Ein Interview von ‚Morning Briefing‘ Gabor Steingart mit einem der erfolgreichsten Manager Deutschlands, dem Telekom-Chef Tim Höttges über die wirtschaftlichen Zukunftschancen Deutschlands:
(Morning Briefing) – In den Naturwissenschaften ist es eine allseits anerkannte Tatsache, dass es eine Realität hinter der sichtbaren Wirklichkeit gibt. Wir sehen den Blitz, den Baum und die Sonne, aber Wärme, Elektrizität, Magnetismus und Erdanziehung bleiben für das Auge unsichtbar.
In der Wirtschaft verhält es sich ähnlich, nur das hier die geteilte Wirklichkeit von vielen bestritten wird. Wir sehen die Schlote der Fabriken und die prächtigen Auslagen der Boutiquen, aber den beginnenden wirtschaftlichen Niedergang des Landes sehen wir nicht. Man erzählt uns von steigenden Steuereinnahmen, aber die Erosion im produktiven Kern des Landes hört kein Mensch.
Telekom-Chef Tim Höttges lebt und arbeitet in diesem produktiven Kern. Er führt Europas größte Telekommunikationsgesellschaft. Mit der Fusion von T-Mobile USA und Sprint schafft er einen neuen Spieler in einem der größten und profitabelsten Mobilfunkmärkte der Welt.
Er ist euphorisch, wenn er nach Amerika schaut. Er ist mehr als nur besorgt, wenn er Deutschland und Europa ins Visier nimmt.
Höttges hatte bereits 2016 gesagt, das Deutschland im Wettstreit um die digitale Zukunft die erste Halbzeit verloren habe. Und wie ist der Spielstand nach der Halbzeitpause, will ich von ihm wissen. Seine Antwort:
Wir verlieren die zweite Halbzeit. In der ersten Halbzeit ging es um die Konsumenten-Plattformen, Social Media, Google, Facebook und Amazon. Diese Plattform-Firmen sind alle in Amerika oder auch in Asien entstanden, keine einzige davon in Europa. In der zweiten Halbzeit geht es darum, wo die Daten sitzen, in der Cloud, in den sogenannten Hyperscalern. Und wieder sitzen sie nicht in Europa.“
Deutschland falle auch deshalb zurück, weil es die Spielregeln des 21. Jahrhunderts nicht als solche akzeptiert:
Der Rohstoff des 21. Jahrhunderts sind Daten. Heute sind wir nur noch Datenlieferant. Wir liefern unsere privaten Daten über Social Media an die großen Plattformen für Werbetreibende. Wir verkaufen unsere Daten auf riesigen Cloud-Data-Centern zur Analyse an Großunternehmen, die dann mit Künstlicher Intelligenz neue Produktivitätsideen erarbeiten. Aber die Verfeinerung findet nicht in Europa statt.“
Die deutsche Angst spiele hier eine besondere Rolle:
Gerade wir Deutschen haben ja die Tradition, dass wir uns überwacht fühlen. Wir hatten das Dritte Reich und in der DDR gab es auch einen Überwachungsstaat. Wir haben alle Angst davor, dass unsere individuellen Rechte und damit unsere Daten in irgendeiner Weise missbraucht werden. Wir sehen gar nicht den Wert, der in den Daten steckt und der auch für gesellschaftlichen Wohlstand und unser Fortkommen stehen kann.“
Über die Konkurrenz aus Asien:
Die Südkoreaner sagen: Wir sind wie ein Shrimp umgeben von Walen. Deswegen müssen wir uns, wenn wir überleben wollen, anstrengen, um besser zu sein als alles, was um uns herum lebt.“
Sein Fazit: Deutschland steigt ab. Wir sind mittendrin in diesem Prozess.“ Was uns fehlt, ist der Wille, uns neu zu erfinden. Quer durch alle Branchen. Wir sind selbstgerecht geworden. Wir sind verwöhnt von unseren Milliardenerfolgen.“
Wir ziehen uns zurück in einen Turbo-Individualismus, wo wir sagen, nur noch unser individuelles Interesse hat Relevanz, nicht mehr das gesellschaftliche Fortkommen von Deutschland oder von Europa.“
Gabor Steingart