Schwäche, Sturzgefahr und Knochenbrüche:
Altersproblem Muskelabbau wird oft unterschätzt
Wiesbaden
– Ausreichend trainierte Muskulatur ist eine zentrale Voraussetzung für
den Erhalt von Gesundheit, Selbstständigkeit und Lebensqualität bis ins
hohe Alter. Der Rückgang von Muskelmasse und -funktion, die sogenannte
Sarkopenie, führt zu Gebrechlichkeit, Schwäche und Balancestörungen.
Stürze und Knochenbrüche können die Folge sein. Dennoch wird der
altersbedingte Muskelabbau mit seinen gravierenden Auswirkungen für die
Betroffenen immer noch unterschätzt: Darauf weist die Deutsche
Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) anlässlich des
Internationalen Tages des älteren Menschen am 1. Oktober 2017 hin.
Muskelerhalt und -aufbau sei bis ins hohe Alter möglich. Ärzte sollten
deshalb immer die Muskelmasse ihrer Patienten im Blick haben und
gegebenenfalls frühzeitig Bewegung, gezieltes Training sowie eine
eiweißreiche Diät verordnen.
Etwa
ab dem 30. Lebensjahr beginnt ein physiologischer Umbau von Muskulatur
in Fettgewebe von 0,3 bis 1,3 Prozent/Jahr. „Unternimmt man nichts
dagegen, gehen so rund 30 bis 50 Prozent der Muskelmasse bis zum 80.
Lebensjahr schleichend verloren“, sagt Professor Dr. med. Cornel C.
Sieber, Vorsitzender der DGIM 2017/2018 und Chefarzt der Klinik für
Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie am Krankenhaus Barmherzige
Brüder in Regensburg und Direktor des Instituts für Biomedizin des
Alterns der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Doch eine
gute Muskulatur ist die Voraussetzung für körperliche
Leistungsfähigkeit. „Sie ist auch entscheidend, um alltägliche
Aktivitäten wie etwa Aufstehen, Anziehen, Treppensteigen oder Einkäufe
selbstständig zu bewältigen“, sagt der Geriater. Auch helfe eine
trainierte Muskulatur, die Sturzgefahr zu vermindern. Sie erhöhe die
Widerstandskraft und trage dazu bei, Herz-Kreislauf-System, Stoffwechsel
und Gehirnfunktionen aufrecht zu erhalten. Auch für die Erholung nach
einer Operation ist ein gutes Muskelkorsett hilfreich: „Wenn der Patient
aktiv mitarbeiten kann, gelingen Frühmobilisation und Rehabilitation
besser.“
„Dennoch
ist das Problembewusstsein für Sarkopenie, auch unter uns Ärzten,
bislang eher gering“, stellt er fest. Dabei könne man den Muskelschwund
in gewissen Grenzen entgegenwirken: „Muskelaufbau ist bis ins höchste
Alter möglich“, stellt er fest. Deshalb rät er, jede Gelegenheit zu
nutzen, um körperlich aktiv zu sein. „Gerade ältere Menschen, die
ohnehin viel sitzen, sollten längere Sitzperioden regelmäßig durch
Aufstehen und ein paar Schritte Gehen für wenige Minuten unterbrechen.“
Optimal wäre eine gezielte körperliche Aktivität von 150 Minuten pro
Woche, aufgeteilt in fünf Einheiten an verschiedenen Tagen.
Mit
guter Ernährung lasse sich die Sarkopenie ebenfalls bremsen. „Im Alter
kann der Körper Eiweiß schlechter verwerten. Gleichzeitig benötigt er
mehr davon“, erklärt der Geriater. Proteine sind essentielle Bausteine
für Muskelgewebe. „Deshalb sollten ältere Menschen gezielt mehr davon zu
sich nehmen.“ Er empfiehlt eine tägliche Proteinzufuhr von 1,0–1,2
Gramm pro Kilogramm Körpergewicht (bei ausgezehrten Zuständen sogar noch
etwas mehr). Dies ist mehr als die für gesunde Erwachsene empfohlene
Menge von 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Häufig sei dies
nur durch die zusätzliche Einnahme von proteinreichen
Nahrungsergänzungen erreichbar, welche vom behandelnden Arzt verordnet
werden können. Aber auch Buttermilch enthalte in recht hoher
Konzentration das Protein Leuzin, das den Muskelaufbau unterstütze.
Vitamin D habe sich ebenfalls zum Muskelerhalt und zur Stärkung der
Knochensubstanz als wirkungsvoll erwiesen. Hier empfiehlt der
Altersmediziner die Einnahme von täglich mindestens 800 Internationalen
Einheiten (IE) Vitamin D. Aktuell werde zur Wirkung weiterer
Nährstoffgaben zum Aufhalten des Muskelabbaus geforscht. Für eine
abschließende Empfehlung sei es jedoch noch zu früh.
„Sarkopenie
als Risikofaktor für funktionelle Einbußen sollte angegangen werden,
bevor die Patienten irreversible Einschränkungen erleiden“, sagt auch
Professor Dr. med. Dr. h. c. Ulrich R. Fölsch, Generalsekretär der DGIM
aus Kiel. Rückwirkend sei es viel schwerer, verlorenes Terrain zurück zu
gewinnen. „Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Alterung unserer
Gesellschaft ist hier ein Umdenken aller Beteiligten – Ärzte,
Pflegekräfte, Physiotherapeuten und Patienten – in Richtung Prävention
erforderlich.“
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Fragen an Professor Sieber:
Woran erkennt man, dass eine Sarkopenie vorliegt?
„Bei
Sarkopenie sind Muskelmasse, Muskelkraft – etwa die Greifkraft der
Hände – und die Muskelfunktion – zum Beispiel die Gehgeschwindigkeit des
Patienten oder die Fähigkeit, vom Stuhl aufzustehen – vermindert. Ein
Durchmesser des Unterschenkels von weniger als 31 cm ist ebenfalls ein
Hinweis für das Vorliegen einer Sarkopenie.“
Wie sieht die optimale Ernährung im Alter aus? Worauf sollte man besonders achten?
„Eine
ausgewogene mediterrane Ernährung ist optimal. Dazu gehören viel Gemüse
und Obst, Olivenöl, Eier und Nüsse. Das Eiweiß sollte mehr aus Pflanzen
und Fisch stammen, als aus rotem Fleisch. Auch ein moderater Weinkonsum
ist erlaubt. Eine angemessene Kalorienzufuhr von 25–30 Kcal pro
Kilogramm Körpergewicht sowie etwa 1,5 Liter Flüssigkeitszufuhr sind
gerade im Alter wichtig.“
Welche Proteinergänzungsnahrung ist zum Muskelaufbau im Alter geeignet? Kann ich Proteinpräparate für Sportler verwenden?
„Die
tägliche Proteinzufuhr sollte 1,0–1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht
betragen. Daneben zeigen sogenannte „fast proteins“ einen besonders
guten Muskelaufbauenden (anabolen) Effekt. Hier wird aktuell zumeist das
Leuzin eingesetzt, das etwa in recht hoher Konzentration in Buttermilch
enthalten ist (siehe auch die unten aufgeführte Studie PROVIDE).“