Elektronischer Turmbau zu Babel?

(Pioneer) – Wenn wir die Gegenwart von allen Geräuschen und Blendeffekten befreien, dann hören und sehen wir klarer. Manchmal bekommen wir die Gegenwart sogar in zwei Worten zu packen, die sich ihrerseits in ein Kürzel pressen und in einer Aktie verdichten lassen.

Diese Aktie ist derzeit Nvidia. Der Chiphersteller steht für das neue Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, das in der Geheimsprache von Wirtschaftsführern und Börsianern nur als KI bezeichnet wird.

Das Unternehmen schlägt mit seinen KI-Chips Quartal für Quartal die Erwartungen der Analysten. Die Aktie kletterte bisher auf sagenhafte Höhen. Die Börse bewertet Nvidia inzwischen mit zwei Billionen Dollar. Das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt Italiens. Aufklärung tut also not:

Die Firma

Das Tech-Unternehmen Nvidia wurde 1993 von dem taiwanesisch-amerikanischen Elektroingenieur Jensen Huang (61) zusammen mit Chris Malachowsky (64) und Curtis Priem (64) gegründet. Die drei wollten die Rechenleistung von Computern verbessern, besonders bei Videospielen und der Grafikbearbeitung sahen sie großes Wachstumspotenzial. Mit einem Startkapital von 40.000 Dollar wurde Nvidia gegründet.

Heute ist Nvidia Marktführer im Bereich Grafikkarten und Chipsätze und die Börsenbewertung liegt bei gut zwei Billionen Dollar. Hinter Microsoft, Apple und Saudi Aramco steht Nvidia damit auf Platz vier der wertvollsten Unternehmen der Welt. Im Fiskaljahr 2024, das am 31.01.2024 zu Ende ging, erzielte die Firma einen Nettogewinn von 29,7 Milliarden US-Dollar – ein sagenhaftes Plus von 580 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

CEO und Gründer Jensen Huang ist dadurch Milliardär geworden. Er hält rund drei Prozent der Aktien seines Unternehmens, Huangs Vermögen wird von Forbes inzwischen auf über 70 Milliarden Dollar geschätzt.

Der Markt

Ein KI-Modell, auch neuronales Netz genannt, ist im Wesentlichen eine „mathematische Lasagne“, wie Nvidia es nennt, die aus mehreren Schichten linearer Algebra-Gleichungen besteht. Die tausenden winzigen Recheneinheiten einer Grafikkarte arbeiten parallel, um diese „Lasagne“ eines KI-Modells zu zerlegen, sodass eine Künstliche Intelligenz innerhalb weniger Sekunden brauchbare Antworten liefern kann.

Diese Hardware liefert Nvidia mit seinen Chips, die in den Rechenzentren von Kunden wie Meta oder Microsoft verbaut werden. ChatGPT wurde mit Hilfe von tausenden Nvidia-Grafikkarten entwickelt und läuft heute auf Datenzentren, die mit Nvidia-Hardware ausgestattet sind. Im Segment der KI-Chips kommt Nvidia derzeit auf einen Marktanteil von über 90 Prozent.

Nvidias wichtigstes Produkt ist derzeit der Grafikchip H100. Er ist einer der leistungsfähigsten Chips und das derzeit begehrteste elektronische Bauteil der Welt. Das Angebot kann die Nachfrage auf dem Weltmarkt derzeit nicht befriedigen. Das bedeutet: Nvidia besitzt eine Preisfestsetzungsmacht.

Die Hoffnung

Nvidia-CEO Jensen Huang sieht die Menschheit durch KI am Beginn einer neuen Industriellen Revolution. Seine Vision ist der Aufbau einer weltweiten KI-Infrastruktur, um Quantensprünge in der heutigen Rechenleistung zu erzielen.

Die Hoffnung besteht darin, dass Nvidia einen Megatrend der Globalökonomie bedient. Das glaubt auch eine Reihe namhafter Analysten, die trotz der Rally der Nvidia-Aktie (über 1.000 Prozent seit 2020) und einer hohen Bewertung weiterhin zum Kauf der Aktie raten. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 873 US-Dollar (aktueller Kurs 798 US-Dollar).

Der Hype

Die Begründung für weitere Kurssteigerungen fußt in allen Analysen auf dem hohen Umsatzwachstum – und dessen erhoffter Fortsetzung. Laut Vivek Arya von der Bank of America sei die Bewertung darum weiterhin „überzeugend“. KI stecke noch in den Kinderschuhen. Durch die marktbeherrschende Stellung und Partnerschaften (wie beispielsweise mit Dell, SAP und ServiceNow) könnten die Anleger hier noch weitere Allzeithochs erwarten.

Der aktuell größte Optimist der Analystenriege ist Ananda Baruah von Loop Capital. Er erwartet für die Nvidia-Aktie Kurse um 1.200 US-Dollar. Das wäre ein nochmaliges Kursplus von 50 Prozent. Baruah geht davon aus, dass Nvidia weiterhin die Analystenschätzungen Quartal für Quartal schlagen wird.

Denn die Konkurrenz schläft nicht. Advanced Micro Devices (AMD) aus Santa Clara in Kalifornien produziert inzwischen einen leistungsstärkeren KI-Chip – und ist dabei günstiger als Nvidia. AMDs neue, im Dezember gelaunchte KI-Chips MI300X arbeiten nach eigener Aussage 1,6-mal so schnell wie Nvidias Produkte. Der durchschnittliche Verkaufspreis des AMD-Chips liegt zwischen 10.000 und 15.000 US-Dollar, so der Citi-Analyst Christopher Danely. Das ist deutlich günstiger als Nvidia (25.000 bis 40.000 US-Dollar).

Fazit: An der Börse gibt es keine absoluten Wahrheiten, sondern nur Wahrheiten auf Zeit.