Europäische Studie zu künftigen Fusionskraftwerken

Keine Endlagerung des Abfalls / katastrophenfreie Technik

Technische Realisierbarkeit, zu erwartende Sicherheits- und
Umwelteigenschaften sowie Kosten eines künftigen Fusionskraftwerks
untersucht die kürzlich fertig gestellte europäische Kraftwerksstudie
"European Fusion Power Plant Conceptual Study". Aufbauend auf neuesten
Ergebnissen aus Plasmaphysik, Technologie- und Materialforschung wurden
vier verschiedene Kraftwerksmodelle entwickelt, die ein weites Spektrum
physikalischer und technischer Möglichkeiten beleuchten. Deren Analyse
hinsichtlich ökologischer und ökonomischer Eigenschaften hat die
günstigen Resultate früherer Untersuchungen bekräftigt: Nach heutigem
Wissen sind katastrophale Unfälle in einem Fusionskraftwerk unmöglich,
eine Endlagerung des Abfalls ist bei Rezyklierung nicht nötig. Der
Strompreis wird dem anderer umweltfreundlicher Energietechniken
entsprechen.

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Ziel der Fusionsforschung ist es, die Energieproduktion der Sonne in
einem Kraftwerk auf der Erde nachzuvollziehen und aus der Verschmelzung
von Atomkernen Energie zu gewinnen. Brennstoff ist ein dünnes
ionisiertes Gas – ein "Plasma" – aus den beiden Wasserstoffsorten
Deuterium und Tritium. Zum Zünden des Fusionsfeuers wird der Brennstoff
in einem Magnetfeldkäfig eingeschlossen und aufgeheizt. Ab einer
Temperatur von 100 Millionen Grad beginnt das Plasma zu "brennen": Die
Wasserstoffkerne verschmelzen miteinander zu Helium, es werden
Neutronen frei sowie große Mengen von Energie. Dass ein solches Energie
lieferndes Fusionsfeuer möglich ist, soll mit 500 Megawatt erzeugter
Fusionsleistung die internationale Testanlage ITER (lat. "der Weg")
zeigen. Geplant wurde ITER mit den heute verfügbaren Materialien und
Technologien, die noch nicht vollständig für die Fusion optimiert sind.
Dies ist Aufgabe eines parallelen Physik- und Technologieprogramms.
Alle Arbeiten bereiten ein Demonstrationskraftwerk vor; kommerzielle
Anlagen könnten damit ab der Jahrhundertmitte ans Netz gehen.

Vier Modelle für ein künftiges Kraftwerk

Ziel der "European Power Plant Conceptual Study" ist es auszuloten,
welche ökonomischen und ökologischen Eigenschaften ein künftiges
Kraftwerk erwarten lässt und welche Entwicklungsrichtungen am
aussichtsreichsten sind. Auf der Grundlage neuester
Forschungsergebnisse wurden daher vier verschiedene Entwürfe für ein
Fusionskraftwerk untersucht: Alle vier Modelle besitzen eine
elektrische Leistung von etwa 1500 Megawatt und sind wie ITER vom
Bautyp "Tokamak". Um ein breites Spektrum physikalischer und
technischer Möglichkeiten zu beleuchten, liegen ihnen jedoch
unterschiedlich weit in die Zukunft greifende Extrapolationen der
heutigen Plasmaphysik und Technologie zugrunde.

Verglichen mit ITER reichen Modell A und B am wenigsten in die Zukunft:
Die Annahmen zum Plasmaverhalten – zum Beispiel zu seiner Stabilität –
sind nur etwa 30 Prozent besser als die sehr vorsichtig für ITER
angesetzten Daten. Baumaterial ist, anders als bei ITER, ein
niedrig-aktivierbarer Stahl, der zurzeit im Europäischen
Fusionsprogramm untersucht wird. Die größten Unterschiede betreffen
technische Komponenten des Kraftwerks, zum Beispiel das so genannte
"Blanket": In dieser inneren Verkleidung des Plasmagefäßes werden die
bei der Fusion entstehenden schnellen Neutronen abgebremst. Sie geben
ihre gesamte Bewegungsenergie in Form von Wärme an ein Kühlmittel ab
und erzeugen außerdem aus Lithium den Brennstoffbestandteil Tritium.
Für diese Aufgaben ist Modell A mit einem Flüssigmetall-Blanket
ausgerüstet: Es nutzt ein flüssiges Lithium-Blei-Gemisch zur
Tritiumerzeugung, die Fusionswärme wird mit Wasser aufgenommen und
weitergeleitet. Dagegen besitzt Modell B ein Kugelbett-Blanket mit
Kügelchen aus Lithiumkeramik und Beryllium. Das hier gewählte
Kühlmittel Helium erlaubt höhere Temperaturen als Wasser – statt 300
bis zu 500 Grad Celsius – und damit höhere Wirkungsgrade für die
anschließende Stromerzeugung. Beide Blanket-Varianten werden im
Europäischen Fusionsprogramm entwickelt; Testversionen sollen in ITER
untersucht werden.
 

Im Unterschied zu A und B gehen das weiter in die Zukunft greifende
Modell C und das eher futuristische Modell D von deutlichen
Fortschritten in der Plasmaphysik aus. Verbesserte Plasmazustände sind
mit leistungsstärkeren Blanket-Konzepten kombiniert, die allerdings in
Europa bereits entwickelt werden: Im "Dual Coolant-Blanket" von Modell
C wird die erste Wand mit Helium gekühlt, der Hauptteil der erzeugten
Wärme jedoch durch Umwälzung von Flüssigmetall zum Wärmetauscher
transportiert. Einsätze aus Siliziumkarbid isolieren die Struktur vom
strömenden Flüssigmetall. Durch die höhere Kühlmitteltemperatur von
rund 700 Grad kann die Fusionswärme effizienter in Strom umgewandelt
werden. Noch fortschrittlicher nutzt Modell D ein sich selbst kühlendes
Blanket: Flüssigmetall (bis 1100 Grad) dient sowohl zur Kühlung als
auch zur Tritiumerzeugung; die Strukturen bestehen aus Siliziumkarbid.

Sicherheitseigenschaften

Die Sicherheitsüberlegungen gelten dem radioaktiven Tritium und den
energiereichen Fusionsneutronen, welche die Wände des Plasmagefäßes
aktivieren. Um die Folgen aller schweren Unfälle kennen zu lernen,
wurden die beiden zeitnahen Modelle A und B genauer analysiert: Als
Unfallauslöser wird der schlagartige und totale Ausfall der Kühlung
angenommen; anschließend bleibt das Kraftwerk ohne jede Gegenmaßnahme
sich selbst überlassen. Ergebnis: Die Störung der Betriebsbedingungen
bringt über Plasmainstabilitäten den Brennvorgang sofort zum Erlöschen;
die Nachwärme in den Wänden reicht nicht aus, um Bauteile stark zu
schwächen oder gar zu schmelzen. Das Kraftwerk enthält auch keine
andere Energiequelle, die seine Sicherheitshülle zerstören könnte. Die
Hülle bleibt also stets intakt.

Untersucht wurde nun, wie viel Tritium und aktiviertes Material durch
den Temperaturanstieg mobilisiert und aus der Anlage entweichen 
könnte. Schließlich wurde – für ungünstigste Wetterbedingungen – die
daraus resultierende radioaktive Belastung am Kraftwerkszaun bestimmt:
Für Modell A und B kommt man auf Werte, die weit – ein bis zwei
Größenordnungen – unter der Dosis liegen, ab der eine Evakuierung der
Bevölkerung in der Nähe des Kraftwerks nötig wäre. Ähnliches gilt für
Modell C, die Werte für Modell D liegen nochmals deutlich niedriger.
Damit haben sich die aus früheren Studien bekannten attraktiven
Sicherheitseigenschaften in der neuen Studie bestätigt: Katastrophale
Unfälle sind in einem Fusionskraftwerk unmöglich.

Abfall

Auch die Abfallsituation wurde erneut untersucht: Das von den
Fusionsneutronen aktivierte Material verliert seine Radioaktivität in
allen vier Modellen relativ schnell. In hundert Jahren sinkt sie auf
ein Zehntausendstel des Anfangswerts. Für das zeitnahe Modell B zum
Beispiel ist hundert Jahre nach Betriebsende knapp die Hälfte des
Materials nicht mehr radioaktiv und kann für beliebige Nutzung
freigegeben werden. Die andere Hälfte könnte – entsprechende Techniken
vorausgesetzt – rezykliert und in neuen Kraftwerken wieder verwendet
werden: Eine Endlagerung wäre dann nicht nötig. Ähnliches gilt für die
anderen drei Modelle.

Kostenfragen

Von Modell A bis D steigt die Effizienz, mit der die Fusionsenergie aus
dem Blanket abgezapft werden kann sowie – mit steigender
Kühlmitteltemperatur – der Wirkungsgrad der Stromerzeugung. Zudem
werden von A bis hin zu D immer günstigere Plasmazustände erreicht: die
Belastung der Wände nimmt ab, weniger elektrische Leistung muss zur
Eigenversorgung in das Kraftwerk zurückgespeist werden. Daher reichen
von Modell A bis D immer kleinere Fusionsleistungen zur Erzeugung von
rund 1500 Megawatt elektrischer Leistung aus. Zudem nimmt das
Plasmavolumen von Modell A bis D um mehr als die Hälfte ab, d.h. die
Anlagen können insgesamt kleiner gebaut werden. Entsprechend lassen die
vier Kraftwerksmodelle unterschiedliche Strompreise erwarten: Modell A
führt zu den höchsten Stromkosten, gefolgt von Modell B und C. Das
avantgardistische Modell D hat die niedrigsten Kosten. Selbst B und C
wären jedoch mit Stromgestehungskosten von 5 bis 10 Cent pro
Kilowattstunde wettbewerbsfähig.

Fazit

Insgesamt lässt die Studie erwarten, dass bereits die erste Generation
kommerzieller Fusionskraftwerke – repräsentiert in den beiden zeitnahen
Modellen A und B, deren Entwicklung keine erheblichen Fortschritte in
der Plasmaphysik und Materialforschung voraussetzt – günstige
Sicherheits- und Umwelteigenschaften besitzen und wirtschaftlich
akzeptabel arbeiten wird. Die Modelle C und D zeigen das große
Potential für weitere physikalische und technologische
Verbesserungen.