(Morning Briefing) – Wenn man den Kriegsverlauf mit den Augen der Ukrainer betrachtet, sieht und spürt man ein elendiges Drama.
Wenn man den Krieg von den Kommandohöhen der westlichen Politik aus betrachtet, gibt es durchaus lichte Momente – und sei es die Tatsache der Geschlossenheit.
Wenn man Putins Krieg mit den Augen von Putin sieht, muss man von Rohrkrepierer sprechen. Es sind vor allem die folgenden Irrtümer, die seine Kalkulation über den Haufen geworfen haben:
Irrtum 1: Er hat die Moral der eigenen Truppe falsch eingeschätzt. Offenbar sind die jungen Soldaten, die hier mehrheitlich zum Einsatz kommen, nicht so skrupellos, wie von der Armeeführung gewünscht. Der britische Geheimdienstchef Jeremy Fleming sagte jetzt bei einem Vortrag in Australien:
„Die russischen Soldaten verweigern in hoher Zahl die Befehle und zerstören sogar ihr eigenes Equipment. Ihnen fehlt es mittlerweile an Waffen und an Kampfmoral.“
Irrtum 2: Mit der ukrainischen Widerstandskraft – und fast möchte man von Widerstandslust sprechen – hat Putin nicht gerechnet. Der Westen übrigens auch nicht: Die ukrainische Armee schlägt sich wacker und ihr Präsident Selenskyj schafft es, dem Westen immer neue Waffenlieferungen abzutrotzen. Die Versorgungswege der Russen wurden mehrfach unterbrochen, was den Blitzkrieg mittlerweile in einen Stellungskrieg verwandelt hat.
Irrtum 3: Der Westen hat wider jede Erwartung mit großer Geschlossenheit reagiert. Auch wenn das Nato-Mitglied Türkei sich an den Sanktionen nicht beteiligt und Deutschland weiter Gas aus Russland bezieht: Der Rückzug von McDonald’s bis Mercedes-Benz aus dem russischen Markt verfehlte seine Wirkung nicht. Zumindest hat die russische Propaganda seither Sprachschwierigkeiten.
Irrtum 4: Putin rechnete offenbar damit, dass Amerika sich aus der Welt zurückzieht und die Ukraine kampflos hergeben wird. Doch Putin hat die politische Dynamik im Jahr der US-Zwischenwahlen unterschätzt; dort spürt der Entspannungspolitiker Biden den Populisten Trump im Nacken. Nach der Schmach von Kabul kann sich der Demokrat – wenn er das Weiße Haus halten will – den Fall von Kiew nicht leisten. Biden erlebte als Kriegspräsident seine Wiederauferstehung.
Irrtum 5: China steht an der Seite Russlands, dürfte Putin kalkuliert haben. Doch die Führung in Peking hat ihm mittlerweile deutlich gemacht, dass sie alle weiteren Eroberungspläne ablehnt und auch in der Ukraine keine weitere Eskalation wünscht. Dafür sind die Interessen der Chinesen und Russen zu unterschiedlich: Die Volksrepublik China sucht Geschäftspartner, keine Waffenbrüder. Sie möchte nicht den militärischen Schlagabtausch mit dem Westen, sondern die ökonomische Dominanz über ihn.
Irrtum 6: Der Westen hat Putins Drohung mit der Atombombe zwar gehört, aber sich davon nicht ins Bockshorn jagen lassen. Die Ukraine wird derzeit mit Waffen vollgepumpt. So führt denn die Ukraine im Moment einen klassischen Stellvertreterkrieg. Die Arbeitsteilung ist bekannt: Das kriegführende Land trägt das menschliche Risiko, Amerika zahlt in Dollar.
Fazit: Mit roher Gewalt wird Putin keines seiner Kriegsziele je erreichen. Oder wie Sigmar Gabriel es formuliert:
„Putins Versuch, mit den Ideen des 19. Jahrhunderts und den Mitteln des 20. Jahrhunderts die Geschicke des 21. Jahrhunderts zu bestimmen, ist bereits jetzt umfassend gescheitert. “