fzm – Wenn Berufsfußballer, Skifahrer oder andere hochaktive junge Sportler sich einen Riss des vorderen Kreuzbandes zuziehen, mündet dies fast zwangsläufig in einer Operation. Zu groß, so die Argumentation von Medizinern hierzulande, sei die Gefahr, dass sich in dem destabilisierten Gelenk eine Arthrose entwickle. „An einem hieb- und stichfesten Beweis dafür, dass eine Operation der konservativen Behandlung überlegen ist, mangelt es jedoch“, stellen Frank Diemer und Volker Sutor in der Fachzeitschrift „physiopraxis“ fest (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2012).
Die beiden Physiotherapeuten verweisen auf ein ganzes Bündel von Studien aus den letzten Jahren, die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind: Während einige einen klaren Vorteil für das operative Vorgehen sehen, kommen andere zu dem Schluss, dass konservativ versorgte Sportler sogar schneller aufs Spielfeld zurückkehren. Übersichtsarbeiten, die die Ergebnisse vieler Studien zusammenfassen, unterstreichen die Patt-Situation auch hinsichtlich der befürchteten Kniegelenksdegeneration. Auch hier ließ sich kein Unterschied zwischen OP und Nicht-OP feststellen.
Während in Deutschland und den USA sehr rasch eine Operationsempfehlung ausgesprochen wird, liegen die OP-Zahlen in anderen Ländern deutlich niedriger. „In Schweden etwa stehen die beiden Möglichkeiten der operativen oder der konservativen Versorgung zunächst einmal gleichberechtigt gegenüber“, berichten Frank Diemer und Volker Sutor. In ihrem Beitrag geben sie einen detaillierten Überblick über das dort angewandte Modell, bei dem in einem mehrstufigen Verfahren pro oder contra Operation entschieden wird.
Der erste Schritt besteht darin, andere relevante Verletzungen des betroffenen Kniegelenks auszuschließen. Liegt tatsächlich ein isolierter Riss des vorderen Kreuzbandes vor, werden schwedische Sportler zunächst einmal für drei bis sechs Monate konservativ therapiert. Diese Phase stellt einen Behandlungsversuch dar, bei dem passive Maßnahmen wie Physikalische und Manuelle Therapie von aktiver Trainingstherapie begleitet werden.
Nach dieser Phase sollte das Kniegelenk reizfrei sein und sein volles Bewegungsausmaß zurückerlangt haben; der Patient sollte auf dem betroffenen Bein zehn Sprünge auf der Stelle ausführen können; und der Streckmuskel des Kniegelenks sollte 70 Prozent des Maximalkraftwerts der gesunden Seite erreicht haben. „Sind diese Ziele erreicht, dann absolviert der Sportler noch einige weitere subjektive und objektive Funktionstests“, erläutern Diemer und Sutor weiter. Fallen auch diese zufriedenstellend aus, dann zählen die Betroffenen offensichtlich zu den so genannten „Copern“, die trotz ihrer Verletzung ihr altes Leistungsniveau erreichen; sie werden daher konservativ versorgt, auf eine Operation kann verzichtet werden.
Eine weitere Gruppe sind die so genannten Adapter, die zwar die oben genannten Kriterien nach der ersten Therapiephase erfüllen, jedoch im weiteren Verlauf nicht an ihre alten Leistungen anschließen können. Wenn ihnen dieses Leistungsniveau ausreicht – was bei Hobbysportlern oft der Fall ist – werden auch sie eher konservativ versorgt.
Lediglich die „Non-Coper“, deren Kniegelenk nicht zügig zur alten Form zurückfindet und die sich damit nicht abfinden wollen, werden letztlich operiert. „Dieses Vorgehen kann in manchen Fällen natürlich einen Zeitverlust gegenüber einer sofortigen Operation bedeuten“, sagen Diemer und Sutor. Auf der anderen Seite kehrten aber auch viele nicht-operierte „Coper“ schneller in den Leistungssport zurück als dies nach einer OP möglich wäre. Die beiden Physiotherapeuten schließen sich einem Fazit der Cochrane-Collaboration an, das besagt, dass zu diesem Thema noch weitere, gut designte Studien notwendig sind. Bereits jetzt aber lohne es sich, die Entscheidung für oder gegen eine Operation gut zu überdenken.