Den Bayern ins Gästebuch: Bergvölker ticken anders

(Universität Krems) – Menschen in den Bergen sind weniger verträglich, eher introvertiert und weniger gewissenhaft – aber gleichzeitig emotional stabiler und offener für neue Erfahrungen wenngleich diese Effekte sehr klein waren aber stabil. Das zeigt eine internationale Studie, die über 3 Millionen Datensätzen aus den USA nutzte. Mit diesen gelang es, Persönlichkeitsmerkmale in den Zusammenhang zur Geländeform am Lebensmittelpunkt der beteiligten Personen zu stellen. Als wesentlicher Einflussfaktor wurde das soziokulturelle Umfeld der Bergregionen identifiziert. Die Karl Landsteiner Privatuniversität Krems gemeinsam mit der University of Cambridge initiierten diese Studie, an der Kollegen aus den USA und Australien beteiligt waren. Publiziert wurde diese nun in Nature Human Behaviour.

In den Bergen lebt es sich nicht nur anders, sondern es leben dort auch Menschen mit einer leicht anderen Ausprägung wichtiger Persönlichkeitsmerkmale. Das untersuchte nun eine Studie österreichischer, britischer, amerikanischer und australischer Wissenschafter, die 3.387.014 Datensätze aus den USA analysierten. Mit im Team: Prof. Stefan Stieger vom Department Psychologie und Psychodynamik der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems (KL Krems), der als Experte für die statistische Analyse von großen Datensätzen gilt.

GRENZERFAHRUNG
Berge sind Grenzregionen und werden oftmals später besiedelt als andere Gebiete. Dabei stellen sie ersten Besiedlungen extreme Hindernisse entgegen und fordern besondere Persönlichkeiten, diese zu meistern. “In unserer Studie fragten wir nun, ob es auch heute Spuren dieser Pionierpersönlichkeiten in den dort lebenden Menschen gibt – und wenn ja, warum?“, erläutert Prof. Stieger den Hintergrund der nun in Nature Human Behaviour veröffentlichen Studie. „Sind es die Berge selbst oder die speziellen soziokulturellen Gegebenheiten, die dort das Individuum prägen?“

Die Antwort auf beide Fragen fiel erstaunlich eindeutig aus. Menschen in den Bergregionen der USA sind im Vergleich zu Personen aus flacheren Regionen weniger verträglich, tendieren dazu, eher introvertiert zu sein und sind weniger gewissenhaft; gleichzeitig sind sie aber emotional stabiler und offener für neue Erfahrungen. Dabei sind die Unterschiede zwar nur sehr gering, jedoch stabil. „Wir konnten sogar eine kontinuierliche Verschiebung der Persönlichkeitsmerkmale mit zunehmend bergigen Gelände erkennen“, erläutert Prof. Stieger. Die weitere Analyse zeigte dann auch, dass der Gesellschaftseinfluss bzw. der des soziokulturellen Umfelds auf fast all diese Merkmale stärker ist als der Einfluss durch die physische Präsenz der Berge. Die höhere emotionale Stabilität und die Offenheit für neue Erfahrungen scheint zum größten Teil soziokulturell beeinflusst zu sein d.h. lokale Traditionen und soziale Normen spielen hier eine größere Rolle als der direkte Einfluss der Topographie.

DATENBERGE
Grundlage der Studie waren über drei Millionen Datensätze der University of California und der University of Texas. Diese enthielten individuell bereitgestellte Persönlichkeitsdaten von US-Einwohnern, die ihre Zustimmung zur Nutzung der Daten gaben. Insgesamt kamen diese aus 37.227 verschiedenen Ortschaften, die anhand ihrer Postleitzahlen mit topografischen Daten zur „Bergigkeit“ der Umgebung in Zusammenhang gestellt werden konnten.

Das Nutzen dieses US-Datensatzes erlaubte auch eine neue Herangehensweise, um den Einfluss der physischen Bergpräsenz von dem des soziokulturellen Umfelds zu trennen. Dazu Prof. Stieger: „Die Frage, ob das Leben in den Bergen mit seinen speziellen Anforderungen über die Zeit bestimmte Persönlichkeitsmerkmale hervorbringt oder aber Menschen mit besonderen Merkmalen anzieht, die dann dort Siedlungen gründen und Gesellschaften prägen, ist eine intensiv und lang diskutierte. Unsere Daten leisten hier einen wichtigen Beitrag zu Klärung.“ Dazu muss man berücksichtigen, dass die USA sowohl im Osten als auch Westen hohe Gebirgszüge aufweisen. Doch aufgrund der speziellen und späten (modernen) Besiedlungsgeschichte der USA zog nur der Westen als raues, ungezähmtes „Frontier-Gebiet“ Menschen an, die spezielle Persönlichkeitsmerkmale aufwiesen. Wären es die Berge, die die Persönlichkeiten prägen, so sollte es keine Unterschiede dieser Prägung zwischen Osten und Westen geben – wenn aber das soziokulturelle Umfeld einen Einfluss hat, dann schon. Genau das konnte nun auch in der Studie gezeigt werden. „Tatsächlich konnten wir für emotionale Stabilität sogar zeigen,“ erläutert Prof. Stieger weiter, „dass die rein physische Präsenz der Berge diese zwar mindert, der soziokulturelle Effekt auf diesen Parameter aber so groß ist, dass er den „Berg-Effekt“ bei weitem aufwiegt und Personen in Bergregionen insgesamt emotional stabiler sind.“

Die Studie zeigt insgesamt die Bedeutung einer geografisch orientierten Psychologie und soziokultureller Studien, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Menschen und ihrer Umgebung zu verstehen. Sie steht damit exemplarisch für die Forschung an der KL Krems, die immer auch den Erkenntnisgewinn für den Menschen in Fokus hat.