Schwerwiegende Befangenheit der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA bei Bewertung wissenschaftlicher Publikation
EFSA und EU-Kommission unter Verdacht des Missbrauchs ihrer Macht, um eigene Position vor Gericht zu stärken
29. September 2016 / Testbiotech erhebt schwere Anschuldigungen gegen die Europäische
Lebensmittelbehörde (EFSA). Konkret geht es dabei um Interessenkonflikte
bei der Bewertung einer wichtigen wissenschaftlichen Publikation. Im
Juli 2016 stellte die EFSA nach Anfrage der EU-Kommission die Behauptung
auf, dass eine aktuelle Publikation norwegischer Wissenschaftler, die
sich mit den Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen befasst, keine
endgültigen Schlussfolgerungen erlaube und deswegen bei der
Risikobewertung ignoriert werden könne. Die Publikation aus Norwegen ist
gleichzeitig ein wichtiges Dokument in einem Gerichtsverfahren am
Gerichtshof der EU (T177/13), an dem auch die EFSA und die EU-Kommission
beteiligt sind.
Im
Gerichtsverfahren geht es um den Vorwurf von Testbiotech, dass die
Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen nicht ausreichend untersucht
werden, bevor sie in der EU zugelassen werden. Testbiotech hatte das
Dokument als Beweismittel eingereicht, um zu zeigen, dass die
EU-Kommission und EFSA wichtige Risiken außer Acht lassen. Testbiotech
befürchtet, dass die EU-Kommission und die EFSA mit der Abwertung der
Studie eigene Interessen verfolgen, um sich Vorteile vor Gericht zu
verschaffen.
Testbiotech
brachte das Gerichtsverfahren gegen die EU-Kommission im Jahr 2013 auf
den Weg und wirft dieser konkret vor, die gentechnisch veränderten
Sojabohnen „Intacta“ von Monsanto ohne ausreichende Risikoprüfung
zugelassen zu haben. Daraufhin traten die EFSA, Monsanto und die
Regierung von England dem Verfahren auf der Seite der EU-Kommission bei.
Die Soja ist resistent gegenüber Glyphosat und produziert ein
Bt-Insektengift. Testbiotech argumentiert u. a., dass die
Wechselwirkungen zwischen den Rückständen des Einsatzes von Glyphosat
und dem Insektengift untersucht werden müssen, bevor über die Sicherheit
der Sojabohnen entschieden werden kann.
Die
Gerichtsanhörung fand im Mai 2016 statt. In diesem Zusammenhang reichte
Testbiotech die neue Publikation der norwegischen Wissenschaftler (Bøhn et al., 2016) als wichtiges Dokument ein, weil es über Wechselwirkungen zwischen
Bt-Insektengiften und Glyphosat berichtet. Dabei wurden unerwartete
schädliche Effekte bei Wasserflöhen (Daphnia magna), die in der
Forschung als Modellorganismus dienen, beobachtet. Nach Aufforderung
durch die EU-Kommission legte die EFSA danach ihre Stellungnahme vor und
behauptete, die Studie weise generelle methodische Mängel auf, wodurch
die Bewertung der Ergebnisse erschwert werde.
Diese
Behauptung der EFSA ist allerdings mehr als zweifelhaft: (1) Die
Behörde befasste sich nur mit einem kleinen Ausschnitt der Ergebnisse,
erklärt aber alle Befunde wegen angeblicher methodischer Mängel für
nicht relevant. (2) Zugleich hatte die EFSA die Autoren der Studie nicht
kontaktiert, um Fragen bezüglich der Methodik zu klären. (3)
Schließlich empfahl die Behörde trotz erheblicher Unsicherheiten, auf
weitere Untersuchungen zu verzichten. Aus wissenschaftlicher Sicht ist
das ausgesprochen überraschend, weil die akkumulierte Wirkung von
Bt-Toxinen und Rückständen von Glyphosat bisher kaum untersucht wurde.
Gerade diese Frage ist aber für die Bewertung einer Vielzahl
gentechnisch veränderter Pflanzen wie Mais, Baumwolle und Soja relevant.
Damit geht die Bedeutung der Studie weit über das aktuelle
Gerichtsverfahren hinaus.
Auf Nachfrage erklärte Thomas Bøhn,
einer der Verfasser der wissenschaftlichen Publikation: „Unsere
Publikation zeigt interessante Ergebnisse, die weitere Untersuchungen
nach sich ziehen müssen. Daphnia magna sollte gegenüber
Bt-Insektengiften gar nicht empfindlich sein. Doch genau das ist hier
der Fall. Dabei verursachte eine verdoppelte Dosis auch entsprechend
höhere Schäden. Dies ist relevant, wenn beispielsweise Bt-Toxine in
gentechnisch veränderten Pflanzen kombiniert werden. Zudem haben wir
herausgefunden, dass es Wechselwirkungen zwischen Glyphosat und den
Bt-Giften gibt, was zeigt, dass wir ein besseres Verständnis der Wirkung
dieser ,Giftcocktails‘ benötigen. Für mich ist es überraschend, dass
die verantwortliche Behörde weitere Untersuchungen für nicht notwendig
hält.“
Ein
weiterer Grund zur Sorge besteht für Testbiotech auch darin, dass der
bei der Bewertung durch die EFSA an führender Stelle beteiligte Experte,
Yann Devos, eine aktive Rolle in einer Organisation mit dem Namen
„International Society for Biosafety Research“ (ISBR) spielt. Diese
Organisation wird zu großen Teilen von der Industrie finanziert. Der
Fall Yann Devos war jüngst auch Gegenstand mehrerer Schreiben an die
EFSA. Deren Direktor Bernhard Url behauptet allerdings, dass hier keine Interessenkonflikte vorliegen würden.
„Die
EFSA muss ihre Bewertung zurückziehen. Die EU-Kommission hätte die EFSA
niemals auffordern dürfen, einzelne Befunde dieser wissenschaftlichen
Publikation zu bewerten, und die EFSA hätte sich dieser Anfrage der
Kommission widersetzen müssen. Stattdessen hätte man eine Bewertung
durch unabhängige Experten verlangen müssen, die auch die
Wissenschaftler aus Norwegen miteinbezieht“, erklärt Christoph Then für
Testbiotech.
Testbiotech
fordert daher, dass die EU-Kommission weitere Zulassungen
entsprechender gentechnisch veränderter Pflanzen stoppt, solange deren
Sicherheit nicht überprüft wurde. Wenn es hier Unsicherheiten gibt, muss
das Vorsorgeprinzip zum Schutz von Mensch und Umwelt zur Anwendung
kommen und es müssen weitere Untersuchungen durchgeführt werden.
Kontakt:
Christoph Then, Testbiotech