(Pioneer) – Das Wolkenkuckucksheim besitzt eine Repräsentanz auf Erden. Und die befindet sich in Straßburg, genauer gesagt: im Europäischen Parlament. Nirgendwo sonst auf der Welt werden derart vorsätzlich und lustvoll weltfremde Beschlüsse gefasst.
Womit wir beim Verbot der Verbrennertechnologie für Automobile wären. Ab 2035, so hat das Europäische Parlament Mitte Februar 2023 beschlossen, darf in Europa kein neues Automobil zugelassen werden, das mit Benzin oder Diesel betankt wird. Die falsche Analyse der technologischen Möglichkeiten bei gleichzeitiger Missachtung der industriellen Interessen Europas und der Kundenbedürfnisse führte zum falschen Beschluss – und von dort war es bis zur Falschmeldung der Tagesschau nicht mehr weit:
„Das EU-Parlament hat endgültig für das Aus des Verbrennungsmotors gestimmt“, wurde mit einem Fanfarenstoß am 14.02.2023 um 16:48 Uhr gemeldet.
Doch diese Finalität war eine behauptete. Von „endgültig“ kann in Wahrheit keine Rede sein. Das Europaparlament wird nach der Wahl im Juni 2024 das Verbrennerverbot 2035 ungültig stempeln müssen.
Der Rückwärtsgang ist für die betroffenen Akteure und ihre medialen Beifahrer schmerzhaft, aber unvermeidlich. Das Wolkenkuckucksheim ist kein Ort, an dem es sich gut leben lässt. Hier die fünf Gründe, warum der Eingriff des Europäischen Parlaments in den europäischen Automobilmarkt nicht funktionieren konnte.
1. Elektromobilität ist global gesehen ein Nischenprodukt
Die Elektromobilität wird sich weltweit nicht auf die Schnelle durchsetzen. Derzeit sind weltweit rund 1,4 Milliarden Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs – rund 98 Prozent davon Verbrenner.
Mit einem jährlichen Neuwagen-Ausstoß von 90 Millionen Fahrzeugen bleibt die schnelle Elektrifizierung aller Verkehre eine Fata Morgana. Bosch-Chef Stefan Hartung rechnet vor:
Wenn wir jetzt sofort alles, was wir im Moment an Produktion haben, umstellen würden, also über 90 Millionen Fahrzeuge pro Jahr ab jetzt voll elektrisch bauen würden, bräuchten wir etwa 16 Jahre, um die gesamte Fahrzeugflotte auszutauschen.
Aber dieses Gedankenexperiment wird für immer ein Experiment bleiben. Es ist undenkbar, dass in absehbarer Zeit der gesamte Produktionsausstoß der weltweiten Automobilindustrie von China bis Detroit elektrisch sein wird.
In großen Teilen dieser Welt ist der Anteil der Elektromobile gar nicht messbar. Die Ladeinfrastruktur fehlt nahezu komplett.
Bosch-Chef Hartung sagt den Bewohnern des Wolkenkuckucksheims,
Ein Teil der Mobilität wird am Ende gar nicht elektrisch sein.
2. Auch in Deutschland ist kein E-Boom ausgebrochen
Auch auf deutschen Straßen sind zu 97 Prozent Verbrennermotoren unterwegs. Und das Zuwachstempo der Elektromobilität hat sich nicht erhöht, sondern gedrosselt. In 2022 waren es noch plus 30 Prozent bei den Neuzulassungen; in 2023 nur noch plus 11,4 Prozent; in 2024 minus 14 Prozent, so eine Prognose des VDA.
Kaum hatte die Bundesregierung ihr Bonusprogramm für die Käufer von E-Autos storniert, war es mit der Begehrlichkeit vorbei. Im Dezember 2023 wurden fast 55.000 neue E-Autos zugelassen – minus 47 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Damit liegt der Marktanteil von elektrisch betriebenen Autos bei den Neuzulassungen aktuell bei knapp 11 Prozent.
Unrealistisches Ziel: Offiziell will die Bundesregierung in sechs Jahren mindestens 15 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen sehen. Nach einer Prognose des Think-Tanks Agora Verkehrswende müssten dafür täglich rund 5.500 E-Autos in Deutschland zugelassen werden. Im März waren es täglich nur etwas mehr als 1.000.
3. Ladeinfrastruktur kommt kaum voran
„Wir machen Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität“, heißt es im Koalitionsvertrag. Die Wahrheit zwei Jahre später: Der Ausbau der Ladeinfrastruktur kommt nur im Schneckentempo voran.
Gestrichen wurde ein Programm, das mit rund 200 Millionen Euro im Jahr 2024 allein in private Ladestationen, plus die dazugehörigen Solaranlagen und Stromspeicher, investieren sollte. Nun muss jeder E-Autobesitzer sehen, wie klarkommt.
Enttäuschend: Bis 2030 sollten rund 15 Millionen E-Autos an etwa einer Million Ladesäulen geladen werden können.
Die Realität: Um das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, müsste sich – so der Verband der Automobilindustrie – das Ausbautempo verdreifachen.
4. China First
Mit dem geplanten Markteingriff würde die EU-Kommission das Herzstück der deutschen Industriegesellschaft schädigen. Denn erst mit Verspätung haben die hiesigen Autokonzerne mit der Entwicklung von Elektroautos begonnen, da hatte Pionier Tesla den Markt bereits eröffnet.
Aber auch China hat sich mit staatlicher Unterstützung einen Vorsprung in der Elektro- und in der Batterietechnologie erarbeitet. Nirgendwo werden heute so ausgereifte, so viele und vor allem so günstige Elektroautos gebaut.
Im chinesischen Markt, wo deutsche Automobile den Verbrennermarkt beherrschten, hat bei der Elektromobilität das chinesische Zeitalter begonnen. Und plötzlich liegen die Marktführer des Verbrenners, vorneweg Volkswagen, ganz weit hinten. Keine drei Prozent des chinesischen Stromermarktes konnten die Wolfsburger bisher für sich erobern.
Ein Verbrennerverbot in Europa nutzt vor allem der chinesischen E-Autoindustrie. Sie wartet nur darauf, mit ihren günstigeren Modellen die europäische Automobilindustrie deklassieren zu können. Ursula von der Leyen und die von ihr geführte EU-Kommission haben diesen geostrategischen Aspekt der Parlamentsentscheidung nie verstanden. Mit dem Verbrennerverbot 2035 würden sie zu nützlichen Idioten der Chinesen.
5. Autoindustrie schwingt um
Das verhaltene Kundeninteresse reflektiert sich mittlerweile auch in der Modellpolitik und den Produktionsplänen der Automobilkonzerne.
Beispiel VW: Dort reduziert man die E-Auto-Produktion in Deutschland; der ID.3 soll wegen zu geringer Nachfrage nun doch nicht im Stammwerk Wolfsburg produziert werden.
Beispiel Mercedes: CEO Ola Källenius hatte in seinem jugendlichen Leichtsinn „Electric only“ als Konzernstrategie ausgerufen. Bereits 2025 sollten reinrassige Elektroautos und Plug-in-Hybride die Hälfte des Absatzes ausmachen. Nachdem Vorgänger Dieter Zetsche (2006–2019) kein einziges E-Auto auf die Straße gebracht hatte, wollte sein Ziehsohn richtig durchstarten.
Neuer Realismus: Inzwischen legt sich der Autoboss nur noch auf das Ziel fest, in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts „bis zu 50 Prozent“ Autos mit E-Motor verkaufen zu wollen. Das reflektiert weniger seine Zögerlichkeit als die Marktsituation.
Fazit: Der Elektromobilität gehört vermutlich die Zukunft – aber nicht überall, nicht allein und eben die Zukunft, nicht die Gegenwart. Die gute Nachricht: Mit seinem Beschluss, der nun wieder kassiert werden muss, hat das Europaparlament die einzig wirklich CO₂-freie Energie emittiert: heiße Luft. Damit schafft man es zwar nicht auf die Straße, aber immerhin in die Tagesschau.