Wissenschaftler
haben die Signale identifiziert, die die Entwicklung unreifer
Bauchspeicheldrüsenzellen bestimmen. Die im Fachmagazin ‚Nature‘ publizierten
Ergebnisse können den Weg ebnen, um aus Stammzellen Insulin produzierende
Bauchspeicheldrüsenzellen herzustellen – ein wichtiger Ansatz zur
Zellersatztherapie bei Typ-1-Diabetes. Geleitet wurde die Studie von Prof. Dr.
Henrik Semb, der sich kürzlich dem Helmholtz Zentrum München angeschlossen hat.
Im Video erklärt er die Hintergründe der Arbeit: https://vimeo.com/303012751+++ Bitte beachten Sie das Embargo am 28.
November, 19 Uhr MEZ +++
Bei
Typ-1-Diabetes handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, die die Insulin
produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) zerstört. Aktuelle
Ansätze verfolgen das Ziel, diese mit Hilfe von Stammzellen zu ersetzen. Bisher
fußt dieses Verfahren allerdings größtenteils auf empirisch gefundenen
Substanzen, deren genaue Wirkungsweise oft unbekannt ist. „Uns ist es nun
gelungen, die grundsätzlichen Signale herauszuarbeiten, die darüber
entscheiden, ob eine Vorläuferzelle sich zu einer endokrinen – also Hormon
produzierenden – oder zu einer Gerüstzelle entwickelt“, sagt Prof. Dr. Henrik
Semb. Er ist Direktor des Instituts für Translationale Stammzellforschung am Helmholtz
Zentrum München und Professor am Novo Nordisk Foundation Center for Stem Cell
Biology (DanStem) an der Universität Kopenhagen.
“Wie
in einem Flipperautomaten bewegen sich die Zellen im Pankreas hin und her,
wodurch sich ihre Umgebung, die extrazelluläre Matrix, ständig verändert. So
wie sich im Spiel die Punktzahl durch die Kontakte innerhalb des Automaten
erhöht, verändert sich die Entwicklung der Zellen durch das Ausmaß ihrer
Kontakte mit bestimmten Komponenten der extrazellulären Matrix“, erklärt Semb.
Einzelzellanalyse
gibt entscheidenden Hinweis
Durch
ihr dynamisches Verhalten innerhalb der Bauchspeicheldrüse sind die
Vorläuferzellen jedoch schwierig zu studieren. Dieses Problem konnten die
Wissenschaftler nun umgehen, indem sie die Situation experimentell nachbauten:
Sie brachten aus Stammzellen erzeugte Vorläuferzellen einzeln auf Glasplättchen
auf. Darauf aufgedruckt befanden sich verschiedene Proteine der extrazellulären
Matrix.
„Zu
unserer Überraschung stellten wir fest, dass durch den Kontakt mit
unterschiedlichen Matrixproteinen sich die mechanischen Kräfte in den
Vorläuferzellen verändern: Kontakt mit dem Protein Laminin verringerte die
mechanische Spannung in den Vorläuferzellen und steuerte sie in Richtung
endokriner Zellen.“ Umgekehrt führte Kontakt mit dem Protein Fibronektin zu
einer höheren mechanischen Spannung und zur Bildung von Gerüstzellen, die kein
Insulin produzieren.
Durch
weitere detaillierte Untersuchungen konnte das Team um die beiden Erstautoren
Dr. Anant Mamidi und Dr. Christy Prawiro die molekularen Hintergründe dieses
Signalwegs entschlüsseln* und dessen Relevanz bereits in vivo, also während der
eigentlichen Pankreasentwicklung, überprüfen. „Wir können jetzt zahlreiche
Substanzen aus bisherigen Protokollen zur Herstellung von Pankreaszellen
beiseitelassen, bei denen nicht klar war, wie genau sie auf die Zellen wirken.
Stattdessen setzen wir nun Moleküle ein, bei denen wir genau wissen, über
welche spezifischen Komponenten des neu identifizierten Signalweges sie wirken“,
erklärt Henrik Semb. „So können wir diesen Prozess im Labor nachbauen und
versuchen, Insulin produzierende Betazellen nun kosteneffektiv und zuverlässig
aus menschlichen Stammzellen herzustellen. Langfristig möchten wir so Zellen
ersetzen, die durch Krankheiten wie Typ-1-Diabetes verloren gegangen sind.“
Weitere
Informationen
*
Konkret zeigten die Wissenschaftler, dass die Komponenten der extrazellulären
Matrix über einen Integrin-Rezeptor ein Signal in die Zelle hinein senden. Dies
wiederum führt zu Änderungen mechanischer Kräfte, die über das
Actin-Zytoskelett übertragen werden. Das yes-assoziierte Protein (YAP) nimmt
diese Kräfte wahr und schaltet entsprechend spezifische Gene an oder aus. Diese
Signalkaskade bestimmt letztendlich das Entwicklungsschicksal der
Vorläuferzelle. “Besonders spannend ist für uns, dass unsere Daten eine Frage
beantworten, die unser Forschungsfeld seit Jahrzehnten umtreibt“, so Henrik
Semb. „Wie reifen manche Vorläufer zu Gerüstzellen, während andere durch
Aktivierung des sogenannten Notch-Signalwegs zu endokrinen Zellen werden.“ Die
Wissenschaftler zeigen, dass die vermeintlich zufällige Steuerung dieses
Signalwegs in Wahrheit durch den Kontakt der Vorläuferzellen mit der
extrazellulären Matrix und den mechanosensitiven Gen-Regulator YAP vermittelt
wird.
Original-Publikation +++ Embargo 28. November, 19 Uhr MEZ +++
Mamidi, A. & Prawiro, C. et al. (2018): Mechanosignalling via integrins directs fate decisions of
pancreatic progenitors. Nature, DOI: 10.1038/s41586-018-0762-2
Das
Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für
Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose,
Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes
mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es
das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz
des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum
München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der
Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und
medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten
angehören.
Ziel des Instituts für Translationale
Stammzellforschung (ITS) ist eine Zellersatztherapie bei Typ-1-Diabetes.
Konkret möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler menschliche
pluripotente Stammzellen (hPSCs) einsetzen, um daraus Insulin produzierende
Betazellen herzustellen. Kurzfristiges Etappenziel dabei ist die sachgemäße
Herstellung der Zellen nach definierten Standards der guten Herstellungspraxis.
Dabei arbeitet das ITS eng mit der Universität Kopenhagen zusammen.
Helmholtz Zentrum München
Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)