Energie-Autonomie. Der Durchbruch zu erneuerbaren Energien

Ende April erscheint im Münchner Verlag Antje Kunstmann das neue Buch
von EUROSOLAR-Präsident Hermann Scheer unter dem Titel
“Energie-Autonomie. Der Durchbruch zu Erneuerbaren Energien”. Dieses
Buch beschreibt nicht nur die weltweite Entwicklung Erneuerbarer
Energien und die dabei verfolgten Strategien, sondern auch die sich neu
formierenden Gegenstrategien der herkömmlichen Energiewirtschaft, wie
sie u.a. in der massiv betriebenen internationalen Kampagne für eine
“Renaissance” der Atomenergie unter Verweis auf Welt-Klimaschutz zum
Ausdruck kommen.

 Die “Schlüsselfrage”, der Hermann Scheer nachgeht, ist die nach
dem “Faktor Zeit”: Wie müssen Strategien für Erneuerbare Energien
angelegt sein, um eine massive Beschleunigung ihrer weltweiten
Einführung zu erreichen? Welche gegenwärtig verfolgten Strategien
werden diesem Ziel gerecht? Und auf welche Träger müssen sie sich
stützen? Scheer beschreibt die Konflikte um Erneuerbare Energien, die
in dem Maße mehr zu- als abnehmen, sobald sie das herkömmliche
Energiepotential praktisch abzulösen beginnen. Nicht zufällig sei
Deutschland nicht nur der Schauplatz für die gegenwärtig weltweit
dynamischste Einführung Erneuerbarer Energien, sondern auch für die
vehementeste Kampagne dagegen.

 Das Buch besteht aus drei Hauptteilen. In Teil III des Buches
behandelt Scheer die Durchbruchsstrategie, deren Leitmotiv für Hermann
Scheer in praktischen, wirtschaftlichen und technologischen Konzepten
einer “Energie-Autonomie” liegen muss.

 Im Folgenden veröffentlichen wir je einen Abschnitt aus den
beiden ersten Hauptteilen als Vorabdruck. Der eine entstammt dem ersten
Teil des Buches, das “Rezepte und Pseudorezepte” zur Überwindung der
Weltkrisen um Energie ausleuchtet. Der zweite Abschnitt entstammt dem
zweiten Teil, der die “Ungebrochene Macht ein-dimensionalen Denkens”
behandelt, das zu fragwürdigen Handlungskonzepten führt, die die
Entfaltung Erneuerbarer Energien mehr bremsen als voranbringen.
 

Das letzte Gefecht des etablierten Energiesystems?

Die existenzielle Entscheidung, vor der die Welt heute steht, ist die
über die Energieversorgung im postfossilen Zeitalter: Zwischen “Solar”
und “Atom”. Faktisch hat die Atomenergie – wie deren technologische
Luftschlösser zeigen, die der Schriftsteller Carl Amery den “faulen
Zauber der Zauberlehrlinge” nennt – alles andere als positive
Zukunftsaussichten, selbst wenn es keine Widerstände gegen sie geben
würde. Eine größere Rolle spielen die mit ihr verbundenen Projektionen.
Sie dienen als Faustpfand des hergebrachten Energiesystems gegen die
Umorientierung auf Erneuerbare Energien, besonders vor dem Hintergrund
des Weltklimaproblems. Die strukturelle Vorliebe der fossilen
Großwirtschaft zur Atomenergie rührte immer daher, mit dieser dauerhaft
ihre Energiemacht aufrechterhalten zu wollen. Die Atomenergie wurde zur
nächsten Option nach der fossilen. Wäre die Atomenergie nur in
dezentralen und die Erneuerbare Energie nur in Form von Großkraftwerken
nutzbar, so hätte sie immer schon die erstere abgelehnt und letztere
als ihre Folge-Option bevorzugt.

Das Motiv für die Renaissance der Atomenergie kann taktisch oder auch
vermessen sein. Die taktische Variante ist die bloße Bestandserhaltung
auf jetzigem Niveau, wohl wissend, dass die Uhr der Atomenergie
abläuft. Schon damit dies gelingt, muss die “nuclear community” das
tun, was sie am besten kann: Ihre Bedeutung übertreiben und
Alternativen zu ihr als minderwertig erklären. Die vermessenere
Variante ist, dass sie tatsächlich hofft, vielleicht doch noch den
Schnellen Brüter funktionstauglich machen zu können, in der äußerst
vagen Hoffnung auf Erfolgsaussicht, mit der jetzigen Atomtechnologie
und der letzten Tonne Uran doch noch das rettende Ufer der Atomfusion
erreichen zu können. Die Zwischenzeit soll weiterhin in erster Linie
von den fossilen Energien überbrückt werden. Solche Hoffnungen hat Carl
Amery in dem in Buch-form unter dem Titel “Klimawechsel” erschienen
Gespräch mit der “Zeit”-Redakteurin Christiane Grefe und dem Verfasser
satirisch beschrieben: Sie gleichen der des mittellosen Mannes, der in
einem Restaurant einen Gang Austern nach dem anderen bestellt, um die
Perle zu finden, mit der er seine Völlerei bezahlen kann. Das alles
darf alles Denkbare kosten, wenn nur der Systemwechsel zu Erneuerbaren
Energien verhindert werden kann. “Alles außer Erneuerbare Energien” ist
das heimliche Motto.

 Es ist das voraussichtlich letzte Gefecht des atomar/fossilen
Energiesystems zu seiner linearen Selbsterhaltung, das es jedoch nicht
mehr gewinnen kann. Der Versuch ist zum Scheitern verurteilt, mit
gezinkter Zukunftsoption die praktische Umorientierung auf Erneuerbare
Energien zu verhindern. Die technologischen Möglichkeiten zur Nutzung
Erneuerbarer Energien lassen sich nicht auf Dauer verschweigen und
klein halten. Es ist nur möglich, sie weiter aufzuhalten – so wie es
lange genug geschehen ist. Beruhigen kann das nicht, denn die Gefahr
ist zu groß, dass der bevorstehende Untergang des etablierten
Energiesystems, das an allen möglichen Ecken und Seiten schon zu
brennen begonnen hat, die Gesellschaften mit in den Abgrund reißt.

 Das Weltbild, alle gesellschaftlichen Probleme durch Wissenschaft
und Technik lösen zu können, hat zu Gebilden geführt, die sich
verselbständigt haben, so wie das der philosophische Schriftsteller
Günther Anders bereits in den 50er Jahren – vor der aktuellen Erfahrung
mit der Atomtechnologie – in seiner Schrift über die "Antiquiertheit
des Menschen” als Widerspruch zwischen perfektionierter Technik und
bleibenden menschlichen Unzulänglichkeiten beschrieben hat. Wie
bleibend diese sind, zeigen in schlagender Eindringlichkeit die fünf
Bände des Ethnosoziologen Hans Peter Duerr über den “Mythos des
Zivilisationsprozesses”. Kein zivilisatorischer Fortschritt ist
gesichert, die Gefahr archaischer Rückschritte ist immer wieder
gegeben. Nichts beweist das klarer als der auf den ersten Blick paradox
erscheinende Hauptwiderspruch der Gegenwart: Die Flut
naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, manche sprechen von einer
Verdoppelung des diesbezüglichen Wissens alle fünf Jahre, hat nicht
verhindern können, dass die menschengemachte Naturzerstörung im
globalen Maßstab ständig größer geworden ist. Günther Anders spricht
von einer “promethischen Scham” der Menschen in Form eines wachsenden
Insuffizienzgefühls gegenüber den Hervorbringungen der Technologien.
Der Mensch traut diesen mehr als sich selbst und entwickelt einen
grenzenlosen Glauben an technologische Machbarkeiten. Er “desertiert
ins Lager seiner Geräte” und unterwirft sich deren Macht. Es geht dann
nicht mehr um eine bewusste Technikauswahl, wozu auch bewusst das
Abstellen von Geräten ins Technikmuseum gehört, sondern nur noch um
Fortschreibung durch Weiterentwicklung.

 Aber lineare Entwicklung bricht irgendwann an ihrem Widerspruch
zu den sich ihr entgegenstehenden natürlichen, gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Kreisläufen, aus denen die Widerstände entstehen. Es
scheitert daran, sich mit diesen noch ausreichend rückkoppeln und seine
eigenen Stellgrößen noch verändern zu können. Ist ein System
übermächtig, kann es seine Existenz über Gebühr verlängern, mit immer
neuen Anläufen. Mit wachsender Größe werden die Unternehmen dieser
Energieversorgung unbeweglicher – nicht trotz ihrer Kapital- und
Organisationsmacht, sondern wegen dieser. Der Selbsterhaltungsversuch
findet selbst wider bessere Einsicht oder Erkenntnis ihrer
Verantwortlichen statt, denen die möglichen Bruchpunkte nicht verborgen
bleiben können. Den vom Weltklima gesetzten Grenzen kann das
Energiesystem noch am längsten ausweichen. Das Kyoto-Protokoll, worauf
wir noch zu sprechen kommen, hindert es daran nicht. Die Folgen der
Klimaveränderung, obwohl durch den fossilen Energieverbrauch
unmittelbar verursacht, treffen nicht unmittelbar die Verursacher. Sie
unmittelbar treffende Bruchpunkte sind diejenigen, die sich aus den
anderen energetisch bedingten Krisen ergeben. Wegen dieser wird es aber
auf den Kapitalmärkten eine wachsende Zurückhaltung geben, die
Milliarden-Investitionen für die Großanlagen und die dafür notwendigen
umfänglichen Infrastrukturausbauten finanziert zu bekommen. Diese Sorge
trieb auch das Familientreffen der globalen Energiewirtschaft in Form
der Weltenergiekonferenz um. Sie forderte dazu auf, die öffentliche
Akzeptanz des Energiesystems zu verbessern – also durch
Public-Relations.

 Sinngemäß lautet der erste Satz des Abschlusskommuniques der
Weltenergiekonferenz: “All energy options must be kept open and no
technology should be idolised or demonised.” Gemeint war, dass
Erneuerbare Energien nicht idolisiert werden und atomare und fossile
Energien nicht verteufelt werden sollten. Mit anderen Worten: Die
atomaren und fossilen Energien sollten im öffentlichen Bewusstsein als
gleichwertig hingestellt werden. Diese Gleichwertigkeit” ist aber nur
herstellbar durch die Verharmlosung der Probleme und Gefahren atomarer
und fossiler Energien und systematisches Herunter-spielen der
technologisch-wirtschaftlichen Möglichkeiten und Erneuerbarer Energien
und der damit verbundenen vielfältigen sozialen Vorteile. Mit einer
langanhaltenden und breit angelegten und sich zuspitzenden Kampagne ist
deshalb zu rechnen, um das System atomarer und fossiler
Energieversorgung unschuldig gegenüber den energetisch bedingten Krisen
zu machen und den Regierungen und Gesellschaften die Hinwendung zu
Erneuerbaren Energien auszureden. Auf der Folie behaupteter
Gleichwertigkeit mit Erneuerbaren Energien soll dann nur noch der
Marktpreis für Energie ausschlaggebend sein, für dessen Ausgestaltung
zu Lasten Erneuerbarer Energien die Kontrolle über die Strukturen der
Energieversorgung gesichert werden muss. Um andere Gedanken gar nicht
erst aufkommen zu lassen, werden die technologisch-wirtschaftlichen
Grundannahmen gegenüber Erneuerbaren Energientrotz ihrer Haltlosigkeit
und technologischen Phantasielosigkeit in Stein gemeißelt. Sie sind die
Rechtfertigungslüge, die der Konservierung des etablierten
Energiesystems dient, und auf der dieses seine weitere Existenz zu
gründen versucht. Das alles ist ein schlechtes Omen für die
“Rationalität” des Umgangs mit Erneuerbaren Energien. Mit
Verwirrstrategien wird neuerdings nicht nur versucht, den Erneuerbaren
Energien ihr Potential abzustreiten, an Stelle der atomaren und
fossilen Energieversorgung treten zu können, sondern sogar auch ihren
Umweltvorteil.

 Die Frage ist allerdings, ob sich die Kapitalmärkte und die
Versicherungsgesellschaften darauf einlassen, wenn sie ihre
Risikoanalysen machen müssen. Auch ist die Frage, wie viel Regierungen
und Parlamente noch weiter willens sein werden, die
Selbsterhaltungsstrategie des etablierten Energiesystems zu
unterstützen – und wenn sie dieses tun, ob sie dann noch die
finanzielle Kraft haben, für eine unbedingte Atom-energie-Renaissance
erneut die Staatskassen plündern zu lassen. Und die Frage ist, ob sich
die Öffentlichkeit so sehr täuschen lässt – neben der Frage, wie viele
Kräfte im Energie-system diese Selbsttäuschung durchhalten und sich
seinem Corps-Geist weiter fügen.

 Die autistischen Überlebensversuche des atomar/fossilen
Energiesystems unterstreichen die eingangs zitierte Feststellung Albert
Einsteins, dass ein Problem nicht mit denselben Methoden zu lösen ist,
die es verursacht haben – und die daran anknüpfende Feststellung des
Verfassers, dass das auch kaum mit denselben Trägern möglich ist.

 Es bleibt keine andere Wahl, als die Strukturmacht des
etablierten Energiesystems zu durchbrechen, ihm den Weg zur künstlichen
Existenzverlängerung zu versperren und ohne Rücksicht auf diese die
Erneuerbaren Energien zu mobilisieren. Doch mit welchen Methoden
politischen, wirtschaftlichen und sozialen Handelns und mit welchen
Akteuren? Mit den Grundannahmen, die das bisherige Handeln weitgehend
bestimmen, wird das nicht möglich sein, wie wir in Teil II zeigen. Sie
lähmen vorhandene Akteure und verhindern die Aktivierung vieler
weiterer, die für den Wechsel zu Erneuerbaren Energien notwendig sind.
 
 

Das Kyoto-Syndrom und das Elend neoliberaler Energie- und Umweltökonomie

Als am 16. Februar 2005 das Kyoto-Protokoll in Kraft trat, wurde es
überschwänglich gefeiert, besonders von Umweltpolitikern,
-organisationen und -wissenschaftlern. Wiederum wurde davon gesprochen,
dass nun ein „neues Zeitalter“ begonnen habe. In Zeitungsannoncen der
deutschen Bundesregierung hieß es: „Sibirien bleibt kalt“, als sei das
Weltklima schon gerettet. Die Fraktion der Grünen im Deutschen
Bundestag nennt es einen „Meilenstein für den internationalen
Klimaschutz“. Die Schlagzeile der „tageszeitung“, zu deren
Selbstverständnis das publizistische Engagement für ökologische Fragen
gehört, lautete: „Großer Schritt für die Menschen, aber nur ein kleiner
für das Klima.“ Diese Überschrift, dessen beiden Halbsätze in
Widerspruch zueinander stehen, drückt das Dilemma der
Kyoto-Protokoll-Enthusiasten aus: Man weiß, dass es für den
Weltklimaschutz vollkommen unzulänglich ist. Ein Dilemma, das auch in
der Erklärung der deutschen Klimaforscher zum Ausdruck kommt: Das
Protokoll sei ein “Riesengewinn, aber es bringt letztlich nichts”.
 Der allgemeine Tenor lautet, dass es in Zukunft darum gehen
müsse, die USA von ihrer Mitwirkungsverweigerung abzubringen und
möglichst alle Länder, vor allem China, in die Verpflichtungen zur
Minderung von Treibhausgas-Emissionen einzubeziehen – und darum, die
bisherigen Verpflichtungsquoten zu erhöhen. Immerhin, so der weltweite
Begrüßungschor, sei aber mit dem Kyoto-Protokoll der Einstieg in eine
gemeinsame Grundordnung für Energieentscheidungen gelungen – und das
sogar mit marktwirtschaftlichen Instrumenten. Diese werden als
vorbildliches, möglichst überall und durchgängig anzuwendendes
strategisches Grundkonzept für die Einleitung einer Energiewende
gepriesen. Nur wenige Stimmen waren am “Kyoto-Tag” kritischer
eingestellt, wie die des Direktors des UN-Umweltprogramms Klaus Töpfer,
der “neue Lösungen, und zwar möglichst sofort” forderte.

 Das Kyoto-Protokoll verdient die darauf angestimmten Hymnen
nicht, und zwar nicht nur wegen der darin enthaltenen minimalen
Verpflichtungen. Es enthält alle das politische und wirtschaftliche
Handeln für eine globale Energiewende lähmenden, einschränkenden und
vor allem fehllenkenden Elemente, die in den beiden vorhergehenden
Abschnitten beschrieben wurden: Die monomane Fixierung auf globale
Konsenslösungen und auf solche “Marktinstrumente”, die
Unvergleichliches vergleichen und die Strukturen der herkömmlichen
Energieversorgung verfestigen. Es ist ein fragwürdiges Konstrukt
neoliberalen Energiedenkens, dessen Umsetzung gleichwohl einen
wachsenden bürokratischen Aufwand erfordert.

 Das amerikanische “Nein” verhindert eine kritische Betrachtung des Kyoto-Protokolls

 Als zum Jahresende 2000 in der Verhandlungsrunde in Den Haag auf
US-amerikanisches Verlangen – noch war Clinton US-Präsident, aber sein
Nachfolger Bush war schon gewählt – ein stark verwässerter Entwurf für
die Ausgestaltung des Protokolls vorgelegt wurde, den die europäischen
Regierungenablehnten, begrüßten die Nicht-Regierungs-Organisationen
dieses Scheitern mit dem Satz: „Lieber kein Abkommen als ein
schlechtes.“ Als jedoch im Juli 2001 in der nächsten Verhandlungsrunde
in Bonn das nun in Kraft getretene Abkommen vereinbart wurde, war es
nochmals verwässert worden, um den USA vielleicht einen späteren
Beitritt zum Protokoll zu erleichtern. Aber nunmehr wurde es mit dem
Satz „Besser ein schlechtes als gar kein Abkommen“ über den grünen Klee
gelobt und die partizipierenden NGO-Vertreter bejubelten es.

Seitdem überwiegt eine kritiklose Einstellung zum Kyoto-Protokoll, die
die falsche Beruhigung vermittelt, jetzt sei alles auf dem besten Weg.
Wegen dessen Ablehnung durch die US-Regierung und den US-Senat ist es
zum Symbol für die politische Bereitschaft zum aktiven Weltklimaschutz
geworden – zum Unterscheidungsmerkmal zwischen Gut und Böse. Was einmal
zum Symbol geworden ist, wird meistens unkritisch betrachtet. Hätten
die USA dem Protokoll zugestimmt, würde es wahrscheinlich schon längst
eine breite kritische Debatte über dessen Schattenseiten geben.
Deswegen ist die US-amerikanische Ablehnung doppelt schädlich: Sie
verhindert, dass der geringfügige positive Effekt des Protokolls zum
Tragen kommt, und dass die negativen Effekte – die darauf angelegt
sind, die globale Umorientierung auf Erneuerbare Energien mehr zu
bremsen als anzuschieben – wahrgenommen werden.

 Weil das Abkommen selbst sehr komplex ist, erschwert es eine
breite öffentliche Diskussion. Und viele scheuen eine Kritik, um keinen
„falschen Beifall“ derjenigen zu bekommen, die einer Klimaschutzpolitik
generell ablehnend gegenüber stehen.

 Nach fast zehnjährigem Verhandlungsmarathon kam die Einigung
zustande, dass die Industrieländer bis zum Jahr 2012 ihre
Treibhausgas-Emissionen um durchschnittlich 5,2 % gegenüber dem Stand
von 1990 reduzieren müssen. Das Intergouvernemental Panel on Climate
Change (IPCC), in dem die Klimawissenschaftler aller Länder
zusammenarbeiten, hält jedoch bis zum Jahr 2050 eine Minderung um 60 %
für dringend geboten. Wenn aber vor dem Jahr 2012 nichts entscheidendes
weit über das Protokoll hinaus passiert, wird es weltweit etwa 50 % und
in den Industriestaaten 11 % mehr Treibhausgasemissionen geben. Das
sagen die Berechnungen des Sekretariats des Protokolls und die von
Hans-Joachim Luhmann, einem Klimaexperten des deutschen
Wuppertal-Instituts. Diese Zahlen gehen davon aus, dass das
Kyoto-Protokoll tatsächlich umgesetzt wird, was aber durchaus fraglich
ist. Woher nehmen all diejenigen, denen für weitergehende Lösungen
nichts anderes einfällt als eine Fortsetzung des Kyoto-Prozesses, ihren
ptimismus, auf diesem Wege für die Zeit nach 2012 den vom IPCC
geforderten Reduktionszielen auch nur einigermaßen nahe kommen zu
können? Mit denselben Methoden wie bisher und denselben Trägern? Im
Dezember 2004, als in Buenos Aires die Verhandlungen für „Kyoto II“
gestartet wurden, gab es dasselbe mühselige Gefeilsche wie eh und je.

 Die Länder, die sich dem Protokoll angeschlossen haben, werden in
drei Gruppen unterschieden: Industrieländer („Annex I Parties“), mit
ungefähr gleichen Reduktionsverpflichtungen; industrielle
Schwellenländer („Annex B Parties“), darunter die Ostblockländer der
ehemaligen Sowjetunion, die unterschiedliche Obergrenzen für ihre
Treibhausgas-Emissionen zugestanden bekommen haben – in einer
Bandbreite von minus acht Prozent bis plus zehn Prozent gegenüber dem
Referenzjahr 1990; und Entwicklungsländer („Non-Annex I Parties“), die
keinerlei Verpflichtungsgrenzen unterliegen. Soweit das Protokoll
Verpflichtungen enthält, richten sie sich an Staaten. Es bleibt diesen
überlassen, wie sie ihre Verpflichtungen erfüllen. Hätte sich das
Kyoto-Protokoll mit diesem Verpflichtungsziel begnügt, so wäre die
Bewertung gerechtfertigt, dass selbst ein Minimalkompromiss besser ist
als gar keiner. Jedes verpflichtete Land müsste dann seine eigenen
Umsetzungskonzepte ergreifen. Problembewusstere Regierungen und
Parlamente würden, auch aus anderen als aus Klimamotiven, über die
eingegangene internationale Verpflichtung hinausgehen und
Umweltbewegungen würden darauf drängen. Es gäbe einen
Konzeptwettbewerb, der Gutwillige wechselseitig befruchtet.

 Die flexiblen Instrumente sind das größte Problem

Aber ergänzend dazu enthält das Protokoll als Zusatzangebot drei sogenannte „flexible Instrumente“.

Der Handel mit „Emissionsrechten“: Jeder Staat kann „Emissionsrechte“
in Höhe seines Verpflichtungsziels, für die er Zertifikate (ein
Zertifikat pro Tonne CO2 oder das dies-bezügliche Äquivalent bei
anderen Treibhausgasen wie Methan) erhält, an andere Staaten veräußern,
wenn er sie nicht selbst in Anspruch nimmt. Emittiert er mehr als ihm
zusteht, kann er „Rechte“ von anderen kaufen, die weniger als ihnen
zugestanden emittieren. Jeder Staat kann auch nach einem festzulegenden
Verfahren Emissionsrechte an private Anlagenbetreiber seines
Hoheitsgebietes in Form handelbarer Zertifikate vergeben. Wer wiederum
von diesen durch eigene Initiativen seine Rechte nicht voll ausschöpft,
kann diese an solche Anlagenbetreiber veräußern, die es vorziehen,
weitere Emissionsrechte zu kaufen statt Investitionen zur
Emissionsminderung zu tätigen.

Joint Implementation (JI) und Clean Development Mechanism (CDM): Mit
dem JI-Instrument können verpflichtete Staaten – oder Unternehmen aus
diesen – aus ebenfalls verpflichteten Staaten eine Emissionsgutschrift
erwerben. Mit dem CDM-Instrument können Gutschriften durch Projekte in
den zu keiner Reduktion verpflichteten Entwicklungsländern erworben
werden.

Die Übernahme dieser „flexiblen Instrumente“ ist offiziell freiwillig.
Da sie jedoch internationale Verrechnungsmöglichkeiten enthalten, mit
denen Staaten sich selbst und ihre Unternehmen von ihren
Verpflichtungen kostensparend entlasten können, wird sich kein Staat
der Übernahme dieser Instrumente in sein eigenes Regelwerk entziehen
können oder wollen. Die Unternehmen werden darauf drängen, und kein
Industriestaat wird darauf verzichten, sich diesbezügliche Projekte aus
seiner Entwicklungshilfe gutschreiben zu lassen.

Wegen dieser „flexiblen Instrumenten“ wird das Kyoto-Protokoll gerühmt.
Tatsächlich sind sie aber das eigentliche Problem. Statt
marktwirtschaftlicher Lösungen führen sie – wie zu zeigen ist – zu
einer bürokratisierten und entsprechend inflexiblen globalen
Investitionslenkung. Statt kosteneffektiver Lösungen wirken sie eher
kostentreibend, weil sie die Zahl der Mitesser und Kostgänger im
Energiesystem erhöhen. Statt die Umorientierung auf Erneuerbare
Energien zu erleichtern, werden sie schon jetzt als Schlagwaffe gegen
diejenigen politischen Instrumente eingesetzt, über die in einigen
Ländern der Aufbruch zu Erneuerbaren Energien zustande kam. Sie
verfestigen die Strukturen der überkommenen Energiewirtschaft und
verhelfen diesen zu weiterer Expansion auch in die Entwicklungsländer:
Sie verzögern damit die globale Umorientierung auf Erneuerbare
Energien.

 Durch die „flexiblen Instrumente“ wird der Minimalkompromiss des
Kyoto-Protokolls faktisch zur Obergrenze der bis 2012 stattfindenden
CO2 -Reduktionen. Sie stellen indirekt einen ökonomischen Anreiz dar,
nicht über die Verpflichtungsquote von durchschnittlich 5,2%
hinauszugehen. Die Folge ist, dass über die aktuell eingegangenen
Verpflichtungen hinausgehende Initiativen auf den Zeitraum nach 2012
verschoben werden. Forderungen innerhalb der Verpflichtungsländer nach
über das Minimalziel hinausgehenden Initiativen sind ohnehin mit dem
Widerstand konfrontiert, dass man sich dadurch nur selbst schaden
würde. Wenn kein finanzieller Bonus wegen Übererfüllung winkt, erhalten
solcheWiderstände zusätzliches „Kyotologisches“ Gewicht. Der
Mechanismus der internationalen Handelbarkeit von „Emissionsrechten“
führt also dazu, dass nicht mehr Emissionen reduziert werden als das
Protokoll gebietet. Die Mechanismen beziehen sich mehr auf die
„Effizienz“ des Kyoto-Protokolls als auf effektive CO2; -Minderungen.
Gemessen an den tatsächlichen Klimagefahren ist deshalb dieses
Instrument unverantwortlich. Es macht das Minimum zum Maximum.

 Dies zeigt, dass es besser gewesen wäre, das Protokoll auf die
Verpflichtung zur Reduktion von „Treibhausgasen“ zu beschränken und auf
die „flexiblen Instrumente“ zu verzichten, so dass jedes Land seinen
eigenen Weg zur Erfüllung dieser Verpflichtungen geht.

 Der 2005 eingeleitete Handel mit „Emissionsrechten“ erfasst in
Deutschland 1200 Unternehmen mit 1849 Anlagen. Diese haben von der
dafür eingerichteten Emissionshandelsstelle, die bereits in der
Anfangsphase 120 Mitarbeiter hat, für den Zeitraum von drei Jahren
Zertifikate für jährlich 495 Mio. t CO2 zugeteilt bekommen, die je
einen Wert von ca. 5 EUR pro Tonne haben werden. Ihr jährlicher
Handelswert liegt also bei etwa 2,5 Mrd. EUR. Der Preis bildet sich am
Markt und wird mehr oder minder stark fluktuieren. Keiner kann sagen,
wie viele angeregt werden, sich lieber Emissionsrechte zuzukaufen –
etwa im Rahmen des JI-Instruments – oder in eigene Maßnahmen zu
investieren. Die Zuteilungen der „Emissionsrechte“ erfolgte anhand des
Standes der Technik und früherer Bemühungen zur Emissionsminderung. Bei
799 der 1849 ausgestellten Zuteilungen wurden Einsprüche eingelegt, die
einen großen Markt für Rechtsanwälte versprechen – neben dem für die
auf Zertifizierung spezialisierten Institute.

 Die anlagenbezogenen CO2 -Kalkulationen haben jedoch ihre Tücken.
Denn sie sagen nicht die gesamte Emissionswahrheit, weil ja auch bei
der Förderung und dem Transport der Brennstoffe Emissionen anfallen.
Wenn diese nicht berücksichtigt werden, führt jede nur anlagenbezogene
Emissionsmessung zum klimapolitischen Selbstbetrug. Nehmen wir als
Beispiel ein deutsches Kohlekraftwerk, das seine CO2 -Emissionen
mindert und gutgeschrieben bekommt, und das zu diesem Zeitpunkt die
Kohle aus einem nahe liegenden deutschen Kraftwerk bezieht. Wechselt es
den Kohlebezug im nächsten Jahr durch Lieferungen aus Australien,
fallen zusätzliche Transportemissionen an, also mehr CO2 -Emisisonen.
In Deutschland ist es nach dem neuen Emissionshandelsgesetz möglich,
diese Veränderung einzubeziehen. Es gibt nicht nur eine jährliche
Berichtspflicht und nach der sogenannten GEMIS-Methodologie – die sich
auf den gesamten Brennstofffluss bezieht – verändert sich die CO2
-Bilanzierung entsprechend. Doch diese Methode wird keineswegs in allen
Ländern praktiziert, so dass in vergleichbaren Fällen ein
Kohlekraftwerk zum Verursacher von mehr Emissionen werden und trotzdem
seinen Minderungsbonus behalten kann.

 Mit den JI- und CDM-Mechanismen kann eine tatsächlich globale CO2
-Reduzierung, ausgehend vom status quo gegenwärtiger Emissionen, sogar
unterlaufen werden. Russland hat gegenwärtig aufgrund seiner
wirtschaftlichen Lage etwa eine Milliarde t weniger CO 2 -Emissionen
als ihm vom Protokoll zugestanden ist, die Ukraine über 400 Mio. t
weniger. Da kaum zu erwarten ist, dass es dort in den nächsten Jahren
zu einem wirtschaftlichen Wachstum kommt, das die Ausschöpfung dieser
„Rechte“ im eigenen Land nach sich zieht, können beide riesige Mengen
Emissionszertifikate verkaufen. Wenn Russland nur 500 Mio. t verkauft,
könnte es dafür – bei einem Verkaufserlös von durchschnittlich 7 Dollar
pro t CO2 -Emission- 3,5 Mrd. Dollar bis 2012 jährlich einlösen. Es ist
nicht anzunehmen, dass sich Russland dieses Geschäft entgehen lässt.
Für die Ukraine gilt das gleiche. Allein durch Emissionsgeschäfte mit
diesen Ländern können sich andere Länder größtenteils oder sogar
vollständig von ihren Verpflichtungen freikaufen, ohne dass eine
einzige t CO2 tatsächlich reduziert wird. Eine Luftbuchung trotz
rechnerischer Erfüllung des Kyoto-Protokolls. Die Verkäufer können ihre
potentielle Verkaufsmasse zwischen 2008 und 2012 anbieten.Schon vor
2008 können sich Länder entsprechende Kaufoptionen sichern – und sind
auch schon auf Einkaufstour, wie etwa Japan, Italien, die Niederlande
und Großbritannien. Das JI-Instrument dient auch als Lockmittel für
einen eventuellen Beitritt der USA vor dem Jahr 2008 – in der Hoffnung,
dass Energiekonzerne und am Emissionshandel interessierte Banken
US-Regierung und Senat dazu drängen.

 Und der CDM-Mechanismus? Nehmen wir an, in Indien wird ein neues
fossiles Kraftwerk gebaut, das deutlich weniger CO2 -Emissionen hat als
das „Referenzkraftwerk“, das der CDM-Board als Berechnungsbasis
definiert. Wenn dieses Kraftwerk von einem deutschen Konzern, der
selbst zu Emis-sionsreduktionen verpflichtet ist, erstellt wird, kann
dieses dafür eine Gutschrift erhalten, die sein eigenes CO2 -Konto
entlastet. Handelt es sich bei dem Kraftwerk um eines, das ein
ineffizientes altes ersetzt, so ist tatsächlich eine deutliche CO2
-Reduktion erreicht. Handelt es sich jedoch um ein zusätzliches, um den
wachsenden Energiebedarf Indiens zu befriedigen, dann nehmen die CO2
-Emissionen zu – und den Bonus erhält der deutsche Kraftwerkshersteller
trotzdem. Der auswärtige Investor muss das Projekt beim CDM-Board
anmelden. Zwei Prozent des Gewinns muss er der Regierung des
Projektstandorts überweisen. Indien hat beschlossen, diese Einnahme für
Erneuerbare Energien zu verwenden – aber gleichzeitig die bisherigen
selbst finanzierten Fördermittel um diesen Betrag zu reduzieren. Über
das CDM-Instrument wird in den Regierungen der Entwicklungsländer ein
Anreiz gegeben, weiterhin dem Bau fossiler Großkraftkraftwerke oder
großer Staudammprojekte Priorität zu geben, statt auf dezentrale
Erneuerbare Energien zu setzen.

 Investoren aus einem industriellen Verpflichtungsland haben wegen
des CDM-Instruments einen Wettbewerbsvorteil, weil sie die Gutschrift
dazu nutzen können, ihr Angebot finanziell zu verbessern. Eine
Schlagseite zugunsten von Großkraft-werksprojekten ergibt sich auch
durch den großen administrativen und finanziellen Aufwand, um im Rahmen
der CDM aktiv werden zu können. Das CDM-Instrument ist zwangsläufig
bürokratisch, um einen Missbrauch des Instruments verhindern zu können.

 Der Executive Board (EB), bestehend aus zehn Mitgliedern,
überwacht das Verfahren mit einem Apparat, dessen Größe mit der Zahl
der angemeldeten Projekte wächst. Projektvorschläge müssen an die
„Designated Operational Entity“ (DOE) gerichtet werden. Dieses
vergleicht jeden Vorschlag mit den Kriterien des CDM. Sind diese
erfüllt, wird es beim EB registriert und anschließend von Experten –
darauf spezialisierte Consultingfirmen, Ingenieurbüros, Umweltinstitute
und NGOs – anhand der von diesem anerkannten Methodologien geprüft.
Dieses Verfahren ist langwierig und hat zwangsläufig die Wirkung einer
Investitionsverzögerung – zumindest für die Projekte, die in jedem Fall
realisiert werden und für die zunächst versucht wird, eine Gutschrift
zu bekommen.

 Wegen des bürokratischen Aufwands ist auch der finanzielle hoch,
was die Tendenz zu Großprojekten weiter verstärkt. Der Anteil der für
die Prüfungsarbeiten verlangten sogenannten „Transaktionskosten“ ist
umso niedriger, je größer das Projekt ist. Nach Angaben von
Zertifizierern, die schon tätig sind, liegen die Transaktionskosten für
jedes Projekt bei etwa 250.000 Dollar. Daraus ergibt sich, dass bei
kleineren Projekten – etwa einem 2 MW-Kraftwerk für Biomasse – die
anteiligen Transaktionskosten mehr als 20 % der gesamten Kosten
ausmachen können, während sie bei größeren sinken. Die Transaktion
wirkt bei allen „flexiblen Instrumenten“ kostentreibend. Mitverdiener
am System sind die Emissionshändler, die für Provisionen von 10 %
arbeiten und die Prüfexperten für die Vergabe der Zertifikate.
Mitverdiener sind auch die Investmentfonds, die bereits
„Emissionsrechte“ einkaufen und zu einem späteren Zeitpunkt an
Meistbietende verkaufen – wie der World Bank Prototyp Carbon Fund (laut
UNDP mit einer Fondssumme im Jahr 2003 in Höhe von 180 Mio. Dollar),
der Denmark CDM Fund (100 Mio), die European Bank for Reconstruction
und Development (100 Mio.), die Development Bank of Japan (100 Mio.)
und die Japan Bank for International Corporation (100 Mio.). Die
deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat 2004 einen Fonds von
in Höhe von 50 Mio. aufgelegt. Keine Entwicklungsbank kann sich der
Bedienung der „flexiblen Instrumente“ verweigern, weil sie damit
Aktionsspielraum an diejenigen verlieren würden, die mit diesen
Instrumenten arbeiten. Auch die Banken-und Fondsaktivitäten kosten Geld
und erhöhen damit die Transaktionskosten. Die Händler von
„Emissionsrechten“ sind an hohen Preisen interessiert, weil das ihre
Provisionen erhöht, und die Zertifizierungsexperten an einem hohen
Prüfaufwand, weil das ihr Geschäft ausweitet. Je mehr die „flexiblen
Instrumente“ in Anspruch genommen werden und je mehr Stichproben zur
laufenden Kontrolle von nationalen Registern und Projekten notwendig
sind, desto besser. So entsteht ein neuer blühender Erwerbszweig. Dies
alles macht unerfindlich, wie der versprochene „kosteneffektive“
Klimaschutz erreicht werden soll, wenn zu den jetzigen Kostgängern in
der Energiewirtschaft so viel weitere hinzukommen. „Und ist der Handel
noch so klein, bringt er doch mehr als Arbeit ein“, sagt ein altes
Sprichwort.

Gleichzeitig wird das Gros der Klimaspezialisten als in die Umsetzung
der „flexiblen Instrumente“ eingebunden und profitiert davon. Sie
stellen eine Armee von Befürwortern dieser Art von Kyoto-Protokoll.
Dies erklärt, warum es bisher keine breite kritische Diskussion über
die Fragwürdigkeiten der „flexiblen Instrumente“ gegeben hat. Im
Gegenteil: Schon hat die Diskussion eingesetzt, alle anderen
politischen Konzepte für eine Energiewende zugunsten dieser Instrumente
aufzugeben und alles auf diese zu konzentrieren. Je unkritischer diese
betrachtet werden, desto mehr wird sich diese Tendenz verstärken – um
weltweit die Klimaschutzpolitik an diesem uniformen Handlungsmuster
auszurichten.

 Für den Fall, dass ein Industrieland bis 2012 seinen
Verpflichtungen nicht nachkommt, sind finanzielle Sanktionen
vorgesehen. Für die Zeit danach sollen dann seine Verpflichtungen mit
dem Faktor 1,3 steigen. Doch diese Sanktion ist kaum das Papier wert,
auf dem sie geschrieben ist. Auch für die nächste Verpflichtungsrunde
ist eine breite Zustimmung nötig. An fünf Fingern ist ablesbar, dass
der politische Preis dafür wohl eine Amnestie der Vertragsbrecher sein
wird.

 Kyoto II als Verschlimmbesserung?

 Die wohlfeile Antwort auf Kritiken am Kyoto-Protokoll und seinen
Instrumenten ist, dass alle Mängel bei künftigen Verhandlungen
überwunden werden können, nicht nur durch eine Steigerung der
Verpflichtungen ab 2012, sondern durch die ausnahmslose Einbeziehung
aller Staaten in diese. Der Staat würde dann ein anhand seiner
Einwohnerzahl gemessenes „Emissionsrecht“ erhalten. Die Bereitschaft
dazu kann es nur geben, wenn die Zuteilung der Länderquote nicht die
extrem unterschiedlichen Energieverbräuche zwischen Industrie- und
Entwicklungsländern festschreibt. Ein „Kyoto II“, das den
Industrieländern ein Mehrfaches an „Emissionsrechten“ zubilligt, wäre
ein „Zweiklassen-Vertrag“. Das Gleichheits-prinzip müsste beachtet
werden, so dass man sich in einer mittleren Bandbreite treffen müsste –
was dazu führen wird, dass den Entwicklungsländern sehr viel mehr
„Emissions-rechte“ zugeschrieben werden müssten als sie Emissionen
haben – so wie es in Russland gegenwärtig der Fall ist. Die zu
erwartende Folge ist, dass sich dann – wie gehabt – die Zahl
provisions- und zertifizierungsträchtiger Luftbuchungen drastisch
erhöht. Es bliebe wegen der „flexiblen Instrumente“ dabei, dass die
globale Reduktionsquote – die wiederum nicht mehr sein kann als der
kleinste konsensuale Nenner – auch im nächsten Verpflichtungszeitraum
nicht überschritten wird. Des weiteren wird versucht werden, an den
„flexiblen Instrumenten“ weiter zu feilen, um die bis dahin nicht mehr
ignorierbaren Schwachstellen zu beheben. Aber jedes Feilen erhöht den
bürokratischen und finanziellen Aufwand, führt also zur
Verschlimmbesserung. Etwa die Einbeziehung auch kleinerer – oder gar
aller – Energieprojekte mit dem Ergebnis einer vollständigen globalen
Projekt- und Investitionserfassung. Wenn jede kleinere Investition in
Anmelde- und Prüfverfahren eingebettet würde, droht daraus eine
Totalbürokratisierung der Energieaktivitäten zu werden, die jeder
wirtschaftlichen Dynamik Hohn spricht und vor allem die dezentralen
Energietechnologien benachteiligt.

 Das Klima wird durch das Kyoto-Protokoll kaum gewinnen. Große
Energieverbraucher haben offiziell legitimierte Schlupflöcher,
Energiekonzerne erhalten zusätzliche Entfaltungschancen. Die Gewinner
werden die Instrumenteure sein – und die Länder, die viel Zertifikate
verkaufen können, weil sie in einer wirtschaftlichen Misere sind. Das
sei ihnen gegönnt. Eine andere Frage ist, was sie damit machen. Für die
Idealvorstellung, dass sie damit eigene ökologische Initiativen
finanzieren, gibt es keinerlei Garantie. Und ihnen künftig auferlegen
zu wollen, dass sie die Einnahmen für „nachhaltige Entwicklung“
verwenden, wird deren Zustimmungsbereitschaft für eine Ausweitung der
Kyoto-Verpflichtungen nicht fördern. Zwar wird es auch auf Erneuerbare
Energien bezogene Projekte geben, die über die „flexiblen Mechanismen“
zustande kommen. Die vielfältigen Motive dazu werden auf eines
reduziert. Andere – wie das der langfristigen Energiesicherheit, die
Deviseneinsparung durch Minderung der Energieimporte, der Verminderung
der Gesundheitsschäden, das Einsparen von Wasser – rücken in den
Hintergrund. Indem Maßnahmen für die CO2 -Minderung nach einheitlichem
Muster monetarisierbar gemacht wurden, was für die anderen kaum möglich
ist, bleiben diese außerhalb des Blickfelds und der
Entscheidungskriterien. Die „flexiblen Mechanismen“ begünstigen
kurzfristige CO2 -Minderungen durch Effizienzsteigerung der
herkömmlichen Energieversorgung gegenüber dauerhaften vollständigen
Emissionsvermeidungen durch Erneuerbare Energien. Dies ergibt sich
schon aus dem Berechnungszeitraum, der um der Überschaubarkeit und
durch das Protokoll selbst auf kurze statt auf lange Zeiträume
ausgerichtet ist.

 Hinzu kommen weitere Faktoren:

 

Die auf einzelne Anlagen bezogenen Berechnungen der CO2 -Minderung
lassen außer Acht, welche Energieverluste und damit -emissionen bei der
fossilen Energieförderung und bei den Energietransporten anfallen –
wenn ein Staat diese nicht in seine Prüfkriterien einbezieht. Damit
bleibt der Systemvorteil der Erneuerbaren Energien unberücksichtigt,
dass es sich bei diesen um heimische Energiequellen mit geringen und
teilweise gar keine Transportaufwendungen handelt.

Obwohl Investitionen in Atomkraftwerke vom Kyoto-Protokoll nicht als
CO2 -Minderungsmaßnahme anerkannt sind, wird die Atomenergie indirekt
begünstigt. Das Interesse der Länder mit in Betrieb befindlichen
Atomkraftwerken wird gefördert, diese so lange wie möglich laufen zu
lassen und deshalb die Betriebsgenehmigung zu verlängern. Jedes
abgeschaltete Kraftwerk kommt die Länder nach den Kyoto-Kalkulationen
teuer zu stehen. Wahrscheinlich wird in den Verhandlungen für den
Vertragszeitraum nach 2012 von einigen Ländern massiv darauf gedrängt
werden, neue Atomkraftwerke anerkennbar zu machen. Denn mittlerweile
gibt es die weltweit organisierte Kampagne für die Renaissance der
Atomenergie, unter ausdrücklicher Berufung auf den Weltklimaschutz.

Der Begriff des „Emissionsrechts“ macht aus einer bisher legal
geduldeten Emission eine öffentlich legitimierte. Die Duldung wurde
immer damit begründet, dass es keine Alternative gebe und Energie eben
unverzichtbar ist. Die Geschichte des Rechts zeigt, dass kein legaler
Rahmen auf Dauer aufrecht zu erhalten ist, wenn er als nicht mehr
legitim empfunden wird. Nicht alles, was rechtens ist, ist auch
legitim. Mit der Erkenntnis, dass es die Möglichkeit einer
emissionsfreien Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien gibt,
verlieren fossile Energien ihre Legitimität. Durch ein völkerrechtlich
verankertes System von quotierten und handelbaren „Emissionsrechten“
erscheinen jedoch nur noch die rechtlosen Emissionen als illegitim.
Denjenigen mit „Emissionsrecht“ wird die höhere Weihe verliehen, dass
sie integraler Bestandteil eines Weltrettungsversuchs sind. Sie werden
damit legitimatorisch aufgewertet und auf eine Stufe mit den
Erneuerbaren Energien gestellt, deren besondere Legitimation dadurch
relativiert wird.

Die psychologische Wirkung der Legitimierung eines unhaltaren Zustands
– in diesem Fall die moralische Rechtfertigung von für viele Menschen
tödlichen Emissionen, die durch einen Wechsel zu Erneuerbaren Energien
gänzlich vermeidbar wären – merkt man in der Regel nicht sofort. Sie
führt zu einer Werteverschiebung in der Gesellschaft. Am besten lässt
sich das durch einen Vergleich verdeutlichen. Produktion und Handel
harter Drogen sind in den meisten Ländern illegal und gelten auch
überwiegend als illegitim. Was wäre, wenn das nicht mehr generell
verboten würde, sondern wenn man um der „effektiveren“ Eindämmung
willen die Drogenproduktion zahlenmäßig um 5% bis 2012 limitieren und
zertifizierte und handelbare Produktionsrechte vergeben würde – auch um
den Produzenten einen wirtschaftlichen Anreiz zur Mitwirkung zu bieten?
Zusätzlich ließe sich das damit begründen, dass das Drogengeschäft
unter kontrollierten arbeitsrechtlichen Bedingungen stattfinden würde,
auch zum Wohle der Staatskassen, die Steuern einnähmen, weil aus einer
Schattenwirtschaft eine offizielle würde. Pragmatisch lässt sich das
alles begründen – aber mit welchen Folgen?

Durch die Installierung einer globalen Emissionswirtschaft wird das
vieldimensionale Energieproblem zu einem eindimensionalen gemacht. Die
vielen Motive für einen Wechsel zu Erneuerbaren Energien werden auf
eines reduziert, und damit viele Handlungsansätze auf den der
„flexiblen Instrumente“, die zur programmatischen Leitlinie werden. Der
Eindruck wird gefördert, dass die Welt keine schwerwiegenden Probleme
mit ihrer jetzigen Energieversorgung hätte, wenn es nur weniger
Treibhausgase geben würde. Aus den Weltkrisen um Energie wird ein
„Ein-Punkt-Problem“, dessen Lösung auf eine „Ein-Punkt-Strategie“
ausgerichtet wird

.

Die heimliche Allianz neoliberaler Energie- und Umweltökonomie
 Die energieökonomische Begründung für die „flexiblen Instrumente“
ist, dass damit die Investitionen dort stattfinden würden, wo der
angestrebte Effekt mit dem geringst möglichen finanziellen Aufwand
erreicht werden kann. Sie entspringt dem bereits beschriebenen
„marktwirtschaftlichen“ Reduktionismus, alles müsse sich um
Kostensenkungen drehen – unter Berufung auf eine unbestechlich
scheinende ökonomische Rationalität, die alle Strukturfragen und
sozialen Probleme verdrängt. Sie dient der Tarnung einseitiger
Ideologien. Die umweltökonomische Begründung ist, dass es für den
Klimaschutz gleichgültig sei, an welcher Stelle des Erdballs die
Treibhausgase reduziert werden. Deshalb würde der Klimaschutz am
schnellsten realisierbar, wenn die diesbezüglichen Investitionen dort
vorgenommen werden, wo damit der größte Emissionsminderungserfolg
erzielt werden könne. Auch in dieser haben Strukturfragen keinen Raum,
ebenso wenig wie die neben der Klimakrise auftretenden Folgen der
herkömmlichen Energieversorgung.

 Die eindimensionale umweltökonomische Begründung ist im Kern mit
der eindimensionalen energieökonomischen Begründung identisch. Dies
erklärt, warum das Prinzip der „flexiblen Mechanismen“ so unumstritten
ist – auch unter denjenigen in den USA, die das Kyoto-Protokoll
ablehnen. Vergessen ist offenbar, wer die eigentlichen Urheber der
Grundidee sind, wie sich in dem Buch „Global Spirit“ von Sharon Beder
nachlesen lässt: Die „think tanks“ der amerikanischen Neokonservativen
(„neocons“) suchten in den 80er Jahren nach einem Ansatz, wie man die
Umweltpolitik durchkreuzen und der Umweltbewegung entgegentreten
könnte. Sie erkannten, dass man dafür vermeintlich bessere Konzepte zum
Umweltschutz präsentieren muss, um nicht weiter als Ignoranten zu
gelten. Ihr plakatives Rezept wurde der „Free Market Environmentalism“,
gegen die „command-and-control“- Umweltpolitik. Umweltprobleme würden
allein aus Marktfehlern resultieren, weil Umweltgüter keinen Preis
haben. Die Lösung liege in handelbaren Verschmutzungsrechten. Alle
Handlungsansätze für eine Ökologisierung der Energieversorgung – ob
höhere Energiesteuern, Energieeinspargesetze, Investitionsprogramme und
Fördergesetze für Erneuerbare Energien – wurden als abwegig verdammt.
Weil US-Präsident Clinton und sein Vize Gore keine Chance hatten, sich
mit Klimaschutzinitiativen im Senat durchzusetzen, übernahmen sie die
Rezepte der „neocons“, um diese mit ihren eigenen Waffen schlagen zu
können. Und da man auf den Weltklimakonferenzen wusste, dass ein
Abkommen ohne die USA wenig Sinn macht, setzte sich dort früh die
Tendenz durch, ebenfalls den Handel mit Emissionsrechten zur Leitlinie
zu machen und andere Handlungsansätze nicht weiter zu verfolgen – etwa
die Aufhebung der weltweiten Steuerbefreiung der besonders
klimaschädigenden Flugzeugtreibstoffe. Damit stand das neokonservative
Konzept, das sich neoliberal gibt, in Wahrheit aber darauf angelegt
ist, etablierte Großinteressen möglichst unangetastet zu lassen. Da
neoliberale Ansätze als Beweis für Wirtschaftskompetenz gelten, sind
sie von vielen Umweltökonomen in ihrem Bemühen unkritisch übernommen
worden, um sich den Ruf ökonomischer Kompetenz zu erwerben.

 So kam es zu den „flexiblen Mechanismen“ – so zugeschnitten, dass
sie denjenigen „neocons“, für die „Free Market Environmentalism“ nicht
nur ein Vorwand zur Verhinderung aller wirkungsvollen Schritte ist,
ebenso entgegenkommt wie etablierten Energieinteressen, die nicht
kurzsichtig denken.

 Die umweltökonomische Denkschule sieht darin die Erfüllung ihres
Konzepts – noch dazu auf „marktwirtschaftliche“ Weise, quasi
„neorealistisch“. Sie ist darauf so ausschließlich festgelegt, dass
viele ihrer Protagonisten die Stichworte für ein „roll back“ gegen
Erneuerbare Energien liefern helfen. Denn längst werden die „flexiblen
Instrumente“ als Kampfmittel gegen nationale Initiativen für
Erneuerbare Energien eingesetzt. Stets heißt es, Investitionen für die
Minderung von CO2 -Emissionen in den herkömmlichen Strukturen fossiler
Energiebereitstellung und des Verbrauchs würden mehr bewirken als
solche für Erneuerbare Energien. Dies gelte besonders, wenn die CO2
-Reduktionen in Entwicklungsländern erfolgen, mit Hilfe der „flexiblen
Instrumente“.

 Instrumentalisierung gegen Förderprogramme für Erneuerbare Energien

Das prominenteste Beispiel dafür ist das Gutachten über Erneuerbare
Energien des Wissenschaftlichen Beirats beim deutschen
Bundesministerium für Wirtschaft, das im Januar 2004 vorgelegt wurde.
Danach soll das EEG „im Interesse von ökonomischer Rationalität und
ökologischer Vernunft abgeschafft werden“, zugunsten des Handels mit
fossilen Emissionsrechten. Die Preise für die Erneuerbaren Energien
seien „nicht marktgerecht“. Das Gutachten verliert kein Wort über die
früheren und gegenwärtigen konventionellen Energiesubventionen, keines
über deren soziale Folgeschäden oder über die gefährdete fossile
Energiesicherheit. Es ist mit seinem empfohlenen Kahlschlag gegenüber
Erneuerbaren Energien ausschließlich auf abstrakte CO2
-Reduktionsberechnungen fixiert, unabhängig von den Gründen, die für
einen Wechsel zu Erneuerbaren Energien sprechen.

 Das EEG, das für Erneuerbare Energien einen gesonderten
Marktrahmen schafft, um diesen eine Entfaltungschance zu geben, wird
für „unsinnig“ erklärt, weil es vor „allzu scharfer Konkurrenz“
schütze. Es sei illegitim, eine politische Auswahl zwischen
verschiedenen Energieoptionen vorzunehmen, da es „zahlreiche andere
Verfahren“ gebe, die „nicht unter die Rubrik Erneuerbare Energien
fallen und die möglicherweise viel effektiver und schneller zu einer
Minderung der CO2 -Emissionen beitragen.“ Übergangen wird, dass es bei
Erneuerbaren Energien eben nicht allein um CO2 -Minderung geht, und
ebenso, dass bei diesen nicht der Energie-, sondern die Entwicklung der
Technologien im Vordergrund steht. Deren Markt ist aber keineswegs
geschützt: Alle weltweiten Anbieter von Erneuerbare-Energie-Techniken
können im Geltungs-bereich des EEG frei zum Zuge kommen. Das EEG
enthält damit uneingeschränkte marktwirtschaftliche
Produktivitäts-anreize: Je produktiver die eingesetzte Technologie,
desto höher der wirtschaftliche Ertrag für die Anlagebetreiber. Es hat
unzweifelhaft die Produktivitätssteigerung der
Erneuerbare-Energie-Techniken weltweit schneller vorangetrieben als es
je zuvor der Fall war. Die Standardargumente gegen geschützte Märkte
treffen deshalb auf das EEG gar nicht zu. Nicht die Bedürfnisse der
Konsumenten, die – wie Umfragen zeigen – die durch das EEG verursachten
und auf die Stromkosten umgelegten Mehrkosten für den Strom mit
überwältigender Mehrheit akzeptieren – sind für das Gutachten
maßgeblich, sondern die Frage der Vereinbarkeit des EEG mit ihrer
Markttheorie. Diese soll diktieren, welche Bedürfnisse die Menschen
haben sollen.

 In einem wirtschaftsdogmatischen Purzelbaum stellt der
wirtschaftswissenschaftliche Beirat dem EEG dann einen
Klimaschutzvorschlag gegenüber, dessen Realisierung eine rigorose
weltweite Planwirtschaft bedingen würde: „Die Modernisierung und der
Ausbau des chinesischen Kraftwerkparks stellt ein riesiges Potential
dar, CO2 -Emissionen zu verringern und zu vermeiden“, angeblich „zu
Kosten, die dreißig bis fünfzig mal günstiger sind als die
Einspareffekte auf dem Wege des EEG“. Die Investitionen sollten also
statt für Anlagen, deren Bau durch das EEG stimuliert wird, besser nach
China oder in vergleichbare Länder gelenkt werden. Abgesehen davon,
dass diese Kostenangabe vollkommen unbelegt ist, ist dieser Vorschlag
in zweifacher Weise absurd: Zum einen wird dadurch jedweder Investition
zur CO2 -Minderung in einem Industrieland eine Abfuhr erteilt. Denn
jedwede Investition für ein Umweltgut in einem Industrieland lässt sich
mit diesem Argument als ökonomischer wie ökologischer Unsinn
brandmarken, weil stets theoretisch mit der dafür verwendeten
Investitionssumme in Entwicklungsländern mehr CO2 -Minderung
realisierbar wäre. Mit anderen Worten: Die Bevölkerung soll gefälligst
die Umweltschäden aus fossiler Energienutzung – die ja nicht nur eine
globale Klimaveränderung hervorrufen, sondern auch lokale und regionale
Luft-, Wasser-, Boden- und Waldschäden – weiter akzeptieren, weil die
dafür investierten Mittel effektiver zur Schadensreduzierung in Afrika
oder Asien einsetzbar wären. Jegliches lokale Eigeninteresse an
sauberer Energie in einem Industrieland könnte damit sogar als
umweltethisch unverantwortlich denunziert werden.

 Zum anderen wäre der Vorschlag des Beirats nur unter den
Bedingungen staatlicher Lenkung aller inländischen
Energie-investitionen in die Dritte Welt praktisch umsetzbar: Die
finanziellen Mittel, die ein privater Investor für eine Photovoltaik-,
Wind-, Biomasse- oder Wasserkraftanlage einzusetzen bereit ist, kommen
keineswegs in China oder anderswo an, wenn das EEG abgeschafft wäre.
Vorstellbar wäre das nur, wenn die Regierung bei ihren Bürgern deren
zukünftige Investitionsmotive mit Hilfe einer Hellsehmaschine erkennen
könnte: Diese müsste ermitteln, wer in Zukunft eine Investition für
eine Erneuerbare Energieanlage starten würde, wenn das EEG noch in
Kraft wäre. Danach müsste die Regierung die dafür von dem Investor
vorgesehene Summe zwangsweise einziehen und für
Kraftwerksmodernisierungen nach China transferieren. Das wäre dann eine
lupenreine Energie-planwirtschaft im weltweiten Maßstab, auf der Basis
einer Orwell’schen Motivermittlung mit einer dafür nicht vorhandenen
parapsychologischen Ermittlungstechnik.

 Die tatsächliche Konsequenz einer Abschaffung des EEG wäre, dass
dessen potenzielle Investoren ihr Geld in freier Verfügung für alles
Mögliche einsetzen, aber nicht für eine Investition in China. Das
theoretische Verrechnungsbeispiel des Beirats ist virtueller
Zitronenhandel mit wirtschaftswissenschaftlichem Vokabular. Es tut das,
wovor der Marktwirtschaftstheoretiker Wilhelm Röpke eindringlich
gewarnt hat: Einen „theoretischen Perfektionismus von Bedingungen
abhängig zu machen, von denen von vornherein feststeht, dass sie in der
wirtschaftlichen Wirklichkeit kaum anzutreffen sind.“ Kurz: Es ist
analytischer Schrott, entstanden aus „marktwirtschaftlicher“
Modellschreinerei und ideologischer Verblendung. Aber dennoch tut das
Gutachten nichts anderes, als die Logik der „flexiblen Instrumente“ und
ihrer Prämisse konsequent zu Ende zu denken – und sie modellgerecht und
konsequent auf ihren absurden Endpunkt zu bringen.

 In einem Gutachten des Umweltbundesamts über die
„Umweltverträglichkeit kleiner Wasserkraftwerke“ heißt es, dass durch
den Bau von Wasserkraftanlagen „zu hohe Kosten für die Vermeidung von
Kohlendioxid-Emissionen in Kauf genommen werden“: Als würde derjenige
Investor, dem der Bau einer Wasserkraftanlage verweigert wird, seine
eigenen finanziellen Mittel dann stattdessen an einen
Kohlekraft-werksbetreiber weiterreichen, damit dieser die CO2
-Emissionen reduziert. Zahlreiche Studien von Umweltinstituten münden
in den Standardsatz, um einer kostengünstigen CO2 -Reduktion willen das
Geld für Energiesparinitiativen statt für Erneuerbare Energien zu
verwenden. Wenn eine Privatperson statt einer Solaranlage auf ihrem
Dach ihr Geld für energiesparende Geräte im eigenen Haus investiert,
kann sie mit dieser Empfehlung etwas anfangen. Sie hat die Wahlfreiheit
für einen selbstbestimmten Zweck, und die Kontrolle über die
Mittelverwendung. Sie hat auch die Freiheit, die Solaranlage nach
anderen Motiven als allein für die CO2 -Minderung zu installieren. Wenn
dieser individuelle Investors sein Geld stattdessen für eine
Investition eines fremden Dritten an einem fremden Ort – für eine
Solaranlage in Madagaskar oder für eine Energiesparinvestition auf den
Philippinen – bereitstellen soll, wird er solchen Ratgebern den Vogel
zeigen. Dennoch finden sich Aussagen, in denen solche Rückschlüsse
angelegt sind, in zahlreichen energie- und umweltökonomischen
Gutachten. Sie alle können – selbst wenn sie rechnerisch stimmen würden
– die Frage nicht beantworten, wie das von einem potenziellen privaten
Investor für Erneuerbare Energie nicht ausgegebene Geld zu einem
anderen gelangt. Dahinter steckt die irreale Vorstellung des einen
Initiators für alle Energieinvestitionen, gleich wo auf der Welt –
einer Weltbehörde für Energieinvestitionen, die den optimalen
Investitionsstandort und die optimale Technologie auswählt. Der Ersatz
für diese Weltbehörde sind die „flexiblen Instrumente“. Solche Ideen
sind wirtschaftssoziologisch unhaltbar und setzen sich über die
vielfältigen Motive der Menschen in maßlos überheblicher Weise hinweg.
Sie empfehlen letztlich die vollkommene Trennung von Investor und
Investition und die Übertragung der Entscheidung an Energieplaner und
deren uniformes Denken und Handeln. Eigenverantwortung,
selbstbestimmtes Handeln, andere Prioritäten, integrierte
Energiekonzepte, Zukunftsinvestitionen, kulturelle Bedürfnisse fallen
zugunsten handels- und übertragbarer „Emissionsrechte“ unter den Tisch.

 Schon mehren sich die Stimmen – von Regierungen bis zu
Energiekonzernen, von konventionellen energiewissenschaftlichen bis zu
Umweltinstituten – für eine nationale und internationale
Gleichschaltung aller energiebezogenen Handlungsinstrumente nach dem
Muster der „flexiblen Mechanismen“ des Kyoto-Protokolls. Alles andere
soll hinfällig werden. So gab es im November 2004 eine gemeinsame
Erklärung von EURELECTRIC, dem Verband der europäischen Stromkonzerne,
und RECS (Renewable Energy Certification System) – einer
Zertifizierungsorganisation, der auch das Ökoinstitut in Deutschland
angehört. Eine „gemeinsame Sichtweise“ wurde festgestellt. „So schnell
wie möglich“ soll es zu einem vollkommen harmonisierten europaweiten
System des Zertifikathandels für Erneuerbare Energien kommen. Dieses
biete „die besten Anreize für kosteneffiziente Entscheidungen“.
„Regulierte Einspeisetarife“ – wie es sie in Deutschland und in Spanien
gibt und die die Einführung Erneuerbarer Energien in Schwung gebracht
haben und dabei auch die schnellsten und größten Kostendegressionen
auslösten – sollten dafür ebenso aufgegeben werden wie Ökosteuern. Als
Vorbild für den Zertifikatshandel wird der in Schweden praktizierte
vorgestellt. Dort gab es 2003 in Investitionen für Erneuerbare Energien
von nur 70 Mio. EUR, wovon 24 Mio. EUR für Zertifizierungskosten
anfielen, also mehr als ein Drittel für bloßes Papier. Der Blick auf
dieses Geschäft ist es wohl, der auch die Analysen und Empfehlungen
beeinflusst. Es ist der Geist des Kyoto-Protokolls, der solche
Vorschläge durchweht.

 Mit den „flexiblen Instrumenten“, mit denen alles „harmonisiert“
werden soll, mutiert der Klimaschutz zum Klimageschäft. In diesem
verschmelzen die eindimensionalen Ansätze der neoliberalen Energie- und
der Umweltökonomie. Wenn die Strategien für Erneuerbare Energien daran
ausgerichtet werden, drohen die Rückschläge auch dort, wo es schon
Aufbrüche gegeben hat, und weltweit wird viele Jahre lang weiter Zeit
vergeudet werden.

 Als in Deutschland – im Gefolge des Kyoto-Protokolls und der
EU-Richtlinie für die projektbezogenen Maßnahmen des Kyoto-Protokolls –
das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) vom Parlament
beschlossen wurde (der Verfasser hat dagegen gestimmt), wurde immerhin
ausdrücklich festgestellt, dass dieses keinesfalls andere politische
Instrumente wie Fördergesetze für Erneuerbare Energien und
Ener-giesteuer ersetzen, sondern nur neben diesen bestehen dürfe.
Anlagen für Erneuerbare Energien, die im Rahmen des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) erstellt wurden, stehen deshalb
auch nicht dem Emissionshandel zur Verfügung. Durch das EEG sind in
wenigen Jahren bereits direkte CO 2-Minderungen von 35 Mio. t erzielt
worden, davon etwa 25 Mio. in nur fünf Jahren. Zum Vergleich: Der
Zielwert der bis 2012 angestrebten Emissionsminderungen ist eine
Reduktion um 10 Mio. t (von derzeit 505 auf 495 Mio.). Das heißt aber:
Zur Erfüllung der deutschen CO2 -Minderungsverpflichtungen wäre das
Emissionshandelsgesetz gar nicht erforderlich. Allein die Weiterführung
des EEG wird – bei gleich bleibenden jährlichen Einführungsraten, wie
sie schon realisiert werden – zwischen 2005 und 2007 weitere
tatsächliche CO2 -Emissionsminderungen von mindestens 15 Mio. t
bringen, neben vielen weiteren ökologischen, wirtschaftlichen und
politischen Effekten. Beim EEG geht das ohne
Emissionshandelsbürokratie, Zertifizierungs- und Händlerkosten.

 Die Stoßrichtung der Kampagne gegen das EEG ist dennoch, dieses
zugunsten des Emissionshandels und der anderen Instrumente des
Kyoto-Protokolls fallen zu lassen. Aber der tatsächliche Grund ist die
Erhaltung der Strukturmacht, die – wenn schon irgendetwas zum
Klimaschutz geschehen muss – beim Kyoto-Protokoll am besten aufgehoben
ist. Dieser Konflikt zeigt überdeutlich, dass dessen Instrumente gegen
ambitioniertepolitische Initiativen für Erneuerbare Energien eingesetzt
werden. Die Protagonisten der Erneuerbaren Energien sind überall damit
konfrontiert. Strategien für Erneuerbare Energien, die vom
Kyoto-Syndrom angesteckt sind können nur kränkeln. Sicher wird es eine
Reihe von Projekten für Erneuerbare Energien geben, die mit Hilfe der
flexiblen Instrumente finanziert werden, vorwiegend im Bereich größerer
Anlagen zur Biomassenutzung. Das ist dann immer noch besser als gar
nichts. Für diejenigen Länder, in denen es keinerlei politische
Rahmenbedingungen und Finanzierungsanreize für Erneuerbare Energien
gibt, sind die flexiblen Mechanismen ein willkommenes Hilfsmittel. Aber
das darf nicht davon ablenken, dass es für die fossile
Emissionsminderung und erst recht für die Dynamisierung der
Erneuerbaren Energien entschieden unbürokratischere, wirkungsvollere
und flexiblere Strategien gibt – und nicht davon abhalten, deren
Realisierung vorrangig zu verfolgen.