Ähnliche Phagengemeinschaften im Darm von Menschen und Primaten

(Uni Kiel) – Internationales Forschungsteam unter Kieler Beteiligung ergründet ökologische und evolutionäre Ursprünge von Phagengemeinschaften als Teil des menschlichen Mikrobioms

Wir leben in einer von Mikroorganismen beherrschten Welt. Sie existierten bereits lange auf der Erde, bevor die ersten vielzelligen Lebewesen entstanden. Als Teil eines Metaorganismus, also der Gemeinschaft eines komplexen Lebewesens mit besiedelnden Mikroorganismen, sind sie auch heute zentraler Bestandteil des Lebens auf unserem Planeten und für die Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze von großer Bedeutung. Zu dieser mikrobiellen Besiedlung eines Lebewesens, dem sogenannten Mikrobiom, zählen auch verschiedene Viren. Bei den Viren, die mit dem Menschen assoziiert sind, handelt es sich meist um Phagen, die im Darm vorkommen. Phagen sind spezielle Viren, die Bakterien infizieren. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat nun die Ursprünge der Phagengemeinschaften im menschlichen Darm untersucht. Dazu haben die Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit Forschenden unter anderem vom Berliner Robert-Koch-Institut (RKI), den Max-Planck-Instituten für Evolutionsbiologie und Evolutionäre Anthropologie und der Duke University in North Carolina und weiteren Partnerinstitutionen die Phagen nicht-menschlicher Primaten analysiert, also der nächsten lebenden Verwandten des Menschen. In einem vergleichenden Ansatz untersuchten sie die Darmphagen von 23 wild lebenden Primatenarten, die in sehr unterschiedlichen Ökosystemen auf der ganzen Welt vorkommen. Diese verglichen sie mit den Phagengemeinschaften von Menschen, die in Europa und Afrika leben. Es zeigte sich, dass in wilden Primaten nah verwandte Arten der meisten mit dem Menschen assoziierten Phagen zu finden sind. An der Kieler Universität trugen Forschende im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ in der Genomsequenzierung und Auswertung der generierten Daten zu dieser Arbeit bei. Die neuen Ergebnisse veröffentlichte das internationale Forschungsteam kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS).

Spiegelbild der evolutionären Entwicklung der Primaten
Die Forschenden untersuchten zunächst die evolutionären Beziehungen der Primaten-Phagen untereinander. Sie fanden heraus, dass die Verwandtschaftsbeziehungen einiger Gruppen von Phagen untereinander auch die evolutionäre Geschichte der Primaten widerspiegeln, die sie beherbergen. Dieser Zusammenhang wurde zuvor auch bei den Bakterien des Darmmikrobioms beobachtet. Dieses Muster, das wissenschaftlich auch als Ko-Divergenz bezeichnet wird, deutet darauf hin, dass einige Phagen über Millionen von Jahren eine Assoziation mit bestimmten Primatenstämmen aufrechterhielten. Dies ist auch überraschend, weil diese Primaten in einigen Fällen das gleiche Ökosystem mit anderen Primaten mit abweichenden Phagengemeinschaften teilten und diese in einigen Fällen diese sogar regelmäßig fraßen. Dr. Sébastien Calvignac-Spencer vom RKI erklärt: „Wir haben manchen Fällen Muster der Ko-Divergenz zwischen Primaten und den Viren, die sie infizieren, beobachtet. Dies zeigt, dass einige Viren eine enge Beziehung zu ihren Wirten über evolutionäre Zeitskalen beibehalten. Aber Phagen infizieren Bakterien, keine Primatenzellen. Daher waren wir sehr überrascht, dass auch einige Phagen ähnliche evolutionäre Muster zeigen“.

„Das Projekt ist Teil einer größeren Forschungszusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Fabian Leendertz am Robert-Koch-Institut, für das wir in Kiel Sequenzierdaten produziert haben, die wir nun auf verschiedenste Weise gemeinsam untersuchen“, sagt Dr. Malte Rühlemann vom CAU-Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB). „Ziel unseres Projekts im SFB1182 ist es, die Mechanismen zu verstehen, die bestimmen, warum das menschliche Mikrobiom so aussieht, wie wir es beobachten. Die evolutionäre Betrachtung der Phagengemeinschaften in Menschen und nicht-menschlichen Primaten stellt dabei einen wichtigen Baustein dar und ist in dieser Form bisher einzigartig“, so Rühlemann weiter.

Phagen gehen langfristige Assoziationen mit Wirten ein
Angesichts der Tatsache, dass einige Phagen langfristige Assoziationen mit bestimmten Primatenarten bilden, wollten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachvollziehen, wie solche langfristigen Assoziationen aufrechterhalten werden. Sie fanden zum Beispiel heraus, dass benachbarte soziale Gruppen von Pavianen einzigartige Phagen-Gemeinschaften beherbergen. In diesen Gruppen weisen insbesondere solche Tiere sehr ähnliche Phagen-Gemeinschaften auf, die sozial eng verbunden sind und sich zum Beispiel gegenseitig bei der Körperpflege unterstützen – unabhängig von ihrem genetischen Verwandtschaftsgrad. Erstautor Dr. Jan Gogarten vom RKI merkt an: „Unsere Studie unterstreicht die Bedeutung von Langzeitbeobachtungsstudien an wilden Primaten, wie beispielsweise im Amboseli Baboon Research Project in Kenia. Auf diesem Weg lassen sich Fragen beantworten, die sich beim Menschen kaum untersuchen lassen. So werden zum Beispiel einige dieser Paviangruppen seit Jahrzehnten beobachtet. Daher sind dort die Verwandtschaftsverhältnisse und sozialen Gefüge in den Tiergruppen sehr gut bekannt. Zudem sammeln die Forschenden häufig Kotproben, was eine langfristige Beobachtung der Mikrobiomzusammensetzung ermöglicht. Eine solche detaillierte Auflösung von Daten gibt es für menschliche Populationen nicht.“ Die Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass auch soziale Interaktionen beim Menschen einen Einfluss auf die Übertragung von Phagen haben könnten – was in künftigen Forschungsarbeiten zu klären ist.

In einem nächsten Schritt untersuchten die Forschenden, wie flexibel oder dauerhaft die Verbindungen von Primaten und ihren Phagengemeinschaften sind. Wildlebende Primaten haben ihre Phagenzusammensetzung im Prinzip über Millionen von Jahren beibehalten. Das Forschungsteam analysierte Phagen, die in Primaten in Zoos leben. Sie fanden heraus, dass Primaten in Gefangenschaft die Phagen verlieren, die sie normalerweise in freier Wildbahn beherbergen. Insgesamt bietet die Studie neue Einblicke in die evolutionären und ökologischen Ursprünge der mit dem Menschen assoziierten Phagen und eröffnet interessante Perspektiven für weitere Forschungsarbeiten.

Co-Autor Professor John Baines, der die Sektion für Evolutionäre Medizin an der CAU leitet, fügt hinzu: „Angesichts der drastischen Veränderungen in unseren eigenen mikrobiellen Gemeinschaften, die während des Prozesses der Menschwerdung stattgefunden haben, und der aktuellen Plage von Zivilisationskrankheiten, die mit dem Mikrobiom in Verbindung stehen, kann die Bedeutung dieser unschätzbaren Informationen über die mikrobiellen Gemeinschaften unserer nächsten lebenden Verwandten nicht hoch genug eingeschätzt werden.“