Neue Erkenntnisse zur Artenvielfalt und Bioproduktivität in Ökosystemen
Forscher untersuchen Almwiese |
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Bayreuth (pts012/17.07.2015/11:00) – Erstmals wurden in
weltweit koordinierten Forschungsarbeiten die Zusammenhänge zwischen
pflanzlicher Biomasse und pflanzlicher Artenvielfalt in Ökosystemen
untersucht. Dabei stellte sich heraus: Der größte Artenreichtum ist dort
zu beobachten, wo die Produktion von Biomasse weder sehr niedrig noch
besonders hoch ist, sondern sich auf einem mittleren Niveau bewegt. Wenn
die Zahl der Arten sinkt, wird die Leistungsfähigkeit von Ökosystemen
geschwächt.
Weltweit hängt das Leben und Überleben von Menschen
davon ab, dass Ökosysteme grundlegende Serviceleistungen erbringen, wie
beispielsweise die Neubildung von Grundwasser, die Speicherung
wertvoller Nährstoffe, die Filterung von Schadstoffen oder die
Bereitstellung von Grünfutter. Diese Vielfalt natürlicher
Serviceleistungen ist in der Regel umso eher gewährleistet, je größer
die Artenvielfalt in einem Ökosystem ist. Bislang waren
wissenschaftliche Befunde zur Artenvielfalt, die an einzelnen Standorten
gewonnen wurden, nur schwer miteinander vergleichbar. Denn die
angewendeten Methoden waren zu unterschiedlich. Nun aber hat ein
internationaler Forschungsverbund erstmals in weltweit koordinierten
Forschungsarbeiten die Zusammenhänge zwischen pflanzlicher Biomasse und
pflanzlicher Artenvielfalt in Ökosystemen untersucht. Überall wurde die
gleiche Methodik auf standardisierten Untersuchungsflächen angewendet –
und zwar so, dass an jedem Standort nährstoffarme, mittlere und
nährstoffreiche Flächen erforscht wurden.
30 Versuchsflächen in 19 Ländern
Mehr als 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler –
darunter ein Forschungsteam der Universität Bayreuth – haben an diesem
Projekt mitgewirkt. Auf insgesamt 30 Versuchsflächen, die sich auf 19
Länder in sechs Kontinenten verteilen, haben sie Daten ermittelt, die
zuverlässige Rückschlüsse auf die produzierte Biomasse erlauben und es
zugleich ermöglichen, die Zahl der an der Biomasseproduktion beteiligten
Pflanzenarten realistisch einzuschätzen. In den meisten Fällen handelte
es sich um Grünlandflächen, die als Weideland genutzt oder regelmäßig
gemäht werden. Aber auch natürliches Grasland war vertreten.
Größter Artenreichtum bei mittlerer Produktivität
Die jetzt im Wissenschaftsmagazin "Science"
veröffentlichten Ergebnisse dieses Forschungsverbundes weisen alle in
die gleiche Richtung: Artenvielfalt und Produktivität hängen eng
zusammen. Die größte Artenvielfalt wurde in der Regel auf
Versuchsflächen ermittelt, auf denen die Biomasseproduktion ein
mittleres Niveau erreicht. In unproduktiven Ökosystemen hingegen ist der
Beitrag der Artenvielfalt zur Biomasseproduktion eher gering. Denn hier
sind die Arten zahlreichen Stressfaktoren ausgesetzt, wie etwa
Trockenheit oder einem Mangel an mineralischen Nährstoffen. In
hochproduktiven Ökosystemen, also an nährstoffreichen und gut
wasserversorgten Standorten, erobern einige wenige Arten eine
dominierende Stellung, weil sie besonders leistungsfähig sind. Für die
Produktivität dieser Ökosysteme hat die Artenvielfalt nur eine geringe
Bedeutung.
Eine mittlere Produktivität von Ökosystemen geht daher –
so das zentrale Ergebnis der Studie – weltweit mit einer
vergleichsweise großen Artenvielfalt einher. Wenn in diesen
Lebensgemeinschaften der Artenreichtum schwächer wird oder verloren
geht, ist damit ein Verlust ökosystemarer Leistungsfähigkeit verbunden.
Konsequenzen für Umwelt- und Naturschutz
"Aus unserer Studie lassen sich zahlreiche Anregungen
für umweltpolitische Maßnahmen ableiten, die auf den Erhalt der für den
Menschen so wichtigen Artenvielfalt abzielen. So sollte insbesondere im
mitteleuropäischen Grünland die Artenvielfalt unbedingt erhalten werden.
Wenn wir Arten verlieren, verlieren wir kostenlose Leistungen der Natur
und müssen diesen Verlust dann über Düngung oder Maschineneinsatz
kompensieren. Dies wiederum hätte Umweltbelastungen und einen erhöhten
Energieverbrauch zur Folge. Die natürlichen Leistungen sind jedoch ohne
Risiken und kostenfrei", erklärt Prof. Beierkuhnlein, der an der
Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Biogeografie innehat. "Unsere in
‚Science‘ veröffentlichten Ergebnisse bestätigen übrigens eine ältere
Forschungshypothese, die zuvor noch nie systematisch auf globaler Ebene
überprüft werden konnte. Im Rahmen unseres multinationalen Projekts
haben wir sie jedoch zuverlässig erhärten können," fügt der Bayreuther
Ökologe hinzu. Er betont aber zugleich, dass mit diesen Arbeiten erst
ein Anfang gemacht sei. Weitere Untersuchungen würden folgen müssen, um
die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen der in Ökosystemen
produzierten Biomasse und der Zahl der daran beteiligten Arten noch
genauer aufzuklären.
Forschungsbeiträge aus der Universität Bayreuth
Seitens der Universität Bayreuth war ein vierköpfiges
Forschungsteam an den interkontinentalen Forschungsarbeiten beteiligt.
Prof. Beierkuhnlein und Reinhold Stahlmann, MAS, haben die
Forschungsflächen in Deutschland untersucht, die sich alle im Umland der
Stadt Bayreuth befinden. Zusammen mit Prof Dr. Anke Jentsch,
Professorin für Störungsökologie an der Universität Bayreuth, war Prof.
Beierkuhnlein auch für die Messungen in Österreich zuständig, die auf
Forschungsflächen in den Ötztaler Alpen stattfanden. "Diese Region ist
vor allem deshalb besonders interessant, weil es sich um besonders
artenreiche Bergwiesen handelt, die mit erheblichem Arbeitsaufwand auf
traditionelle Weise bewirtschaftet werden", erklärt Prof. Jentsch.
Camilla Wellstein, die als Postdoc am Bayreuther Lehrstuhl für
Biogeographie tätig war und heute an der Universität Bozen lehrt, hat an
der Untersuchung der italienischen Forschungsflächen mitgearbeitet.
HerbDiv-Net – ein multinationales Forschungsnetzwerk
Die multinationalen Forschungsarbeiten, die von Dr.
Lauchlan Fraser an der Thompson Rivers University in Kamloops/Kanada
geleitet wurden, sind Teil des Forschungsnetzwerks "HerbDivNet". Die
Mitglieder dieses Netzwerks verfolgen gemeinsam das Ziel, durch
aufeinander abgestimmte wissenschaftliche Experimente an global oder
regional verteilten Standorten (Coordinated Distributed Experiments,
CDE) generalisierbare Erkenntnisse zu gewinnen, die für strategische
Planungen im Umwelt- und Naturschutz unerlässlich sind. Prof. Dr. Anke
Jentsch gehört dem Leitungsgremium von "HerbDivNet" an.
Veröffentlichung:
Lauchlan H. Fraser et al.,
Worldwide evidence of a unimodal relationship between productivity and plant species richness,