Hormone aus Pflanzen und Mikrobiota

Graz, 25. März 2019:

Auf dem 62. Kongress für Endokrinologie vom 20.-22. März 2019 in Göttingen hielt Barbara Obermayer-Pietsch von der Medizinischen Universität Graz eine Keynote-Lecture über  neue Aspekte der Endokrinologie im Kontext von Frauen- und Männergesundheit. „Externe“ Hormone aus Pflanzen und Mikrobiota rücken in den Blickpunkt endokriner Studien, die Wirkungen dieser hormonellen Modulatoren werden zunehmend messbar. Frau Obermayer-Pietsch hat den Inhalt ihres Vortrages dankenswerterweise sofort für unseren DGE-Blog zusammengefasst.

„Gesunde Ernährung“ wird seit vielen Jahren propagiert – sie sollte große Anteile an Gemüse und Früchten enthalten. Was viele Konsument*innen und selbst Endokrinolog*innen nicht wissen oder andenken, ist der Anteil an Pflanzenhormonen und -Mikroben, den wir dabei mit unserer Ernährung aufnehmen und die zu entscheidenden Hormon- und Stoffwechselwegen beitragen und pleomorphe Wirkungen haben können.

Pflanzenhormone sind essentielle Regulatoren der Pflanzenphysiologie und der involvierten Mikroben, die umgekehrt die Funktionen ihrer Wirtspflanzen entscheidend beeinflussen können. Über die Bereitstellung von Eiweißen und Kohlenhydraten, Spurenelementen und anderen wichtigen Nahrungsbestandteilen durch Pflanzen hinaus beeinflussen Phytohormone im Menschen die Glukosehomöostase, Entzündungsprozesse und zelluläre Vorgänge (Übersicht: Chanclud 2017) und sind damit wichtige Faktoren für Diabetes, entzündliche Darmerkrankungen oder die Krebsentstehung, aber auch für psychotrope Effekte über die bekannte Darm-Hirn-Achse.

Das Mikrobiom im Darm metabolisiert viele dieser Pflanzenhormone, z.B. die bekannten Isoflavone Genistein und Daidzein (Kuhnle 2009), die über massenspektrometrische Methoden nachgewiesen werden können. So sind Bohnen, u.a. auch Sojabohnen, besonders reich an Phytoöstrogenen, während Phytoandrogene typischerweise in Ginseng oder Galgant aus der Ingwerfamilie und anderen Quellen zu finden sind (Costa 2018).

Pflanzenhormone haben chemische Ähnlichkeiten mit humanen Hormonen und können daher auch als selektive Östrogen- und Androgenrezeptor-Mediatoren (SERMS und SARMS) agieren – dabei wurden u.a. für Equol, einen Metaboliten aus Daidzein, zahlreiche klinische Wirkungen untersucht. Die Verstoffwechselung aus den ursprünglichen Pflanzensubstanzen zu einem wirksamen SERM erfolgt laut der „Equol-Hypothese“ allerdings nur bei Personen, die über die entsprechende mikrobielle „Ausstattung“ in ihrem Darm verfügen (Setchell 2002). Das kann mit einer Messung des Konzentrations-Quotienten aus Metabolit und Ausgangshormon im Harn nach entsprechend forcierter Zufuhr (z.B. Sojamilch) nachgewiesen werden. „Equol-Producer“ sind etwa 30% der Europäerinnen und Europäer, in Asien betrifft diese Eigenschaft weit größere Bevölkerungsanteile. Welche Bestandteile des Mikrobioms diese Umwandlung auslösen und wie sie interagieren, ist noch nicht restlos geklärt. Ebenso sind die möglicherweise betroffenen hormonellen Erkrankungen, Fertilität und Krebsrisiko weiterhin Gegenstand der aktuellen Forschung. Dass sogar die Inkretinbildung und -wirkung (Creutzfeld 1979) von mikrobiellen Veränderungen betroffen ist, zeigen aktuelle Publikationen aus den letzten Monaten (Lee und Harada, 2018).

Auch Phänomene der Autoimmunität wurden in diesem Zusammenhang angesprochen – es gibt wichtige Hinweise auf eine „Reprogrammierung“ der Immunzellen über eine erhöhte Kohlenhydratzufuhr im Darm und entsprechend hohe Blutzuckerspiegel aus der Arbeitsgruppe um Eike Latz in Bonn (Christ, 2018). Dabei kommt es zu überschießenden Aktivierungen des Entzündungsspektrums, die auch nach Rückkehr zu einer niederkalorischen Ernährung bestehen bleiben. Damit könnte die Zunahme klinisch wichtiger autoimmuner Phänomene wie der Immunthyreopathien oder Allergien teils gut erklärt werden. Als wichtigster Faktor einer gestörten Darmpermeabilität wurde in einer rezenten Science-Publikation (Thaiss 2018) ebenfalls die Hyperglykämie identifiziert, die in umfangreichen Tierversuchen auch zu einer erhöhten Infektanfälligkeit beigetragen hatte.

Die klinischen Wirkungen von Darmmikrobiota, Phytohormonen und möglichen prä- und probiotischer Interventionen werden an der Medizinischen Universität Graz im Rahmen des CBmed-Projektes (Center for Biomarker Research in Medicine, cbmed.org), gefördert von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft in den kommenden Jahren weiter untersucht.

Prof. Dr. Barbara Obermayer-Pietsch, Graz