterhin prinzipiell testiert und steuerlich beraten werden.