Gentechnik-Bakterien im Tierfutter verbreiten Resistenzen gegen Antibiotika
EU-Kommission braucht vier Jahre, um aktiv zu werden 30. November 2018 / Derzeit ereignet sich der bisher wohl größte
Fall einer unkontrollierten Verbreitung von nicht zugelassenen
Gentechnik-Organismen in der Geschichte der EU: In vielen Futtermitteln
befindet sich ein Zusatzstoff mit lebensfähigen Bakterien, die mit
gleich vier Resistenzen gegen Antibiotika ausgestattet sind. Drei davon
wurden mit Hilfe von Gentechnik in das Erbgut eingeschleust. Nach
Einschätzung der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA geht von diesen
Futtermitteln ein Risiko „für Verbraucher, Anwender und die Umwelt“ aus. Im September 2018 ordnete die EU-Kommission an, dass die betroffenen
Futtermittel bis zum 10. November vom Markt genommen werden müssen –
allerdings mit einer Übergangsfrist bis Mitte 2019. Die EU-Kommission
und die Mitgliedsländer hätten schon wesentlich früher aktiv werden müssen: Bereits 2014 lagen die ersten Meldungen über die Gentechnik-Keime vor. „Der Fall zeigt, dass die EU-Kommission mit den Risiken gentechnisch
veränderter Organismen zu nachlässig umgeht. Diese Bakterien hatten die
Möglichkeit, sich über Jahre in den Tierställen auszubreiten und ihre
Resistenzen an andere, gesundheitsgefährdende Keime weiterzugeben“, sagt
Christoph Then für Testbiotech. „Es handelt sich um eine nicht
genehmigte, massenhafte Freisetzung von gentechnisch veränderten
Organismen. Diese hätte ohne Verzug gestoppt werden müssen.“
Der wohl in China hergestellte und jetzt erst ins Visier geratene
Zusatzstoff wird in der EU über eine große Futtermittelfirma vertrieben.
Die Gentechnik-Bakterien sollen den Futtermittelzusatzstoff Vitamin B2
produzieren (Riboflavin). Es gibt viele natürliche Quellen für
Riboflavin, allerdings setzt die Massentierhaltung zunehmend auf
Zusatzstoffe aus gentechnischer Produktion. Die Europäische
Lebensmittelbehörde EFSA hat bereits viele weitere, ähnliche Präparate
zugelassen. Derartige Stoffe dürfen Futtermitteln nur dann zugesetzt
werden, wenn sie keine Spuren der Bakterien mehr enthalten.
Die speziellen Futtermittelzusatzstoffe wurden 2014 von der EFSA für
sicher erklärt, nach den Unterlagen der Industrie sollten sie keinerlei
lebensfähige gentechnisch veränderte Keime enthalten. Doch im gleichen
Jahr lagen auch erste Berichte aus Belgien über die Keime vor. Im
Oktober 2016 stellten dann ExpertInnen des Bundesamtes für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) gemeinsam mit anderen
EU-Behörden fest, dass die betroffenen Futtermittel nicht hätten
verkauft werden dürfen. Es wurden aber keine Maßnahmen ergriffen, die
Futtermittel vom Markt zu nehmen. Stattdessen verlangte die
EU-Kommission 2016 von der EFSA eine Neubewertung der
Futtermittelzusatzstoffe. Die EU-Behörde veröffentlichte ihr Gutachten
erst im März 2018. Aus diesem geht hervor, dass von den
Gentechnik-Keimen tatsächlich ein erhebliches Risiko ausgeht. Danach
dauerte es noch Monate, bis die Kommission beschloss, die betroffenen
Futtermittel vom Markt zu nehmen. Doch dürfen Mischungen, die die
Zusatzstoffe enthalten, dank einer großzügigen Übergangsfrist noch bis
Mitte nächsten Jahres verfüttert werden.
Es handelt sich bereits um den zweiten Fall einer massiven
unkontrollierten Verbreitung von Gentechnik-Organismen in der EU: 2017
hatte der Fall von gentechnisch veränderten Petunien für Schlagzeilen
gesorgt, die bei Gärtnereien in mehreren Ländern der EU aufgetaucht
waren. Testbiotech mahnt, dass insbesondere die Einführung von
Gentechnik-Organismen der neuen Generation, bei denen Verfahren wie
CRISPR eingesetzt werden, zu einer erhöhten Aufmerksamkeit der Behörden
führen muss, um den Folgen einer unkontrollierten Ausbreitung in der
Umwelt vorzubeugen.
„Um unabhängige Kontrollen zu ermöglichen, ist es zwingend notwendig,
dass genaue Daten veröffentlicht werden, was genau in den jeweiligen
Organismen gentechnisch verändert wurde. Es ist äußerst
besorgniserregend, dass gerade diese Information nach dem Willen der
EU-Kommission in Zukunft geheim gehalten werden soll. Sie hat
entsprechende Regelungen in eine Neufassung der Verordnung 178/2002 über
die Lebensmittelsicherheit eingefügt, über die im Dezember im
Europäischen Parlament abgestimmt werden soll“, sagt Christoph Then für
Testbiotech. Kontakt:
Christoph Then, Tel 0151 54638040, info@testbiotech.de