Ein intelligenter Artikel zum Kolonialismus von Gabor Steinhart

(Pioneer) – die Kolonialisten früherer Zeit unterscheiden sich von ihren Nachfolgern dadurch, dass sie ihre Überlegenheitsgefühle offen auslebten. Cecil Rhodes, der als britischer Besatzer in Indien („Wir sind nicht hier, um uns gut zu benehmen“) seinen Auftritt hatte, sagte:

Ich behauptete, dass wir Briten die erste Rasse der Welt sind, und je mehr von der Welt wir bewohnen, desto besser ist es für die menschliche Rasse.

Auch König Leopold II. von Belgien war durchdrungen von der Idee einer fortschrittlichen Besatzung:

Die Mission der Zivilisation, die wir den Wilden schulden, besteht darin, ihnen den Weg zum Fortschritt zu zeigen.

Die damaligen Protagonisten sind verstorben. Aber die Idee einer westlichen Überlegenheit lebt.

Die neuen Kolonialisten gehören der EU-Kommission und der Bundesregierung an, wohnen im Weißen Haus und im Élysée-Palast. Diesmal geht es nicht um die Besetzung fremden Territoriums durch Könige und Soldaten, sondern durch Finanzbeamte, Zöllner und Sanktionsexperten. Am westlichen Wesen soll die Welt genesen. Man spricht nicht mehr von den „Wilden“, sondern von den „sich entwickelnden Staaten“, die man in der Kunst der „europäischen Werte“ unterweisen möchte.

  • Die europäischen Firmen sollen gemäß dem Lieferkettengesetz nicht mehr nur Produkte exportieren, sondern auch die Moralvorstellungen der EU-Kommission.
  • Wer frech wird, sprich zu erfolgreich ist, wird mit Sanktionen und Zöllen belegt – so wie die Elektrofahrzeuge der Volksrepublik China.
  • Von Stahlproduzenten und Maschinenbauern wird an der europäischen Grenze erst eine Offenlegung ihrer Produktionsweise und anschließend eine CO₂-Ausgleichsabgabe verlangt. Der Green Deal soll als weltweiter Standard durchgesetzt werden.

Die gute Nachricht: Geschichte wiederholt sich nicht. Die neuen Kolonialisten können sich nicht mehr auf die bedingungslose Gefolgschaft der Wirtschaft verlassen. Damals marschierten Wirtschaftsbosse und politische Machthaber im Gleichschritt nach Afrika, Indien und Lateinamerika.

Heute geht die Wirtschaft eigene Wege: Die Unternehmen wollen nicht drohen und unterdrücken, sondern werben und verkaufen. Die andere Nation ist für sie nicht Rivale, sondern Zielgruppe und Produktionsstandort. Der Aufstieg der anderen begünstigt den eigenen.

Immer mehr Firmen akzeptieren das Primat der Politik nur noch rhetorisch. Es kommt zu einer bemerkenswerten Abfolge von Widerspenstigkeiten:

Der Fall Nvidia

Pax Americana: Der Chiphersteller für die Künstliche Intelligenz tut alles, um die technologische Kriegsführung der amerikanischen Regierung zu konterkarieren. Eigentlich dürfen die Hochleistungschips nicht mehr an den Erzrivalen China ausgeliefert werden. Aber Nvidia-CEO Jensen Huang hat anders entschieden.

Der Papiertiger: Rund eine Million der neuen H20-Chips will man in diesem Jahr an die Volksrepublik verkaufen. Der Chip wurde so designt, dass er weniger Leistung erbringt und dadurch nicht unter die US-Restriktionen fällt. Dylan Patel von SemiAnalysis sagte der Financial Times, dass die Fähigkeiten des H20 jedoch „nur auf dem Papier“ unterhalb des in China hergestellten Huawei-Chips Ascend 910B liegen, aber in Wahrheit dank seiner Speicherperformance „ein gutes Stück überlegen“ sind.

Ergebnis: Das Geschäft läuft. Geplanter China-Umsatz nur mit diesem Chip: 12 Milliarden Dollar in 2024.

Der Fall Apple

Profit first: Auch Apple-CEO Tim Cook ist ein Gegner der Decoupling-Ideen von Trump und Biden. Denn diese kosten den Konzern aus Cupertino in China nicht nur Reputation, sondern Umsatz und Gewinn.

Überlebenswichtig: Apple stellt bei Foxconn in China den Großteil seiner Produkte her. Der Großraum China – inklusive Hongkong und Taiwan – ist der drittwichtigste Absatzmarkt des Apple-Imperiums.

Cook will sich diesen Markt nicht von Biden und Co. zerstören lassen und flog deshalb im März selbst nach Peking, um ein Gegenstatement zu den bellizistischen Tönen abzugeben.

Der Fall BASF

Frei investieren: Auch Vorstand und Aufsichtsrat des weltgrößten Chemiekonzerns, der in Ludwigshafen sein Stammwerk betreibt, halten nicht viel von den Entflechtungsabsichten des Weißen Hauses und der EU-Kommission. Unbeirrt wurde die Zehn-Milliarden-Euro-Investition in den chinesischen Verbundstandort Zhanjiang, wo de facto ein zweites Ludwigshafen entsteht, vorangetrieben.

Goodbye Germany: Dort soll außer Sichtweite der Anti-China-Politiker das asiatische Geschäft ausgebaut werden, nach den dortigen Gesetzen und zu den dortigen Löhnen. Ludwigshafen ist der lebende Beweis, dass die Kombination aus hohen Löhnen, hohen Energiepreisen und komplexer Regulierung nicht funktioniert. Das Werk – der weltgrößte Chemiekomplex – fährt seit Jahren Verluste ein. Im vergangenen Geschäftsjahr waren es fast zwei Milliarden Euro.

Der Fall Mercedes

Präsenz im Aufsichtsrat: Zwei chinesische Firmen, die Beijing Automotive Group und Tenaciou3 Prospect Investment Limited, besitzen mittlerweile rund 20 Prozent der Mercedes-Benz Group AG. Damit haben die Chinesen Zugang zur strategischen Planung des Stuttgarter Automobilkonzerns.

Eine Hand wäscht die andere: Und die Stuttgarter haben Zugang zu einem finanziell, technologisch und politisch interessanten Partner. Denn natürlich erwartet man im Umkehrschluss, dass die Volksrepublik China nicht eines Tages ihren Heimatmarkt für Mercedes verschließt. So sehen Win-Win-Konstellationen aus.

Fazit: Der entscheidende Satz aus dem zweiten Kapitel des Kommunistischen Manifests – „Die Arbeiter haben kein Vaterland“ – wird heute auch von den Kapitalisten gelebt. Sie kämpfen nicht für den Umsturz der Verhältnisse, sondern für deren Erhalt. Sie wollen Kooperation, nicht Krieg. Politiker, hört die Signale.