Quantenrevolution 2.0 : Quantencomputer verlässt das Labor

Quantenrevolution 2.0 : Der Quantencomputer verlässt das Labor

Das Rechenwunder ist kaum zu erkennen: In der Glaskuppel steckt der Quantencomputer von IBM „Q System One“. Bild: IBM

Leistungsschau in Las Vegas:
IBM präsentiert den weltweit ersten kommerziellen Quantencomputer mit
20 Quantenbits. Die Anlage ist zwar nicht zu kaufen, wird aber über die
Cloud für Nutzer zugänglich sein.

Der Quantenrechner gilt als
das „nächste große Ding“ in der Computerbranche. Weil die Rechenmaschine
die Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik effizient ausnutzt, soll sie –
so die Hoffnung – deutlich leistungsfähiger sein als ihre klassischen
Pendants. War der Quantencomputer noch vor gut zehn Jahren von rein
akademischem Interesse, tüfteln heute fast alle wichtigen
Computerhersteller und Internetfirmen an ihren eigenen Wunderkisten,
allen voran Google, Intel, Microsoft und IBM. Allerdings hatte bisher
noch kein Prototyp das Laborstadium verlassen. Das dürfte sich schon
bald ändern. IBM hat auf der Elektronikmesse CES 2019 in Las Vegas jetzt
seine neueste Errungenschaft präsentiert: den ersten integrierten
Quantenrechner der Welt, der vor allem für kommerzielle Kunden und deren
Anwendungen gedacht ist.

Manfred Lindinger

Redakteur im Ressort „Natur und Wissenschaft“.

  • F.A.Z.

Das amerikanische
Computerunternehmen hat damit den ersten Schritt seiner Ankündigung wahr
gemacht, nämlich in zwei Jahren einen kommerziellen Quantencomputer auf
den Markt zu bringen. War der erste Quantenrechner von IBM noch ein
Gewirr von Kabel, und Drähten, so kann man „IBM Q Systems One“,
wie IBM seinen neuen Rechner nennt, in Las Vegas in einer schicken,
luftdicht verschlossenen 2,5 mal 2,5 Meter großen Glasbox bestaunen.
Alle Komponenten des eigentlichen Quantenrechners sind, ordentlich
verstaut, in einem Zylinder im Inneren der Box untergebracht. Das
Zubehör, die den Quantenrechner erst zur bedienbaren Rechenmaschine
macht – wie Tastatur, Kabel, Spannungsquellen, Schnittstellen,
Datenspeicher und das Kühlsystem – sind nicht sichtbar hinter der Box
verstaut.

Der verkabelte fünf Bit Quantenprozessor von IBM, bevor er in ein Kältebad aus flüssigem Helium getaucht wird. : Bild: IBM

Die Leistungsfähigkeit hat
sich laut IBM klar verbessert. Rechneten die Vorgängermodelle noch mit
fünf und 16 Quantenbits, so soll „IBM Q Systems One“ schon mit 20 dieser
quantenmechanischen Informationseinheiten arbeiten. 20 Qubits galten
lange als Gradmesser für einen funktionierenden Quantencomputer. Von 50
Qubits an soll ein Quantencomputer sogar jedem klassischen Supercomputer
überlegen sein. IBM visiert diese Schwelle bereits an. Google hat sie eigenen Angaben zufolge bereits übersprungen und soll sogar schon an einem 76 Quantenbit-Prozessor basteln.

Fragile Quantenbits unter voller Kontrolle

Die Überlegenheit des
Quantencomputers gegenüber seinem klassischen Pendant beruht darauf,
dass er außer normalen Bits noch beliebig viele quantenmechanische
Überlagerungszustände von Nullen und Einsen verarbeiten kann – und das
simultan. Komplexe mathematische Aufgaben kann der Quantenrechner damit
schnell parallel lösen.

Die Quantenbits (kurz
Qubits) können mit Hilfe vom Atomen, Ionen oder Elektronen und deren
Spins oder durch die Polarisationszustände von Photonen verwirklicht
werden. Als besonders aussichtsreiche Kandidaten gelten elektrische
Schaltkreise, die in supraleitende Mikrochips integriert sind, wie sie
von IBM und anderen großen Computerfirmen favorisiert werden. Die
Quantenprozessoren müssen zwar mit flüssigem Helium gekühlt werden. Sie
haben aber den Vorteil, dass man sie mit den etablierten Verfahren der
Halbleitertechnik fertigen kann.

IBM Forscher Jerry Chow mit einem supraleitenden Quantenchip : Bild: IBM/Feature Photo Service

Allerdings müssen die
Forscher von IBM sicherstellen, dass die Quantenbits stabil bleiben und
ihre Zustände nicht plötzlich und unkontrolliert ändern. Die Folge wären
schwerwiegende Fehler in den Berechnungen. Die größte Gefahr droht
durch  Restwärme, Erschütterungen oder durch elektrische Streufelder.
Offenkundig hat IBM alle Störquellen in den Griff bekommen. Denn es sei
gelungen, die 20 Quantenbits 75 Mikrosekunden lang in einem ungestörten
kohärenten Zustand zu halten. Laut IBM ein Rekord auf dem Gebiet des
universellen Quantencomputings. Die kommerzielle Nutzung des Systems
würde damit endlich möglich.

Neues IBM-Zentrum für den Quantenrechner

Als potentielle Anwendungen
sehen die Mitarbeiter von IBM etwa das Lösen von komplexen
Optimierungsproblemen oder die Modellierung schwer zugänglicher
Eigenschaften von Festkörpern, Flüssigkeiten, Gasen oder anderen
Vielteilchensystemen und darin ablaufenden Prozessen. Materialforscher
oder Pharmakologen könnten etwa im Voraus ermitteln, welche
Eigenschaften für eine bestimmte Anwendung optimal wären und dann ihren
Werk- oder Wirkstoff entsprechend maßschneidern.

Allerdings wird man „IBM Q
Systems One“ nicht kaufen können. Nutzer werden aber über eine Cloud auf
den Rechner zugreifen können, ihn für seine Zwecke programmieren und
entsprechende Kalkulationen ausführen – ähnliches war eingeschränkt auch
schon mit dem  5-Qubit-Prozessor möglich.  Zu diesem Zweck wird die
Anlage in dem neuen IBM-Q-Quanten-Computing-Zentrum in Poughkeepsie (New York) stehen.

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Es hätten sich bereits
zahlreiche Interessenten aus Wirtschaft und Wissenschaft gemeldet,
darunter auch das europäische Zentrum für Elementarteilchenphysik. Die
500 Partner dieses „IBM-Q-Netzwerks
sollen in Kürze Zugang zum Quantencomputer erhalten. IBM hat mit „IBM Q
Systems One“ erstmals das Tor des Forschungslabors geöffnet. Vermutlich
werden die anderen Großen der Computerbranche dem Vorbild bald folgen
und auch ihre Maschinen aus den Laboren holen.

Quelle: F.A.Z.