(Spiegel) – Die Autoindustrie ist für den deutschen Arbeitsmarkt von überragender Bedeutung – nicht nur, weil sie mit knapp 850.000 so viele Menschen beschäftigt, sondern weil sie die meisten davon auch besonders gut bezahlt. Das geht aus den Entgeltdaten für das Jahr 2019 hervor, die die Bundesagentur für Arbeit (BA) an diesem Montag veröffentlicht hat.
Demnach betrug das mittlere monatliche Bruttoentgelt von Vollzeitbeschäftigten in Deutschland im vergangenen Jahr exakt 3401 Euro. Gemeint ist der Medianlohn. Das bedeutet, dass die Hälfte der Vollzeitarbeitnehmer mehr verdient, die andere Hälfte weniger. Allerdings hat der gesamtdeutsche Medianlohn nur begrenzt Aussagekraft, denn die regionalen Unterschiede sind riesig. Und in Ostdeutschland wird auch 30 Jahre nach dem Mauerfall deutlich weniger verdient als in den westlichen Bundesländern. Das wird an einer Deutschlandkarte der Medianlöhne in den einzelnen Kreisen deutlich. Hier ist weiterhin klar die ehemalige innerdeutsche Grenze zwischen Ost und West erkennbar.
Im Westen stechen abseits der großen Metropolen besonders zwei Städte hervor: Wolfsburg und Ingolstadt, Sitze des Volkswagen-Konzerns und dessen Tochter Audi. Sie stehen ganz an der Spitze der Lohnrangliste. Wer in Wolfsburg 5089 Euro im Monat verdient, gehört damit immer noch nicht zur oberen Hälfte – in Ingolstadt liegt diese Grenze bei 5004 Euro monatlich.
Wie ist das Lohnniveau bei Ihnen vor Ort? In der Deutschlandkarte finden Sie die Daten für Ihre Stadt oder Ihren Kreis. Am Ende des Artikels finden Sie zudem eine Tabelle mit den Ergebnissen.
In den Top-Fünf-Städten findet sich mit Böblingen auf Platz vier (Medianlohn 4809 Euro) noch ein weiterer Standort eines Automobilwerks, in diesem Fall von Daimler. Allerdings ist die Autobranche nicht die einzige gut entlohnende Industrie. Auf den Plätzen drei und fünf liegen Erlangen (Medianlohn 4907 Euro), wo unter anderem Siemens ein großer Arbeitgeber ist, sowie Ludwigshafen (Medianlohn 4721 Euro), Sitz des Chemiekonzerns BASF.
„Die fünf Kreise mit den geringsten mittleren Bruttoarbeitsentgelten am Arbeitsort finden sich hingegen alle im Osten“, sagt Eric Seils vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Im Mittel am wenigsten verdienen Vollzeitarbeitnehmer in Görlitz mit einem Medianlohn von 2380 Euro. Doch auch im Erzgebirgekreis (2390 Euro), im Saale-Orla-Kreis und im Altenburger Land (je 2420 Euro) und in Vorpommern-Rügen (2423 Euro) ist es kaum mehr.
Dabei weist die BA die Monatsbezüge bereits inklusive aller Sonderzahlungen aus – also Weihnachts- und Urlaubsgeld, Gewinnbeteiligungen, Überstundenzuschläge und sonstigen Zulagen.
Nicht nur zwischen Ost und West – auch zwischen Männern und Frauen besteht ein großer Lohnunterschied. Im Mittel verdienten Männer im vergangenen Jahr 3560 Euro brutto im Monat, Frauen nur 3117 Euro, also 12,5 Prozent weniger. Betrachtet man allein die Männer, liegt deren Medianlohn in Erlangen mit 5600 Euro am höchsten. Frauen verdienen im Wolfsburg am meisten – im Mittel 4439 Euro. „Die Unterschiede sind dort besonders groß, wo die Männer – vor allem durch die Autoindustrie – besonders gut verdienen können“, sagt WSI-Ökonom Seils. Am größten ist das Gefälle zwischen Männern und Frauen in Dingolfing-Landau, Ingolstadt und Böblingen, allesamt Standorte von Autowerken.
„Es gibt allerdings auch 23 Kreise, in denen der Median der Frauen mindestens genauso hoch war wie der der Männer. Diese Kreise liegen alle im Osten“, stellt Seils fest. Am stärksten ausgeprägt war dieser Effekt in Frankfurt an der Oder, wo der mittlere Lohn der Frauen 14 Prozent höher lag als der der Männer. „Insgesamt gilt, dass die Löhne von Frauen und Männern dort ähnlicher werden, wo die Löhne insgesamt niedrig sind“, sagt Seils.
Alle oben genannten Zahlen der BA für jeden Landkreis in Deutschland beziehen sich auf die Medianlöhne am jeweiligen Arbeitsort – die Beschäftigten müssen also nicht unbedingt auch im Ort wohnen.
Betrachtet man die Kreise dagegen nach Einwohnern, kommen ganz andere Ergebnisse zustande. Die Unterschiede sind teils riesig. In Ludwigshafen etwa verdienen die Einwohner der Stadt im Mittel lediglich 3468 Euro. Diejenigen, die in der Stadt arbeiten, hingegen 4721 Euro, eine Differenz von 1253 Euro. Viele BASF-Beschäftigte wohnen lieber in der landschaftlich schönen Umgebung als in der wenig attraktiven Industriestadt.
Umgekehrt gibt es einige Landkreise, in denen die Wohnbevölkerung deutlich besser verdient als die Menschen, die vor Ort arbeiten. „Durch die Pendler kommt ein gewisser regionaler Ausgleich zustande: Die ärmeren Regionen profitieren von Zuflüssen“, sagt WSI-Ökonom Seils. So liegen etwa bei den fünf Landkreisen mit den niedrigsten Medianlöhnen für die Beschäftigten am Ort die Medianlöhne der Einwohner durchweg höher. In Görlitz etwa spiegelt sich darin der hohe Anteil von täglichen Pendlern aus Polen wider.
Betrachtet man nur den Wohnort, werden die riesigen Lohnunterschiede in Deutschland so ein wenig kleiner: Zwischen Görlitz und Wolfsburg liegen dann im Mittel nicht mehr 2709 Euro wie bei den Beschäftigten am Ort, sondern noch 2174 Euro.
Florian Diekmann