fzm – Dass Patienten sich in einer Klinik wund liegen, sollte nicht
vorkommen. Dekubitalgeschwüre gelten als Pflegefehler, sie können sogar
Gegenstand von Schadenersatzprozessen sein. Die Krankenkassen verlangen
mittlerweile, dass die Kliniken die gute Qualität ihrer Krankenpflege
durch möglichst niedrige Zahlen von "Dekubituspatienten" auf den
Stationen belegen. Dazu werden in der Regel Stichproben durchgeführt.
Sie geben jedoch ein "verzerrtes" Bild, kritisiert Privatdozent Jürgen
Stausberg von Universität Essen in der DMW Deutschen Medizinischen
Wochenschrift (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2005). Der
Medizin-Informatiker stellt in der DMW die Ergebnisse des
"Interdisziplinären Dekubitus-Projekts" vor, das am Beispiel der
Uniklinik Essen erstmals für Deutschland eine realistische Schätzung
der Dekubitalhäufigkeit ermöglicht.
Auch in Essen wurde die Häufigkeit des Dekubitalleidens mittels
Stichproben ermittelt. An zufällig ausgewählten Tagen untersuchte ein
Team jeweils alle Patienten einer Station. Dies ergab eine
"Punktprävalenz" von 5,4 Prozent. Sie bedeutet jedoch keineswegs, dass
etwa jeder zwanzigste Patienten damit rechnen muss, im Verlauf seines
Klinikaufenthaltes an einem Dekubitus zu erkranken.
Um dieses Risiko zu benennen, muss, wie Dr. Stausberg erläutert, die
Periodenprävalenz bestimmt werden. Das ist die Zahl der Patienten, die
während eines Zeitraums, etwa der Liegezeit in der Klinik, an einem
Dekubitus erkrankt ist. Patienten mit Dekubitus sind aber "Langlieger",
wie Dr. Stausberg erläutert: Ihr stationärer Aufenthalt war an der
Universitätsklinik Essen doppelt so lang wie bei anderen Patienten.
Ihre Chance in einer Stichprobe erfasst zu werden, ist deshalb
künstlich erhöht. Das bedeutet: Die Periodenprävalenz und damit das
Risiko des einzelnen Patienten war niedriger als die Punktprävalenz in
der Stichprobe.
Die Bestimmung der Periodenprävalenz ist aufwändig. Im Idealfall
müssten täglich die Patienten täglich untersucht und gezählt werden.
Bei fast 50.000 Patienten, die pro Jahr an der Universitätsklinik Essen
behandelt werden, ist dies nicht möglich. Das Team verließ sich deshalb
auf die Angaben der Schwestern und Pfleger, die ihre Tätigkeiten
täglich in elektronischen Krankenakten am Computer dokumentieren.
Aufgrund dieser Angaben kommt Stausberg auf eine Periodenprävalenz von
1,4 Prozent. Diesen Wert hält Dr. Stausberg allerdings für zu niedrig.
Denn bei den Stichproben kam heraus, dass – aus welchem Grund auch
immer – fast die Hälfte der Druckgeschwüre vom Pflegepersonal nicht in
die Krankenakten eingetragen wurde. Dr. Stausberg beziffert die
Periodenprävalenz an der Universität Essen mit 2,3 Prozent.
Dr. Stausberg schlägt vor, dass die Kliniken die Häufigkeit von
Dekubitalgeschwüren kontinuierlich über eine Auswertung der
Pflegedokumentation erfassen. Da die dortigen Angaben jedoch nicht
immer korrekt sind, müssten sie durch gelegentliche Inspektionen
überprüft werden.
J. Stausberg et al.:
Häufigkeit des Dekubitus in einem Universitätsklinikum
Deutsche Medizinische Wochenschrift 2005; 130 (41): 2311-2315