Burnout: Frühe Bindungserfahrungen bestimmen mit über das Erschöpfungsrisiko

Burnout: Frühe Bindungserfahrungen bestimmen mit über das Erschöpfungsrisiko

fzm, Stuttgart, August 2016 – Zu viel Arbeit
und wenig Freizeit bei geringer Wertschätzung der Leistung– diese Gründe
werden häufig angeführt, wenn es um das Thema Burnout geht. In der
Fachzeitschrift „PPmP·Psychotherapie·Psychosomatik·Medizinische
Psychologie“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2016) bringt ein Team von
Psychosomatikern und Psychotherapeuten einen weiteren Aspekt ins Spiel.
Ihre Forschungen legen nahe, dass Menschen, die in ihrer Kindheit keine
sichere Bindung erlebt oder Verluste erlitten und nicht verarbeitet
haben, eher ein Burnout entwickeln als Menschen mit sicheren
Bindungserfahrungen.

Für ihre Studie befragten die Wissenschaftler 50 Patienten,
die wegen eines Burnout-Syndroms stationär oder teilstationär in die
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums
Nürnberg aufgenommen worden waren. Sie gaben sowohl über ihre
Bindungserfahrungen Auskunft als auch darüber, wie sie ihr Arbeitsumfeld
erlebten – vom beruflichen Ehrgeiz, dem Distanzierungsvermögen und der
erlebten Berufskompetenz über die Zufriedenheit am Arbeitsplatz bis hin
zur sozialen und familiären Unterstützung.

"Die Burnout-Patienten wiesen eine deutlich höhere
Bindungsunsicherheit auf als die Teilnehmer der gesunden
Vergleichsgruppe", erklärt Professor Dr. med. Wolfgang Söllner, Leiter
der Nürnberger Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie und Erstautor der Studie. In der Burnout-Gruppe seien 72
Prozent der Teilnehmer als unsicher gebunden eingestuft worden gegenüber
nur 33 Prozent der Vergleichspersonen.

Zu den problematischen Bindungsmustern zählten dabei das
"unsicher-vermeidende" sowie das "unsicher-verwickelte" Muster. Das
erste zeichnet sich dadurch aus, dass der Befragte nur wenig Zugang zu
seinen Kindheitserinnerungen hat, wichtige Bezugspersonen entweder
idealisiert oder verachtet und negative Emotionen eher verdrängt.
"Unsicher-verwickelt" bedeutet hingegen, dass Kindheitserinnerungen noch
immer starke Gefühle hervorrufen. Gerade negative Emotionen im Kontext
von zwischenmenschlichen Konflikten werden hier sehr stark erlebt.

Wie die Nürnberger Studie nahelegt, wirken solche
problematischen Bindungs- und Emotionsmuster bis ins Erwachsenenalter
fort. So versuchten manche der Betroffenen, ihre nicht erfüllten
Bedürfnisse aus der Kindheit in aktuellen Beziehungen auszuleben. Dazu
zählten auch Arbeitsbeziehungen, die dadurch emotional aufgeladen
würden. Ebenso wie die Bindungsunsicherheit waren auch unverarbeitete
traumatische Bindungserfahrungen, wie etwa Verluste, mit einer
geringeren Fähigkeit zur Emotionsregulation verknüpft. Früheren Studien
zufolge macht sich das vor allem in Anforderungs- oder
Konfliktsituationen bemerkbar. Die Schwierigkeiten bei der Bewältigung
negativer Emotionen begünstigen dann vermutlich die Entstehung eines
Burnouts.

Die Erkenntnis, dass Bindungsmuster, die von frühkindlichen
Erfahrungen herrühren, bis in das spätere Arbeitsumfeld hineinwirken,
könnte direkte Auswirkungen auf die Therapie von Burnout-Patienten
haben. Söllner und seine Kollegen weisen darauf hin, dass Betroffene mit
unsicheren Bindungsmustern am meisten von einem
strukturierend-stützenden Vorgehen profitieren könnten. Klare
Zielvorgaben und die Erarbeitung konkreter Schritte zur Bewältigung
schwieriger Alltagssituationen geben den Patienten den notwendigen Halt.
In jedem Fall sollten aber Bindungsstil und Emotionsverarbeitung des
Patienten untersucht und bei der Behandlungsplanung berücksichtigt
werden.

W. Söllner et al.
Repräsentation früher Bindungsbeziehungen und Emotionsregulation bei Patienten mit Burnout-Syndrom
PPmP·Psychotherapie·Psychosomatik·Medizinische Psychologie 2016; 66 (6); S.227–234